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Kultur: Der Untergeher

Beschwören und betören: Ismael Ivo beim Wiener Impuls-Tanz-Festival

Von Sandra Luzina

„Ich sterbe jeden Tag, das ist der Grund, warum ich lebe.“ Dieses Wissen, das zuerst paradox anmutet, umkreist Ismael Ivo in „Apocalypse“. Und stellt damit unsere westlichen Vorstellungen auf den Kopf oder vielmehr auf die Füße. Denn es geht darum, das Leben eben nicht als die Abwesenheit von Tod zu begreifen. Ismael Ivos Solo ist zugleich ein Duett. Denn es ist die ungewöhnliche Begegnung zwischen dem in Berlin lebenden Tänzer mit den afrikanisch-brasilianischen Wurzeln und dem japanischen Pianisten und Komponisten Takashi Kako, der am Pariser Konservatorium studiert hat und ein Schüler von Olivier Messiaen ist. Die Neueinstudierung des legendären Stücks, eine Koproduktion mit dem Theaterhaus Stuttgart, war zum Endspurt des ImPulsTanz-Festivals im Wiener Volkstheater zu sehen.

„Ein Tänzer – und ich spiele.“ Alles begann damit, dass Takashi Kako eines Tages dieses Bild vor Augen hatte. Es vergingen dann noch mal zwei Jahre, bis er Ismael Ivo begegnete. Die beiden Virtuosen begannen einen intensiven Dialog. 1989 wurde „Apocalypse“ in Tokyo uraufgeführt. Regie führte Ushio Amagatso, der sich mit seiner Gruppe Sankai Juko, einem rein männlichen Butoh-Ensemble, auch in Europa einen Namen gemacht hat. Für die drei war es eine aufwühlende Erfahrung, der sie sich nun noch einmal aussetzen wollten – 17 Jahre später. Beim diesjährigen Berliner In-Transit-Festival ist Ivo sogar mit dem noch älteren „As Galinhas“ gefeiert worden – ein radikales Stück über Rassismus, Gewalt und Unterdrückung.

Ein Flügel steht auf der linken Seite der Bühne im Volkstheater. Takashi Kako hat den grauen Hut tief ins Gesicht gezogen, verwegen schaut er aus, und überrascht dann mit seinem unerhört zärtlichen Anschlag. Perfekter Wohlklang hüllt den Körper ein, der reglos daliegt wie aufgebahrt. Was folgt, ist ein Erwachen, ach was, eine Erweckung! Zunächst antwortet Ivo auf die Musik nur mit minimalen, tastenden Regungen, er hebt den Arm, lässt die Hände spielen – das korrespondiert wunderbar zum Tanz der Finger auf den Klaviertasten. Ivo bewegt sich zunächst wie in Trance und zeigt dann, wie das Selbstbewusstsein erwacht und dieser Körper wieder bewohnbar wird. Dann steht der Tänzer still im Licht: Für einen bewegenden Moment scheint es, als habe er einem namenlosen Schrecken ins Gesicht geschaut. Alles konzentriert sich auf seinen Blick.

Ein gelbes Tuch um die Lenden geschlungen, mutet er freilich wie ein kultischer Priester an. Und gefällt sich gelegentlich in Ausdruckstanz-Reminiszenzen, die ornamental, manchmal auch maniriert wirken. Das Skandalon aber ist: Ismael Ivo stellt den (fast) nackten Körper aus und zielt auf Vergeistigung. Er zeigt die Muskeln der Seele. Schweiß rinnt über seinen Leib, er atmet heftig, sein Brustkorb hebt und senkt sich. Die Funktionen des Lebens werden sichtbar gemacht, und der Körper verfremdet sich zum grotesken Anatomie-Theater. Da zeigt sich Ivos Affinität zum tiefschwarzen Butho, der ja ein Tanz der Dunkelheit ist. Auch Takashi Kako seziert nach den subtilen Klangmalereien des Beginns das Klavier, hämmert auf die Tasten und traktiert die Saiten mit kontrollierter Wut. Ivo durchquert die Emotionen wie im Zeitraffer: kreist in Ekstase, windet sich in Qual und Selbstzerfleischung, streift den Wahnsinn und wirft sich in die Revolte – und attackiert sogar den Klavierspieler.

Schmerzlich schön ist diese Performance, fast zu schön. Apocalypse wow! Der Untergeher zeigt bestürzende Szenen des Aufstehens und Fallens. Und spinnt dann wieder das Thema Tod und Verklärung fort. Ivo scheint dann ergriffen von der eigenen Ergriffenheit. Vor allem ist „Apocalypse“ aber die bewegende Begegnung zweier Virtuosen: ein Abend der Beschwörung und Betörung, zwischen Verführung und Kampf. In Wien gab es Huldigungen und begeisterten Applaus für die drei Berühmtheiten. Die Wiener verehren ihren Ivo. Als einer der Mitbegründer des ImPulsTanz-Festivals wurde er soeben mit dem Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien ausgezeichnet. Die Tanz-Biennale in Venedig wird er bis 2007 leiten. Zeit für ein neues Projekt in Berlin bleibt da noch. Im Dezember wird er im neu eröffneten Bode-Museum Mozarts erste Oper „Apollo und Hyazinthus“ inszenieren, die musikalische Leitung hat Christoph Hagel.

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