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Kultur: Der ungerechte Krieg

In Amerika wächst der Widerstand gegen Bushs Politik. Unter den Gegnern eines Präventivschlags gegen Saddam sind nicht nur Pazifisten

Von Malte Lehming

Jedes Land hat seine Dauerbesorgten. In Deutschland sind das Walter Jens, Horst-Eberhard Richter, Franz Alt und Friedrich Schorlemmer. Auch Amerika hat seine Dauerbesorgten. Dort heißen sie Noam Chomsky, Susan Sontag, Gore Vidal und Norman Birnbaum. Deren Einfluss auf das Weltgeschehen ist so gering wie das ihrer Kollegen in Deutschland. Das verbittert sie natürlich. Mahner wollen schließlich gehört werden. Also beschweren sie sich über die schweigende, gleichgeschaltete Masse, die von der perfiden Rhetorik der regierenden Klasse eingelullt worden sei.

Bislang verlief in den USA auch die Debatte über den Irak-Krieg entlang der bekannten Fronten. Einige Künstler, Schauspieler und Intellektuelle taten sich zusammen, schalteten Anzeigen und versuchten auf viele andere Arten, mit ihren Einwänden in die Öffentlichkeit zu gelangen. Doch die blieb seltsam unbeeindruckt. Die Mehrheit der Amerikaner befürwortet nach wie vor einen Krieg gegen Saddam Hussein. Die dafür notwendige Autorisierung wird dem Präsidenten voraussichtlich noch in dieser Woche vom Kongress erteilt. Selbst die meisten oppositionellen Demokraten wollen, mit Einschränkungen, für die Resolution stimmen.

Langsam allerdings wird der gesellschaftliche Konsens brüchig. So lange nur die Dauerbesorgten protestierten, konnte die Bush-Regierung auf Kurs bleiben. Nun aber melden sich zunehmend Intellektuelle zu Wort, die nicht im Verdacht stehen, schon aus Prinzip gegen jede Art von Krieg zu sein. Im Gegenteil: Einige von ihnen hatten Mitte Februar in einer Streitschrift den Kampf gegen den Terror zum gerechten Krieg erklärt. „Es gibt Zeiten“, schrieben sie, „in denen es nicht nur moralisch gerechtfertigt, sondern sogar geboten ist, den Krieg zu erwägen. Derzeit erleben wir einen solchen Moment.“ Das Manifest wurde von führenden US-Gelehrten unterzeichnet. Zu den Prominentesten gehören der Historiker Samuel Huntington, die Soziologen Francis Fukuyama und Michael Walzer sowie der Gesellschaftstheoretiker Amitai Etzioni, der als führender Kopf der kommunitaristischen Denkschule gilt. Der Afghanistankrieg hatte diese Gruppe zusammen geschweißt. Die Irak-Krise spaltet sie jetzt. Das ist ein Signal.

„Ich habe in Vietnam gekämpft, ich war für den ersten Golfkrieg, und ich habe nach dem 11. September alle Maßnahmen unserer Regierung im Kampf gegen den Terror unterstützt, einschließlich des Krieges in Afghanistan. Aber ich bin gegen einen erneuten Krieg im Irak." William Galston hat triftige Gründe. Laut der Lehre vom gerechten Krieg, die ihm als ethischer Kompass dient, ist die gewaltsame Absetzung einer unliebsamen Regierung kein legitimes Kriegsziel. Als Akt der nationalen Selbstverteidigung wiederum kann die Bush-Administration ihr Vorhaben kaum glaubwürdig deklarieren. Die Bedrohung sei weder akut noch ernsthaft. Zur Einhaltung der UN-Resolutionen schließlich kann Bagdad nur vom Sicherheitsrat selbst gezwungen werden. „Dieser Krieg wäre eindeutig unmoralisch“, folgert Galston. Der schlanke, weißhaarige Mann ist Direktor des „Institute for Philosophy and Public Policy".

Mit Galston saßen am Montag in der „Carnegie Endowment for International Peace" in Washington drei weitere Unterzeichner des US-Manifestes auf dem Podium. Kein einziger von ihnen unterstützt die Bush-Regierung bedingungslos. Das ist um so bemerkenswerter, weil die Streitschrift in Deutschland so verstanden wurde, als würde sie die moralische Begründung für einen Feldzug gegen den Irak gleich mitliefern. Die Berufung auf die Lehre vom gerechten Krieg wurde als anmaßend und überhöhend verurteilt. Übersehen wurde dabei, dass die Lehre vom gerechten Krieg alles andere als eine Rechtfertigungslehre von Kriegen ist.

