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Kultur: Der Totentänzer

Er trug den gelben Stern: Zum 100. Geburtstag wird der Maler Felix Nussbaum endlich als Künstler gewürdigt

Hätten wir ihn wiedererkannt, nach seinen Selbstbildnissen? Am ehesten wohl am Blick, diesem direkten Malerblick: das rechte Auge zusammengekniffen, das linke groß, braun und scharf. Ansonsten ist Felix Nussbaum ein Mann vieler Gesichter: Mal gibt er sich als Künstlerbohèmien, in der Berliner Studienzeit, mit gelockerter Krawatte und Dreitagebart, mal als Dandy im grünen Hut. Dann als Künstler, mit Rembrandtkappe. Oder als Karnevalsnarr, mit höhnischem Grinsen. Gern posiert er mit Judenkappe und Judenschal, für den auch einmal ein blau-weiß kariertes Küchentuch herhalten muss. Oder er versteckt sich hinter Masken, lachenden, weinenden, verzerrten.

Am Ende bleibt ein Bild in Erinnerung, sein berühmtestes: das „Selbstbildnis mit Judenpass“ von 1943. Ein Mann, in die Ecke getrieben, mit gehetztem Blick. Die eine Hand zeigt den Judenstern am Mantel, die andere den Pass, über den dick mit Rot „Juif-Jood“ gestempelt ist. Kahle Mauern im Hintergrund, ausweglos. Und darüber blüht, wie zum Hohn, ein Kirschbaumzweig. Der Betrachter ist in die Rolle des Verfolgers, des Kontrolleurs gedrängt. Der Blick des Malers klagt an.

Selbstporträts als Mittel der Selbstvergewisserung, in Zeiten einer existenziellen Krise. Oder als letzte Rettung. Was malt ein Maler noch, wenn ihm als Motiv nichts mehr bleibt als der Blick aus dem Dachfenster, auf eine kahle Wand gegenüber? Wie lange kann er noch malen, wenn die Gewissheit, dass es keinen Ausweg vor Deportation und Tod gibt, von Tag zu Tag stärker wird? Oder: Muss er nicht gerade weitermalen, wenn alles zusammenbricht: um zu überleben? Nein, wir hätten ihn wohl nicht wiedererkannt, obwohl Felix Nussbaum sich fast obsessiv mit seinem Konterfei beschäftigt hat. Die Versuchung ist groß, die Bilder nur als Zeitzeugen-Dokumente zu lesen. Aber der Mann selbst ist hinter seinem Schicksal verschwunden.

Der heute vor 100 Jahren in Osnabrück geborene Felix Nussbaum ist eine Schlüsselfigur der Exil-Kunst. Seine Malerkarriere, die 1931 mit der Verleihung des Großen Staatspreises für seine Berliner Akademie-Satire „Der Tolle Tag“ hoffnungsvoll begann, endet zwei Jahre später abrupt mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Der Maler kehrt nach einem Italienaufenthalt nicht mehr nach Deutschland zurück, sondern geht nach Belgien ins Exil. Dort lebt er, nach der Flucht aus dem Internierungslager Saint Cyprien in Südfrankreich, seit 1940 im Versteck bei Freunden. Am 20. Juni 1944 wird er nach einer Denunziation verhaftet und mit dem letzten Deportationszug nach Auschwitz gebracht. Am 2. August wird Felix Nussbaum mit seiner Frau in der Gaskammer ermordet.

Wie kaum ein Zweiter hat der Osnabrücker Maler in seinen Bildern Angst und Todesahnung thematisiert. Immer wieder tauchen Mauern auf, kahle Hausmauern, die den Blick verstellen, dazu Fensterkreuze wie Gefängnisgitter, tote, brutal beschnittene Bäume, Städte, die zu Ruinenlandschaften geworden sind, schwarze Trauer- und Pestflaggen, Skelette und Leichenzüge. Ein Untergang des Abendlandes, ein Totentanz auf den Ruinen der Kunst und Kultur, nicht erst auf dem letzten Bild „Triumph des Todes“.

