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Kultur: Der Tod lacht Tränen

Die Schaubühne als aktuelle Anstalt, die das politische Geschehen des Hier und Heute reflektiert: Tel Avivs Cameri-Theater hat oft genug bewiesen, dass es sich dieser Aufgabe mit dem Mut zu schonungsloser Schärfe gegenüber der eigenen Gesellschaft stellt. Vor allem der andauernde israelisch-palästinensische Konflikt musste da eine Herausforderung sein.

Die Schaubühne als aktuelle Anstalt, die das politische Geschehen des Hier und Heute reflektiert: Tel Avivs Cameri-Theater hat oft genug bewiesen, dass es sich dieser Aufgabe mit dem Mut zu schonungsloser Schärfe gegenüber der eigenen Gesellschaft stellt. Vor allem der andauernde israelisch-palästinensische Konflikt musste da eine Herausforderung sein. Der Autor Hanoch Levin hat sie schon 1997 angenommen und mit "Mord" beantwortet, einem Stück, das die Spirale der wechselseitigen Gewalt mit blutiger Konsequenz nachzeichnet; vor zwei Jahren war Omri Nitzans Inszenierung, inzwischen mit fünf Theaterpreisen bedacht, bei einem Gastspiel in Weimar zu sehen.

Von ganz anderer Seite zeigt sich das Cameri-Theater jetzt in Berlin zur Eröffnung der 15. Jüdischen Kulturtage unter dem Motto "Tel Aviv Non Stop": als poetische Anstalt, die ein zeitlos gültiges Märchen erzählt - von Menschen, die ausziehen, das Sterben zu lernen. "Requiem" von Hanoch Levin ist so etwas wie das Vermächtnis des Autor-Regisseurs: Levin ist am 18. August 1999 während der Endproben zu seinem Stück gestorben, 56 Jahre alt, nach einem erfolgreichen Leben, das ihn zu einem der bekanntesten Theatermänner seines Landes aufsteigen ließ. "Was habt ihr aus eurem Leben gemacht?", lässt er im "Requiem" seinen Hauptdarsteller Josef Carmon, einen temperamentvollen Greis, eine junge Frau fragen und mit ihr in einer Mischung von Wut und Trauer hadern, als sie nur antworten kann: "Nichts Besonderes."

Drei Erzählungen von Anton Tschechow haben Hanoch Levin, den in Tel Aviv geborenen Sohn polnischer Einwanderer, zu diesem Stück angeregt, einem von launiger Musik untermalten Bilderbogen, der sich irgendwo im alten Osten Europas zwischen Orten spannt, die Pupka und Chalupka, Pczoci und Szczoci heißen. Drei Paare sehr verschiedener Art gehen da ihres letzten Weges: jener Alte, von Beruf Sargtischler, mit seiner todkranken Frau, eine junge Mutter mit ihrem tödlich verletzten Kind, ein Fuhrmann, der nur noch sein Pferd hat, dem er seine Klage um den verstorbenen Sohn anvertrauen kann. Der Arzt, den das greise Paar aufsucht, ist selber eine hilflos den Kopf hängen lassende Person; als Rezept hat er nur Resignation parat: "Die Alte hat geblüht, jetzt ist sie reif." Der Sargtischler muss seiner Frau - liebenswert schlicht: Zaharirah Charitai - mittels Zollstock die Maße abnehmen und sich angesichts dieser Kundin fragen: "Ausgabe oder Einnahme?"

Wehmut allerorten, und doch darf immer wieder gelacht werden. Der Autor Levin lässt seine Personen ihre traurigen Lebenserfahrungen in sarkastischer Heiterkeit auf den Punkt bringen: "Seltsam", sagt die sterbenskranke Frau, "dass der Mensch vor seinem großen Schlaf noch ein Nickerchen macht." Und der Regisseur Levin hat gemeinsam mit seinem Ausstatter Rakefet Levy (und, nicht zu vergessen, mit seinem Bühnenkomponisten Yossi Ben-Nun) eine Aufführung erarbeitet, deren fantasiereicher Witz bezaubert.

Unter weitem Himmel, meist düster bewölkt, eine leere Landschaft, auf deren Sand flugs eine Hütte entsteht, indem ein Mann auf Stelzen einherkommt, auf dem Kopf als Hut ein paar Dachziegel, die Füße festgeschnallt an zwei Stühlen. Der Fuhrmann befehligt ein menschliches Pferd, das, unentwegt mit den Hufen stampfend, seinen Schädel als ein luftiges Flechtwerk vor sich her trägt, und die Kutsche ist nichts als ein Rahmen aus schlanken Ästen, getragen von den Insassen selbst, blöd schwadronierenden Säufern und albern kichernden Huren. Ihre Späße, die sich die beiden Freudenmädchen über Gott und die Welt erlauben, indem sie sie in lauter Diminutiven klein machen, gipfeln in einem makabren Resümee: "Aus mit dem Späßle" - effektvoll auch noch in der deutschen Übertitelung, die da als Schriftband oberhalb der Bühne flimmert.

"Tel Aviv Non Stop" ist damit glücklich eröffnet. "The Big Orange", wie der Chef der Berliner Jüdischen Gemeinde, Alexander Brenner, die israelische Kulturmetropole, als Gegenstück zu dem amerikanischen "Big Apple" New York, in seiner Einleitungsrede nennt, hat in das Haus der Berliner Festspiele eine wohlschmeckende Frucht exportiert.

Günther Grack

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