Kein Wunder daher, dass sich auch Michael Walzer, der führende Experte in Sachen Moralität und Krieg, vehement gegen einen Irak-Feldzug ausspricht. Walzer unterscheidet strikt zwischen präventiven Kriegen, die zur Abwehr einer unmittelbar drohenden Gefahr gerechtfertigt sein können, und vorbeugenden Kriegen, bei denen die Gefährdung, die es angeblich abzuwehren gilt, eher spekulativen Charakter hat. Vorbeugende Kriege seien von der Theorie des gerechten Krieges nicht gedeckt. Ebenso sei die Absetzung eines Regimes keine ausreichende Begründung für einen Krieg. Außerdem bestehe die Hoffnung, Saddam Hussein durch internationalen Druck zur Vernichtung seiner Massenvernichtungswaffen zwingen zu können. Wie Galston folgert Walzer: „Der Krieg, den diese Regierung plant, ist weder gerecht noch notwendig.“

Der 11. September 2001 ist in Amerika oft mit dem 7. Dezember 1941 verglichen worden, dem Tag des japanischen Überfalls auf Pearl Harbor. Gerade die Irak-Kriegsdiskussion zeigt, wie lehrreich die Historie ist. Aus japanischer Sicht war der Angriff auf Pearl Harbor ein notwendiger vorbeugender Kriegsakt. Das zuvor verhängte Embargo gegen Japan, unter Führung der USA, hatte Wirkung gezeigt. Sowohl die Wirtschaft als auch das Militär darbten vor sich hin. Besser jetzt in den Krieg ziehen, als zu einem späteren Zeitpunkt verteidigungsunfähig zu sein, sagten sich die Strategen.

Die amerikanische Logik im Falle des Irak gleicht der japanischen Logik von damals. Die US-Regierung begründet ihre Pläne mit dem Argument, handeln zu müssen, bevor es zu spät sei. Doch das ist ein Vorwand, kritisiert Walzer. „Ein Land muss zwar nicht warten, bevor es angegriffen wird, aber es muss warten, bis es deutliche Zeichen dafür gibt, dass es angegriffen werden soll." Diese Zeichen gebe es nicht. Kein Indiz lege den Schluss nahe, dass Saddam Hussein kurz davor sei, Massenvernichtungswaffen gegen Amerikaner einzusetzen.

Allerdings sollte Walzers Haltung in Deutschland nicht missverstanden werden. Mindestens ebenso stark wie die Bush-Regierung kritisiert er die Schröder-Truppe. Der Krieg sei nur dann zu vermeiden, sagt Walzer, wenn es ein neues, scharfes UN-Mandat für die Rückkehr der Inspektoren gebe. Die Drohkulisse müsse glaubwürdig sein, um Saddam zu beeindrucken. „Nur die Europäer können uns vor diesem Krieg retten." Sie müssten alles vermeiden, was Saddam als Schwäche interpretieren könnte.

Wer grundsätzlich gegen alle Kriege ist, wird nicht ernst genommen, wer jeden Krieg gutheißt, auch nicht. In den USA hat eine differenzierte, scharfsinnige Kritik an den Kriegsvorbereitungen gegen den Irak eingesetzt. Sie betrifft den Kern des Problems, die Moral. Alle anderen Erwägungen - Wie riskant ist ein Krieg? Was kostet er? Nützt er der Demokratie im Nahen Osten? Sichert er die Ölreserven? - entstammen purem Nützlichkeitskalkül. Mit der ethischen Debatte haben sie nichts zu tun. Die einzige Rechtfertigung für jede Art von Invasion besteht darin, eine akute Gefahr für Leib und Leben abwenden zu wollen.

Allein an diesem Postulat wird sich die Bush-Regierung messen lassen müssen. Und sie tut sich schwer damit. Wie sehr sie schwimmt in ihrem Versuch einer Rechtfertigung, belegen die diversen Begründungen, mit denen sie ihre Aufmarschpläne begleitet. Der Kreis der „neokonservativen Interventionisten" um den stellvertretenden Verteidigungsminister Paul Wolfowitz verfolgt das angeblich so honorige Ziel einer Demokratisierung des Nahen Ostens. Die „offensiven Realisten" um Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wollen den amerikanischen Einflussbereich ausdehnen. Und die „defensiven Realisten" um Außenminister Colin Powell streben danach, möglichst im Rahmen von Allianzen die UN-Resolutionen umzusetzen. Da regt sich ein Verdacht, den immer mehr Amerikaner teilen: Wer so viele Gründe braucht, der hat womöglich keinen.

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