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Kultur: Der Untergang 2

Thomas Langhoffs Wiener „Wallenstein“ versucht eine Antwort auf Peter Steins Berliner Marathon

Die eigentliche Überraschung ist der Anfang. Halbdunkel, düstere Gestänge in fahlem Bühnennebel und an der Rampe um die dreißig Typen in Springerstiefeln und olivgrünen Kampfanzügen, verrußte Gesichter und brüllende Münder. Es ist ein Röhren und Rappen, und man versteht nur Satzfetzen, stampfende Kriegsbeschwörung und: „Wir sind des Wallenst eins wilde Jagd! ...“

Was wirkt wie eine Dosis rechter Teutonen-Techno, sind ein paar Zitate aus „Wallensteins Lager“, mit musikalisch-martialischem Gehabe angespitzte Sätze, die dem ersten Teil der Schiller’schen „Wallenstein“-Trilogie entnommen sind: ein Mundraub aus dort eher folkloristisch bramarbasierenden Landsknechtskehlen. Dem dröhnenden, mikroverstärkten Bandleader wird man bald darauf als Graf Isolani wiederbegegnen, bei Schiller ein General der zu Wallensteins Söldnerheer gehörenden Kroaten. Und Isolani, mit schwarzem Barett, Goldzähnen und Pferdeschwanz überm Battledress (gespielt von Johannes Krisch), sieht nun aus wie ein Abziehbild balkankriegerischer Bandenführer, egal ob kroatischer Ustascha oder serbischer Tschetnik.

Sagten wir Führer? Thomas Langhoffs „Wallenstein“-Inszenierung im Wiener Burgtheater, die mit Spannung erwartete Antwort auf Peter Steins Berliner „Wallenstein“, versetzt das Schiller-Drama tatsächlich in ein imaginär heutiges Führerhauptquartier. Der Szenenbildner Bernhard Kleber hat als Wallensteins Welt eine Art Filmset für jedweden martialischen Untergang entworfen: alles schwarzgrau, nachgemachte Granitpfeiler, darüber Eisengestänge, dazwischen Zugbrücken, schiefe Bahnen, Treppen hinauf und hinab, so symbolisch wie eindeutig. Ein Piranesi-Kerkerlabyrinth wie vom Bühnenbaumarkt, praktisch, quadratisch, depressiv.

Weiter und kurioser könnte der Abstand also nicht sein zwischen eben noch Berlin und hier jetzt Wien. Wo der 70-jährige Preuße Peter Stein mit dem alten, wunderbaren Darsteller Walter Schmidinger, einem nie überhörbaren Österreicher, in Berlin-Neukölln Schillers Prolog als zarte, melancholisch-märchenhafte Widmung und leicht ironische Erinnerung an längst vergangene Theater-Ären im Lichte neuer Zeiten erklingen ließ, will der Preuße Thomas Langhoff (demnächst 70) gleich: dampfend heutig sein.

Also kein Prolog. Und der erste Teil, „Wallenstein Lager“, mit einem Rap erledigt. Nun war das Landser-„Lager“ in Berlin auch arg milieupinselig geraten, wie bewegte barocke Genrebilder, voll der Säufer, Marketenderinnen, krachenden Mannsbilder mit gefiedertem Dreispitz und so weiter. Darauf kann man verzichten, auch wenn den militärischen Führern dann gleichsam das Fußvolk fehlt und Schillers hierarchisch-dramatischer Showtreppenwitz: denn immer weiter aufwärts geht’s erst richtig bergab. Bei Wallensteins Fall.

Steins Berliner Titelheld war der Wiener Burgschauspieler Klaus Maria Brandauer. Langhoffs Wiener Protagonist heißt Gert Voss, den ursprünglich auch Stein sich als seinen Hauptdarsteller wünschte. Voss aber war der Regisseurin Andrea Breth schon im Wort als Wiener Wallenstein. Breth indes erkrankte zu Probenbeginn, ein Jahr später hat Langhoff die Sache übernommen und völlig neu ersonnen. Mit einer insofern schon radikalen Antwort auf Steins fast ungestrichenen neunstündigen „Wallenstein“, als er auf vier Stunden kommt. Es geht also schnell in Wien, obwohl über 50 Darsteller aufgefahren werden. So schnell, dass eine Manifestmanipulation der Offiziere um Wallenstein („Vor Tische las man’s anders“) für Nichtkenner kaum mehr verständlich scheint und das stumme Verschenken einer Frauenperlenkette an einen Soldatenmann zum Lapsus wird. Sei’s drum, im Ganzen ist die Wiener Textfassung klug bedacht. Nur fehlt der literarischen Verdichtung oft die szenische, die inszenierte Dichtung. An Gert Voss liegt dies indes am wenigsten.

