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Kultur: Der Türmer

Zum 90. Geburtstag von Peter Wapnewski.

Ist es die erstaunliche Spannweite seines Wirkens, mit der Peter Wapnewski sich der intellektuellen Öffentlichkeit vor allem eingeprägt hat? Dieser Gelehrte fast klassischen Typs war ja immer auch ein passionierter Teilhaber der öffentlichen Angelegenheiten, als Redner und Publizist engagiert in aktuellen Debatten. Und da er als erster Rektor mit dem Wissenschaftskolleg einen der wissenschaftlichen Glanzpunkte dieser Stadt zum Blühen gebracht hat, hätte er sogar Anspruch darauf, den Technokratentitel als erfolgreicher Wissenschaftsmanager zu tragen. Dabei ist er vom Fach her Altgermanist, Koryphäe in einer eher abgelegenen Region der Philologie. Aber natürlich ist er vor allem eins: ein homme de lettres, ein Liebhaber der Künste und der Lebenskunst - in jüngeren Jahren mit einem Zug zum Elegant, später mit der grandseigneurhaften Statur der Eminenz.

Er gehört zur Generation der 45er, zu den jungen Leuten der Nachkriegsjahre, die in dieser Republik Epoche gemacht haben. Ihnen verdankt sich der zweite Schub der Republik, der Wandel zu einem aufgeklärten Selbstverständnis; Wapnewski hat an dieser eminent fruchtbaren Phase seinen Anteil, als Lehrer und Forscher, als streitbarer Geist, in diversen Ämtern und Vorsitzen. Aber er hat auch in betroffen machender Weise den Schleier vor den Traumata dieser Generation weggezogen. In seinen Erinnerungen hat er, der der Knochenmühle des Krieges mit dem Verlust eines Auges entkommen ist, die spezifische Last der schlimmen Vergangenheit zur Sprache gebracht: dass sie nicht hinter ihr lag, sondern auf ihr. „Wie sie noch heute auf uns liegt.“

Altersbedingt wird Wapnewski seinen heutigen 90.Geburtstag zu Hause verbringen müssen. Da es sich da um ein rechtes Dachgeschoss-Adlernest handelt: Sollte man sich den Literaten und Kritiker, der einmal die Literatur als die Figur des ungelebten Lebens beschrieben hat, zur Feier des Tages nicht als Goethes Türmer denken – den mit dem lesebuchbekannten „Lied des Türmers“, das gleichwohl im zweiten Teil des Faust steht? Nicht wegen des dort erwähnten Blicks auf „den Mond und die Sterne, den Wald und das Reh“, an deren Stelle ohnedies eher Grunewaldbäume und der Dunst von Berlin zu sehen wären. Sondern um zurückzusehen auf ein langes Leben, in dem Enthusiasmus und Skepsis, Strenge und Ironie sich verbinden. Man möchte ihm wünschen, dass ihn da auch die letzten Zeilen des Gedichts, die innere Genugtuung des „es sei wie es wolle / es war doch so schön“, erreichten. Hermann Rudolph

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