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Kultur: Der Venusverführer

OPER

Immer mehr Berliner Opernfans leiden unter dem so genannten Sarrazin-Syndrom: Überall erscheint ihnen der musiktheatermuffelige Finanzsenator. Erst vermeint man ihn beim Herumkurven auf dem Parkdeck der Deutschen Oper entdeckt zu haben, dann sieht der grau gefärbte Darsteller des Landgrafen Hermann in Richard Wagners Tannhäuser ganz verdächtig nach dem Politiker aus. Ausgerechnet der Landgraf, den die Chormassen als „Beschützer der holden Kunst“ hoch leben lassen! Wäre Thilo Sarrazin am Sonntag im restlos ausverkauften Saal gewesen, er hätte eine Aufführung erlebt, die jeden Subventions-Cent wert war. Optisch ist Götz Friedrichs opulente Inszenierung von 1992 immer noch vorzeigbar, akustisch stellte der Abend die meisten „Tannhäuser“-Besetzungen einschließlich der letztjährigen Bayreuther Neuproduktion locker in den Schatten. Wolfgang Rennert passte den musikalischen Atem ganz dem filmischen Realismus der Regie an, verzichtete auf weihevolles Schreiten, setzte stattdessen auf Dramatik und Tempo, so dass dem bestens aufgelegten Orchester manches Mal ganz schön heiß wurde. Mit rückhaltlosem Engagement stürzte sich auch Peter Seiffert als Titelheld in den Kampf mit Wolfram (wundermild: Markus Brück) und den Ultrakonservativen von der Wartburg: Kein Wunder, dass so einem Sänger weder die ultrasexy Venus der Nadja Michael noch Nina Stemmes strahlend schöne Elisabeth widerstehen konnten – eine bessere Besetzung für diese Mörderpartie dürfte derzeit weltweit kaum zu finden sein.

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