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Kultur: Der Trauerarbeiter

Im Zentrum der Berliner RAF-Ausstellung stehen „Die Toten“ von Hans-Peter Feldmann. Eine Nahaufnahme

Drumherum das Getöse der Medien: fette Headlines, schreiende Bilder, die Betroffenheit der „Tagesschau“-Sprecher. Mittendrin, im Auge des Orkans, auf einmal diese Stille, eine Totenstille. 91 Bilder hängen an den Innenwänden des schneeweißen Kubus, den die Kuratoren der RAF-Ausstellung ins Zentrum der Berliner „Kunstwerke“ gerückt haben. Es sind die Bilder der Toten des Terrorismus, Täter wie Opfer. Da hängt das Videobild des entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer neben dem vom Hungertod gezeichneten Holger Meins, das Familienfoto der zufällig von einer Kugel getroffenen Hausfrau neben dem in seiner Blutlache liegenden Top-Terroristen Andreas Baader, die letzte Aufnahme des noch lebenden Flugkapitäns Jürgen Schumann neben dem Schnappschuss eines Attentäters, den später seine eigene Bombe zerfetzte.

„Die Toten, 1967 – 1993“, so der Titel des Werks von Hans-Peter Feldmann, stehen im Zentrum der RAF-Ausstellung. Sie bildet den Ausgangspunkt für alle folgenden 55 Arbeiten, die in den Geschossen darüber zu sehen sind und doch nicht an das Werk des Düsseldorfer Konzeptkünstlers heranreichen. In der Kritik führte das dazu, dass manch einer meinte, man hätte es bei diesem Mausoleum aus Schwarz-Weiß-Fotografien belassen können.

Was schade gewesen wäre, denn dann hätte man nicht die künstlerischen Bearbeitungen eines Gerhard Richter, Martin Kippenberger, Sigmar Polke, Joseph Beuys zu sehen bekommen, die sich ebenfalls mit dem deutschen Herbst beschäftigt haben. Ja, vielleicht hätte es die zur Eröffnung Ende Januar nochmals aufflackernde Aufregung um Kunst und Terror gar nicht gegeben. Die heftige Debatte um eine drohende Mythisierung der Baader-Meinhof-Gruppe hatte im vergangenen Jahr dazu geführt, dass die Kunstwerke ihren beim Hauptstadtkulturfonds gestellten Förderantrag wieder zurückzogen, denn Mitglieder von CDU/CSU- und FDP-Bundestagsfraktionen sowie Angehörige von Opfern drohten Sturm zu laufen. Die Erregung hat sich drei Wochen nach der Eröffnung gelegt, nicht aber das Interesse. Die RAF-Schau gehört schon jetzt zu den bestbesuchten Ausstellungen der Kunstwerke seit ihrer Gründung Anfang der Neunzigerjahre. Und zu den meistdiskutierten: In den letzten Wochen erschienen über 400 Artikel erschienen, wurden zahllose Hörfunk- und Fernsehbeiträge gesendet, die sich durchaus kontrovers mit der dargereichten „Vorstellung des Terrors“, so der Untertitel, auseinandersetzten.

Bei Hans-Peter Feldmann waren sich die Kritiker jedoch einig. Zwar hat man ihm Gleichmacherei vorgeworfen: Ein ermordeter Wachmann dürfe nicht mit einem erschossenen Bombenleger gleichgesetzt werden. Aber wer sich eine Weile in dieser Kaaba der Trauer aufgehalten, die chronologisch geordneten Bilder studiert hat, spürt den Respekt, der hier allen Toten gezollt wird, die Anteilnahme gegenüber sämtlichen Angehörigen, über die der Terrorismus so viel Leid brachte. Feldmann schuf diese Arbeit, um sich selbst über das Phänomen RAF Klarheit zu verschaffen, wie er sagt. Nach den tausenden Bildern, Büchern und Filmen, die stets Position bezogen haben, wollte er sich dem Thema anders nähern, indem er die Bilder, Namen und Sterbedaten der Toten sammelte. Am Ende hat es ihn selbst überrascht, wie viele es waren, da meist nur eine Hand voll Prominenter in Erinnerung ist.

Den Anfang macht das legendäre Foto des erschossenen Benno Ohnesorg, das damals um die Welt ging. Eine junge Frau kniet neben dem Toten und hält sein Haupt, dahinter wird gerade noch die Rückfront eines VW-Käfer mit Berliner Kennzeichen sichtbar. Feldmann erschaudert bei diesem Bild. Ohnesorg wäre heute so alt wie er; sie sind der gleiche Jahrgang. Vielleicht war das auch der Auslöser für seine über dreijährige Bildrecherche, die er Anfang der Neunziger mit einem höchst simpel gemachten Buch – Din-A-5-Format, Leimbindung, Aktendeckel-Karton, im Selbstverlag produziert – abschloss.

