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Kultur: Der Weg des Geistes ist ein Umweg

„Ich war gegen die Studentenbewegung“: Verleihung des Frankfurter Adorno-Preises an den Komponisten György Ligeti

Adornos hundertster Geburtstag rechtfertigt es, den renommierten Theodor W. Adorno-Preis der Stadt Frankfurt nicht nur alle drei, sondern jetzt bereits nach zwei Jahren wieder zu vergeben – an den Komponisten György Ligeti, der in diesem Jahr mit seinem achtzigsten Geburtstag ebenfalls ein an vielen Orten gefeierter Jubilar ist. Dass der diesjährige Preisträger ein Komponist ist, zumal einer, der Adorno persönlich gut kannte, war ebenfalls eine Würdigung des großen Philosophen und Soziologen, der sich Zeit seines Lebens stets auch als Musiker empfand.

Im Rollstuhl nahm Ligeti den Preis entgegen. Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth schob den Geehrten selbst auf die Bühne, um ihm die mit 50 000 Euro dotierte Auszeichnung zu überreichen. In seiner Laudatio zeichnete der Musikkritiker und „FAZ“-Redakteur Gerhard R. Koch Parallelen in den Lebenswegen Ligetis und Adornos nach. Adorno habe nicht nur selbst Musik geschrieben, sondern „Musik durch Denken miterzeugt“. Koch wies auf weitere, tiefergreifende Gemeinsamkeiten zwischen Adorno und Ligeti hin, die allesamt historischen Symbolcharakter für das 20. Jahrhundert hätten. Beide sind Emigranten, beide stammen aus bürgerlichen jüdischen Häusern, beide sind den Nazis entkommen und beide prägt Fremdheit als Grundbefindlichkeit. In beider Biografien spiegelten sich die Katastrophen des 20. Jahrhunderts, so Koch weiter. Der im damals ungarischen, heute rumänischen Târnaveni geborene Ligeti erlebte nicht nur die Nazis, sondern auch den Stalinismus. Nach dem Ungarn-Aufstand 1956 floh er erst nach Wien und kam dann nach Köln, damals „Dorado der Neuen Musik“. Über mehrere Stationen wurde Ligeti dann an der Hamburger Musikhochschule Leiter einer Kompositionsklasse.

Adorno wie Ligeti haben zudem Musikgeschichte geschrieben; Adorno vor allem durch seine richtungsweisende, für manchen Komponisten, der durch das Raster fiel, nicht immer glückliche Rezeption seiner „Philosophie der Neuen Musik“, Ligeti mit seinen um 1960 nicht minder richtungsweisenden, weil klanglich eigentlich richtungslosen Werken. Im berühmt-berüchtigten Darmstadt der seriellen und postseriellen Zeit war Ligeti ein maßgeblicher Musikdenker und Komponist, der nach Zeiten des Determinismus den Weg ins Offene bahnte. Neben Stockhausen, dem jungen Carl Dahlhaus und eben Adorno wurde Ligeti rasch auch ein musiktheoretisch wichtiger Autor. Mit seinem kurzen, amorphen Donaueschinger Orchesterstück „Atmospheres“ erlangte Ligeti 1961 nicht nur einen Sensationserfolg, sondern Jahre später sogar ein Millionenpublikum: Als Musik in Stanley Kubricks Klassiker „2001 – Odyssee im Weltraum“. Klangflächenkomposition und Mikropolyphonie wurden von Ligeti kreierte Kompositionstechniken. Dass Musik immer unmittelbar gestisch wirkt und gerade trotz aller Technizismen unterschwellig psychologisiert, machten wenig später Ligeti „Aventures“ und „Nouvelle Aventures“ deutlich. Seine folgenden rhythmischen Experimente, oft am Rande des praktisch Spielbaren und frei im Zugriff auf ethnische oder avancierte Vorgaben, waren dann eine Art „auskomponierte Chaostheorie und hyperperfekte Konfusion“. Musik, so Koch, sei bei Ligeti immer auch angewendete Wahrnehmungstheorie, ein „Schürfen im Kristallinen“, ein „Uhrenticken und Wolkentreiben“.

„Ich bin gerührt“, waren Ligetis erste Worte im Mozartsaal der Alten Oper. Für Adorno habe er eine unglaubliche Bewunderung gehabt, für das was er schrieb, „obwohl das nicht so einfach war“. Hinter dem eisernen Vorhang, wo Schönberg, Bartok und selbst Debussy verboten waren, war Ligeti an Adornos „Philosophie der Neuen Musik“ nur auf „subversiven Schleichwegen“ herangekommen. „Ich muss sagen, ich habe sie nicht verstanden“, bemerkte Ligeti lakonisch. Seinen Darmstädter Form-Vortrag 1966, bei dem ihm Dahlhaus Sprachhilfe gab, habe Adorno gelesen und viel Übereinstimmung mit seinem eigenen Denken festgestellt. Ligeti fühlte sich geehrt. Daraufhin lud Adorno Ligeti zu seinen Frankfurter Vorlesungen ein. Es war die Zeit der Studentenproteste. Ligeti war von Adornos Denken verzaubert, die Studenten, die Adorno nicht zu Wort kommen lassen wollten, fand er „jämmerlich“. Ligeti meinte, die Studenten hätten aus Adorno, der doch auf ihrer Seite gestanden hätte, einen „Hanswurst“ gemacht. „Das war zuviel“ und habe vielleicht doch „Adornos frühen Tod mitverursacht“, fügte Ligeti fragend an. „Ich war gegen die Studentenbewegung und konnte es sein, denn ich kam aus Ungarn, einem Land des entwickelten Sozialismus“, schloss Ligeti seine Dankesrede.

Achim Heidenreich

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