Schon früh wirken die Motive prophetisch: Auf dem Hauptwerk „Der Tolle Tag“ von 1931 liegt der Pariser Platz in Trümmern wie nach dem Zweiten Weltkrieg, und der greise Max Liebermann versucht auf dem Dach seines zerstörten Hauses ein Bild zu retten.

Was es heißt, im Untergrund zu leben, davon künden Bilder wie „Angst“, auf dem sich der Maler beschützend über seine Nichte Marianne beugt. Oder „Jude am Fenster“: eine ausgemergelte Gestalt in einer Zimmerecke. Oder, besonders deutlich, „Die Verdammten“: eine Gruppe Deportierter auf einem Holzwagen, während im Hintergrund die Särge vorbeigetragen werden, nummeriert mit 25367 und 25368: die Zahl der aus Belgien Deportierten. Mit diesen Bildern der Verfolgung hat Felix Nussbaum ein künstlerisches Korrelat zum Tagebuch der Anne Frank geschaffen. Als Bildzeuge des Holocaust ist der Künstler zumindest seit den Neunzigerjahren auch in Deutschland bekannt geworden. 1998 hat Daniel Libeskind dem Maler in Osnabrück ein Denkmal in Form eines Museums gesetzt: ein Haus wie eine Sackgasse, voller schmaler, aufsteigender Rampen, toter Winkel und verstellter Ausblicke. Die Lattenwände, die Mauerecken scheinen direkt aus Nussbaums Bildern übernommen.

Dass er die Barbarei, die über Europa hereinbricht, so eindrücklich geschildert hat, ist Felix Nussbaum auch im Nachleben jedoch zum Verhängnis geworden. Die Kunst unabhängig von seiner Biografie zu betrachten, fällt gerade bei seinem Œuvre schwer. Seine Bilder, von denen der Hauptteil inzwischen in Osnabrück zu sehen ist, fanden zwar Eingang in die Geschichtsbücher, nicht aber in die Kunstgeschichtsschreibung. Als Künstler ist Felix Nussbaum immer noch ein Unbekannter.

Das künstlerische Werk zu würdigen, ist daher Anliegen der Jubliläumsausstellung in Osnabrück. Erstmals wird der Maler mit Vorbildern wie Maurice Utrillo oder Henri Rousseau, mit Zeitgenossen wie Max Beckmann oder Paul Klee gemeinsam gezeigt. Auch Marc Chagall steht, was die bewusst naive Zeichnung angeht, oft Pate: der Künstler als Suchender zwischen den Stilen. Allein: Jeder Vergleich hinkt, nicht nur, weil vom Frühwerk nur wenig erhalten ist. 1933 gehen bei einem Brand im Berliner Atelier 150 Bilder in Flammen auf. Eine Lebenskatastrophe, noch bevor die anderen Katastrophen ihren Lauf nehmen. So überwiegt im Rückblick doch immer der dunkle Ton des Spätwerks. „Lasst meine Bilder nicht untergehen“, hat Felix Nussbaum einen Freund kurz vor der Deportation gebeten. Seiner Bitte wird spät entsprochen.

DAS LEBEN

Geboren am 11. 12. 1904 als Sohn des jüdischen Eisenwarenhändlers Philipp Nussbaum in Osnabrück . 1922 Studium in Hamburg, ab 1923 in Berlin . 1932 Stipendiat der Villa Massimo in Rom, gemeinsam mit seiner Freundin, der Malerin Felka Platek . Ab 1935 lebt Felix Nussbaum in Belgien. 1940 Internierung im Lager Saint-Cyprien in Südfrankreich, Flucht von dort und Versteck in Brüssel. 1944 Deportation nach Auschwitz, wo er ermordet wird.

DAS MUSEUM

in Osnabrück entstand 1998 nach Plänen von Daniel Libeskind . Es ist dessen erster Museumsbau in Deutschland.

DIE AUSSTELLUNG

„Zeit im Blick. Felix Nussbaum und die Moderne. Jubliläumsausstellung zum 100. Geburtstag“: Osnabrück, bis 28. März 2005.

Katalog (rasch Verlag Bramsche) 25 €.

Christina Tilmann

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