Um seinen Wallenstein herum wimmelt es nur so von heutigen und halbheutigen Uniformträgern, grün, grau, blau durcheinander, mal Ami-, mal Russen, mal Bundeswehrlook. Zivilisten, das sieht man nur zu deutlich, wollen hier Krieg spielen, Wachen und Ordonanzen wuseln herum, und manchmal denkt man, gleich sind wir beim Zuckmayer gelandet. In „Des Teufels General“. Auch des Kaisers (abtrünniger, darum am Ende ermordeter) Feldherr Wallenstein schwingt hier zwar einen Marschallstab. Aber Gert Voss, meist im leger eleganten schwarzen Anzug mit Smokingbiesen und offenem Hemd, spielt als Obermilitär den vornehmlich zivilen Herrn.

Ein Konzernherr, dessen Geschäft der Krieg ist, weil nur der ihm Gewinn, Macht und die höchste Lust am Städte, Länder, Schicksale versetzenden Spiel verspricht. Und als er Frieden mit des Wiener Kaisers Feinden, den Schweden, plant und das Spiel, bevor es Tat und Ernst wird, verraten ist, gerät er ins Verderben. Bei Brandauer, der die Rolle als rundlicher Bonvivant begann, rollte da eine mächtige Menschenkugel in den Abgrund. Bei Voss ist das knapper, nerviger, fallhöher. Ein steiler Sturz, aus der Höhe freilich – des Spielers. Des Macht- und Menschenjongleurs, der den Marschallstab wie ein Lot des Glücks in der offenen Hand balanciert. Oder der sich seine Pistole unters Jackett schnallt wie der Pate. Da hat er eher Lust, statt eines strikten Militärs den schillernden Mafiaboss zu spielen (der schon im Originaltext „nie etwas schriftlich gibt“).

Voss’ Wallenstein ist auch ein Zögerer, der sehr dünne Zigaretten raucht und sich gedankenversonnen durch die weiße Mähne streicht, weil er die Eleganz und Weite der Gedanken mehr liebt als die blutig enge Tat. Einmal, da sinniert er auf der Sesselkante, sehr nah bei der Gräfin Terzky (Petra Morzé als blonde, kühle Salonschlange), über deren handfeste Intrigenpolitik, bleibt selber lange stumm, und plötzlich ist da als tieferer, dunklerer Grund auch die Macht der Erotik im Spiel. Nicht nur die Erotik der Macht.

Das ist der stärkste, magischste Moment. Einer sonst eher geheimnislosen, sonderbar kalten, ja auch: geistlosen Aufführung. Wallensteins Gegenspieler, den alten Piccolomini, hat Langhoff vom Deutschen Theater Berlin geholt, und Dieter Mann versieht den trockenen, intriganten Schleicher mit der gewohnten busterkeatonhaften Lakonik des Ausdrucks. Würdevoll sinister. Ein Fastausfall dagegen der Sohn Max: Christian Nickel wirkt als junger Piccolomini und Anführer der Pappenheimer wie eine zivile Modepuppe im jetzig schicken Lederlook.

So unbelebt, so möchtegernmodern wie Langhoffs ganzer fernsehfilmartiger Pseudorealismus mit Sitcom-Einlagen, Aktenköfferchen, MG-Attrappen und echt wischenden Putzfrauen im falschen Führerhauptquartier. Während Stein formal das Theatermuseum betonte und Schillers altes Stück über Krieg und Liebe, Politik und Verrat plötzlich im Inhalt umso überraschender naherückte, lässt Langhoffs äußerlich bemühter Zoom ins Zeitgenössische das wahre Drama als sehr fern erscheinen.

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