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Kultur: Der Verführer

Rudolf Thomes Italien-Drama „Ins Blaue“.

Verführung, glauben wir, hat etwas mit Eleganz, ja mit Virtuosität zu tun. Es ist ein Spiel für die, die es beherrschen. Verführung heißt, jemandem zu nahe treten, ohne ihm nachweisbar zu nahe getreten zu sein. Eigentümlicherweise ist die Verführung ein Lieblingsthema des Rudolf Thome. Thome ist der Virtuose einer gewissen Unbeholfenheit, ja, einer – irgendwie vorsätzlichen? – Laienhaftigkeit. „Ins Blaue“ macht hier keine Ausnahme. Um es gleich zu sagen: Es ist der letzte Film mit Vadim Glowna, einem Schauspieler, dem es einfach nicht gegeben ist, egal wo, egal wie, laienhaft, deplatziert zu wirken. Man nennt das auch Präsenz. Und er hat, noch immer, vielleicht die Stimme der Verführung. Was für eine Rolle für eine letzte Rolle. Er spielt einen Schauspieler, der genau diese spielt.

Zu den Tatsachen. Ein VW-Bus voller junger Mädchen fährt nach Italien. Sie wollen dort das Meer und den Sinn des Lebens suchen und nebenbei noch einen Film drehen: über das Meer und den Sinn des Lebens. Die junge Regisseurin (Alice Dwyer) nimmt ihren alten Vater mit, Schauspieler, Regisseur. Er hat die nötigen Kontakte. Vor allem aber ein wohlverborgenes Verhältnis zu einer der Hauptdarstellerinnen. Immer wieder möchte man dazwischenrufen: Die Szene raus! Viel zu lang! Auch klingen alle – bis auf Glowna –, als müssten sie einen Text aufsagen. Vielleicht mag Thome diesen Tonfall. Und ja, das Linkische, das Ungedeckte, das Ungeschützte – ist die Praxis der Verführung nicht aus ihnen gemacht? Vielleicht hat Thome sogar recht.

Die jungen Frauen begegnen einem Fischer, einem sexuell hochbegabten jungen Mönch und zuletzt einem alten Philosophen, Wittgenstein mit Namen. Den muss der widerstrebende Vater, Glowna, spielen, weil es so billiger wird. Produktionskosten senken. Die Verführung eines alten Mannes vor der Kamera der Tochter. „Ins Blaue“: Das ist die Geburt der Tragödie aus der, nun ja, Langeweile. Für alle, die Thome mögen und keine Angst haben vor seinen abrupten Wechseln zwischen Nichts und Zuviel. Vor allem aber für alle, die noch einmal Vadim Glowna begegnen möchten. Kerstin Decker

Tilsiter Lichtspiele

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