Der Düsseldorfer Fotokünstler, der vor allem sammelt, aber auch selber fotografiert und neu arrangiert, arbeitet stets aus einer naiven Neugier, einer persönlichen Betroffenheit heraus, wie er im Gespräch freimütig gesteht. Das erklärt auch seine Vorliebe für Motive der Fünfzigerjahre, die Zeit seiner Kindheit, oder die Werkgruppe der Frauenbildnisse. Natürlich marschierte er damals bei den vergleichsweise harmlosen Düsseldorfer Demonstrationen mit, auch er begehrte gegen die in ihren Ämtern verbliebenen Alt-Nazis auf. Aber ein Sympathisant der Baader-Meinhof-Gruppe sei er nie gewesen, betont er. „Mit den Toten hörte das auf“, so Feldmann. „So weit darf kein Weltverbesserer gehen.“

Seine Bildrecherche gewann Sprengkraft, als er sie 2000 im Badischen Kunstverein in Karlsruhe präsentieren wollte. Die dort lebende Familie eines toten Terroristen protestierte; ein Bundesrichter im Vorstand des Kunstvereins stellte sich vor das Projekt; die Ausstellung konnte stattfinden. Seitdem klingelt regelmäßig bei Feldmann das Telefon, wenn Angehörige Informationen über die Todesursache nachtragen wollen. Inzwischen ist der Künstler selbst Experte. Die Website des LKA in Nordrhein-Westfalen zum Thema Terrorismus nennt als einzigen Quellenverweis sein „Toten“-Buch. Das Projekt lässt ihn seitdem nicht mehr los, auch wenn es ursprünglich mit dem Herrhausen-Mord enden sollte. Es folgten die Toten von Bad Kleinen, der Schusswechsel in Wien; die Opfer des Flugzeugsturms von Entebbe in Uganda wurden nie vollständig ermittelt.

Gerade weil Feldmann nur die Fakten auflistet und die für jedermann greifbaren Bilder der Toten grobkörnig reproduziert, besitzt sein Werk seismographische Qualität („Ich wollte nie ein Buch machen, aus dem Blut fließt.“). Die inzwischen positivere Reaktion auf die Arbeit entspricht der veränderten gesellschaftliche Wahrnehmung des Phänomens RAF. Während die anderen Gemälde und Videos in den Kunstwerken eher individuelle Auseinandersetzungen darstellen und häufig in einer Nabelschau verharren, gelingt es Feldmann eine allgemeine Reflexionsebene einzubeziehen. Sein Werk bleibt resistent gegen das mediale Getöse rundum; es urteilt nicht, sondern fordert Würde für alle Betroffenen ein.

Darin besteht sein Arbeitsprinzip. Feldmanns Terrain sind die verschiedenen Erscheinungsformen der Zivilisation, die er mit Hilfe von vorgefundenem wie eigenem Fotomaterial auszuleuchten sucht. In ihnen entdeckt er allgemein gültige Wahrheiten, die sich in seinen unspektakulären Arrangements plötzlich auch Außenstehenden vermitteln. Das dürfte ihm auch mit seinem neuesten Projekt gelingen, einer Recherche im Frauengefängnis von Köln-Ossendorf. Am Ende soll wieder ein Buch entstehen. Was ihn ursprünglich dazu veranlasste , weiß Feldmann heute nicht mehr. Vielleicht ja jenes Bild von Ulrike Meinhof, das heimlich vom BKA beim Hofgang im Köln-Ossendorfer Gefängnis aufgenommen wurde. Es findet sich auch in „Die Toten“ wieder, ein Bild unter vielen.

Der 1941 in Düsseldorf geborene Hans-Peter Feldmann gilt als eine der wichtigsten Figuren der Konzeptkunst in Deutschland . Mit seinen unprätentiösen Booklets, die er in den siebziger Jahren in Tausenderauflage produzierte, seinen unkonventionellen Postkartenaktionen etwa mit Reformhauskalendern, seinem generellem Faible für das Bildgut des Alltags begibt er sich auf Spurensuche. Nicht die Auratisierung interessiert ihn, sondern der

Wahrheitsgehalt im

alltäglichen Bild.

2003 widmete ihm das Museum Ludwig in Köln eine große Retrospektive, auf der sein Werk Die Toten, 1967 – 1993 zu sehen waren. Sie bilden das Zentrum der Berliner RAF-Ausstellung in den Kunstwerken.

Auguststraße 69, bis 16. Mai; Katalog 45 Euro.

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