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Kultur: Der Vater der Vögel

Etwas merkwürdig sieht diese Mensch-Maschine schon aus.Eine braune Kordhose trägt sie, ein schwarzes Hemd, einen Stoppelbart und da wo die Finger aufhören, befinden sich lederbezogene Schalthebel, die ständig auf einen Draht drücken, der auf einem Stück Holz befestigt ist.

Etwas merkwürdig sieht diese Mensch-Maschine schon aus.Eine braune Kordhose trägt sie, ein schwarzes Hemd, einen Stoppelbart und da wo die Finger aufhören, befinden sich lederbezogene Schalthebel, die ständig auf einen Draht drücken, der auf einem Stück Holz befestigt ist.Die Mensch-Maschine ist Oskar Sala mit seinem Mixturtrautonium.Eine Symbiose, wie man sie nur selten erlebt.Ohne den einen könnte der andere nicht existieren.Davon ist zumindest Oskar Sala überzeugt.Der Thüringer Arztsohn ist einer der letzten noch lebenden Musiker, Komponisten und Erfinder aus der Pionierzeit der elektronischen Musik.Das Trautonium wiederum ist das letzte intakte seiner Art - lediglich noch in Bonn und Paris befinden sich kaputte Museumsexemplare.

Als das erste Trautonium 1930 von seinem Namensgeber, dem Physiker Friedrich Trautwein, unter Mithilfe des Komponisten Paul Hindemith entwickelt wurde, war es mit seinem stufenlos regelbaren Bandmanual das erste elektronische Saiteninstrument.Sala, der zu dieser Zeit Schüler Hindemiths an der Berliner Musikhochschule war, zeigte sich fasziniert von den Möglichkeiten des Trautoniums und widmete sich fortan seiner Beherrschung und Weiterentwicklung.Während gewöhnliche Tasteninstrumente auf die zwölf Halbtöne der Oktave beschränkt waren, war das Klangspektrum des Trautoniums nahezu unbegrenzt.Mit den von Sala entwickelten subharmonischen Mixturen konnten sogar Untertöne zu Akkorden zusammengefügt werden, die sich mit einem Finger spielen liessen.Harald Genzmer, ein mit Sala befreundeter Komponist, schrieb Stücke für das Gespann.Über 600 Aufnahmen umfaßt heute das Gesamtwerk von Oskar Sala.Höhepunkte waren für ihn Auftritte mit Richard Strauss und Paul Dessau.Einem breiteren Publikum wurde er jedoch erst bekannt, als ihn in den 60ern die Filmindustrie entdeckte.Er sorgte für die bedrohlichen Soundeffekte in Hitchcocks "Die Vögel", half Edgar Wallaces Filme, "Die Brücke" und "Das Mädchen Rosemarie" zu vertonen und schrieb Soundtracks für etliche Industriefilme.

Umgeben von Zeitungsausschnitten, Patenturkunden, Konzertankündigungen, Erinnerungsfotos mit Hitchcock und Aufnahmen aus der Wochenschau sitzt Oskar Sala in einem Charlottenburger Reihenbungalow auf einem mit drei Kissen gepolsterten Holzstuhl und schaltet an seinem "Höllenhund", wie er sein Instrument zugleich liebe- und respektvoll nennt.Die dutzenden Drehköpfe kennt er auswendig, an den Digitalanzeigen stellt er unterschiedliche Primzahlen ein, drückt ein paar Hebel, bedient die Fußpedale und entlockt dem Instrument ein langgestrecktes "Oieoieoioioi", das in etwa so klingt, als würde ein Geist Samson aus der Sesamstraße imitieren.Wenn Sala seiner Maschine solche Töne entlockt, strahlen seine Augen.Dann stoppt er plötzlich, sagt "Nachmachen!" und lacht schallend - wohlwissend, daß niemand außer ihm selbst auch nur eine Ahnung hat, wie man das Trautonium bedient.Über mangelnde Aufträge kann sich Oskar Sala nicht beschweren.Im letzten Jahr arbeitete er etwa für das Berliner Ensemble an Shakespeares "Der Sturm", regelmäßig wird er zu Vorträgen eingeladen.Tantiemen garantieren ihm ein sicheres Einkommen, sogar das Bundesverdienstkreuz wurde ihm verlieren.

Dennoch ist das Trautonium in Vergessenheit geraten - anders als andere Instrumente aus der elektronische Steinzeit, mit denen Sala 1932 auf der Funkausstellung unter dem prophetischen Motto "Elektrische Musik - Musik der Zukunft" auftrat.Die auf einem Röhrengenerator beruhenden Ondes Martenot etwa gehören zum festen Bestandteil des Orchestre National de France.Das Theremin, das man nicht berühren muß, um es zu spielen, wurde auf Platten von den Beach Boys bis Portishead eingesetzt.Das Mixturtrautonium aber scheint zum Aussterben verdammt zu sein.Das ist auch Oskar Sala klar.Ein großer Komponist ist er nicht, zur Zusammenarbeit mit anderen Musikern kam es nie und an zeitgenössischer Musik - klassischer wie populärer - hat er ebenso wenig Interesse wie an neueren Methoden der Klangsynthese."Das ist doch amerikanischer Stuß in Reinkultur.Die produzieren die gleichen temperierten Klänge wie das Klavier.Das ist die Enthauptung der elektronischen Musik." Dennoch sind es gerade die durch Synthesizer, Drumcomputer und Sampler entstandenen Stile, die den herkömmlichen Musikbegriff erweitert und elektronische Musik populär gemacht haben.Wovon auch Oskar Sala und sein Mixturtrautonium profitieren.Vor zwei Jahren etwa wurde er auf einem ausverkauften Konzertvortrag in der Volksbühne gefeiert wie ein Popstar."Solche Riesenveranstaltungen gab es ja früher nicht.Da konnte man schon froh sein, wenn die Leute bei solcher Musik auf ihren Plätzen blieben", zeigt sich Sala erstaunt.Auch Kraftwerk, die das Konzept der Mensch-Maschine in die Popmusik einführten, statteten Oskar Sala in seinem Bungalow einen Besuch ab.Für das Atonal Festival, bei dem Sala am Sonntag auftreten wird, hat er sich passender Weise eines seiner "großen atonalen Stücke aus den 70ern" ausgesucht.Allerdings nur in Form eines Tonbandes.Den Transport will er seiner empfindlichen Maschine nicht zumuten.Schade, denn auch im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit von Klängen erinnern Sala und sein Mixturtrautonium daran, das an der Schnittstelle zwischen Mensch und Instrument noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind.

HEIKO HOFFMANN

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