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Kultur: Der wahre Schubert

SOTTO VOCE Jörg Königsdorf befindet sich im Entscheidungsnotstand Ganz ehrlich: Nie im Leben würde ich KlassikCDs verkaufen wollen. Ich bewundere diejenigen Menschen, die ihr Leben dieser Aufgabe geweiht haben, zutiefst, aber ich könnte das einfach nicht.

SOTTO VOCE

Jörg Königsdorf befindet sich im Entscheidungsnotstand

Ganz ehrlich: Nie im Leben würde ich KlassikCDs verkaufen wollen. Ich bewundere diejenigen Menschen, die ihr Leben dieser Aufgabe geweiht haben, zutiefst, aber ich könnte das einfach nicht. Denn wo es Buchhändler schon schwer haben, aus den meist ziemlich diffusen Angaben der Kunden deren Geschmack zu erraten oder das optimale Geschenk zu destillieren, ist die Aufgabe der CD-Verkäufer noch viel schwerer. Denn sie müssen ja nicht nur die richtigen Werke aufgrund von Beschreibungen wie „Ich habe da neulich was im Radio gehört, das ging ungefähr so“ erraten, sondern auch noch die allerbeste Version unter -zig Aufnahmen empfehlen. Und diejenigen, die diesen Job auch noch mit besonders missionarischem Eifer versehen und dem Kunden statt der neusten Gelbetikett-Scheibe die Aufnahme eines komplett unbekannten Künstlers auf einem obskuren Kleinlabel empfehlen, werden oft auch noch mit Misstrauen gestraft.

Ich dagegen habe ja schon Schwierigkeiten, wenn ich zwischen einem Harnoncourt-Schubert und einem Herreweghe- Schubert auswählen soll - um endlich auf zwei der wichtigsten Ereignisse der knallvollen Konzertwoche zu sprechen zu kommen: Also Nikolaus Harnoncourt mit den Philharmonikern , die heute und morgen in der Philharmonie die Sinfonien Nummer zwei und vier auf dem Programm haben (nebst ein paar Schubert-Arien), oder am Dienstag im Konzerthaus das Konzert von Philippe Herreweg he mit seinem auf Originalinstrumenten spielenden Orchestre des Champs Elysées , die mit der fünften und einem ganz selten zu hörenden sinfonischen Fragment Schuberts antreten? Mit dem Solisten Christian Tetzlaff, dem vielleicht gescheitesten deutschen Geiger, und einer Mendelssohn- Programmhälfte mit dem Violinkonzert und der „Sommernachtstraum“-Ouvertüre hat Herreweghe natürlich einen Super-Zusatztrumpf, aber die Kernfrage bleibt dennoch, von wessen Schubert-Interpretation mehr zu erwarten ist: Ob die rhetorische Drastik Harnoncourts bei der „tragischen“ Vierten und der ehrgeizigen Zweiten ebenso überzeugend sein wird wie die klassizistische Klangchirurgie Herreweghes bei der mozartnahen Fünften? Wie gesagt, ich bin schon mit so einer einfachen Entweder-Oder-Entscheidung völlig überfordert. Und wenn Sie in dieser Sache partout einen Rat wollen, fragen Sie vielleicht doch lieber Ihren CD–Verkäufer.

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