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Kultur: Der Unberührbare

Werner Schroeter präsentiert in der Berliner Volksbühne seinen Film „Diese Nacht“

Ist es nur die Stimme, dieses näselnd Nölende, das plötzlich so aufstößt und, ja, aufregt? Ist es das Reden als träger, in halbhoher, kaum modulierender Mittellage dahintreibender Fluss, das den Auge in Auge so liebenswürdigen Menschen, von dem es zudem heißt, alle seine Schauspieler liebten ihn, heute so grundunsympathisch erscheinen lässt?

Nein, die Stimme ist es nicht allein. Schon leicht säuerlich wirkt es, wenn Werner Schroeter der auf die Bühne gebetenen Schauspielerin Bulle Ogier wegen ihres Blondhaars bescheinigt, immer noch „goldig“ zu sein. Oder wenn er den während des Drehs eingesprungenen Kameramann Thomas Plenert mit den Worten lobt, sein Vorgänger habe geradezu „gehirnmäßige Ausfälle“ gehabt, „da würden wir heute noch drehen“. Und wie schroff erst nötigt er die „stillen Mitarbeiter“ hinten im vollbesetzten Saal zum Aufstehen – andererseits, wer sich nicht traue, der möge dann bittschön auch „im Dunkeln bleiben“! Und was, wenn er beim nahezu mitternächtlich angesetzten Werkgespräch den kenntnisreich und behutsam fragenden Interviewer Ralph Eue kein einziges Mal ansieht und lieber sein berühmtes Hutgesicht mitsamt Spitzbart, nun ja, konstant gnädig Richtung Publikum hält?

Gemütlichkeit ist nicht die erste Künstlerpflicht. Der Film- und Opernregisseur Werner Schroeter, der ein ebenso pathetisches wie hermetisches Werk verantwortet, kämpft zudem seit Jahren gegen den Krebs, und dieser Kampf hat ihn hart gemacht, auch gegen sich selbst. Dazu sagt der 63-Jährige, es gehe ihm besser, auch wegen des „berauschenden Energieaustauschs“ beim Arbeiten. Und fügt knapp hinzu: „Ich bin froh, ich lebe, und damit ist das Thema abgeschlossen.“

Entschieden stolz präsentiert sich da einer auf dem Sockel des kompromisslosen, wenig verstandenen und zugleich besessenen Arbeiters, der seit jeher ein Leben aus drei Koffern führt, mit echtem und ewigem Obdach nur in der Welt der Kunst. Also bringt Schroeter die Premiere seines Films „Diese Nacht“, gedreht nach dem Roman „Para esta noche“ (1943) von Juan Carlos Onetti, in sicherer Distanz zur Restwelt über die Bühne. Das frühe Werk des großen Uruguayers erscheint Mitte Mai bei Suhrkamp erstmals auf Deutsch, der Film kommt bereits Anfang April ins Kino.

Distanz nach allen Seiten: Sie passt auch vorzüglich zu Onetti selbst, der zeitlebens die Welt so auf Abstand hielt, dass er sie im späten Madrider Exil monatelang nur mehr wie ein nihilistischer Oblomow im Bett liegend und Zeitung lesend wahrnahm, dies allerdings exzessiv. Schließlich hatte er sich, darin Schroeter höchst verwandt, in seinen Büchern mit immerselbem Personal längst ein eigenes Universum erschaffen – rund um die erfundene Stadt Santa Maria, vorzustellen als ein mythisches Kleinstadt-Montevideo am Ufer eines großen Flusses.

Schroeter hat diesen (Alb-)Traumort im nordportugiesischen Porto auf seine Weise genialisch und opernhaft wiedererfunden: als Schauplatz einer langen, finsteren Reise in den Tag, als Sehnsuchtsort eines Mannes, der auf der Suche nach seiner verschwundenen Geliebten im entfesselten Terror rivalisierender Milizen und Geheimpolizeien landet. Onettis pessimistische Allegorie auf sein jahrzehntelang in blutigen Diktaturen ertrinkendes Südamerika ersteht bei Schroeter in symbolischen, sehr theaterhaften Arrangements neu – vor allem als Metapher der Männergewalt über die Frauen.

Vom Film aber soll hier einstweilen ebenso sparsam die Rede sein wie am Donnerstagabend in der Volksbühne. Stattdessen von seinem verdüsterten Schöpfer, der kurz ins Kunstlicht der Öffentlichkeit tritt und – bevor er sich vielleicht in Portugal ansiedelt auf Einladung seines stets wagnisfreudigen Produzenten Paulo Branco – in der ungeliebten Uraltheimat Deutschland die Flucht nach vorn antritt, über ein Fremdeln hinweg. Ganz am Anfang des Abends immerhin zeigt sich Werner Schroeter überwältigt von dem riesigen Auditorium, er nennt es sogar „ein großes Glück“. Ach, Glück: Wenn es bloß auszuhalten wäre.

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