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Kultur: Der weiße Schokoladeneisverkäufer

„Onkel Bill“ Ramsey ging als Kind mit dem schwarzen Chauffeur angeln. Dann kam er nach Deutschland, mit einer musikalischen Mission.

Ein Bär! Guck mal, da läuft ein Bär!“ Ein Bär? Ein schmächtiger kleiner Mann kommt uns auf der Kreuzung in Köpenick entgegen, und als er vorüber ist, ruft Bill Ramsey immer noch, voller Entzücken: „Ein Bär!“

Der Bär entpuppt sich als Ampelmännchen, Ost.

Ein paar Stunden später steht der 72-Jährige auf der Bühne im Rathaushof von Köpenick, im Rahmen des Jazzsommers, steht da – ein bisschen wie ein Bär, bewegt sich etwas tapsig von einem Bein aufs andere, wackelt mit dem Mikrofon, in das er mit Inbrunst singt. Nein, nicht „Souvenirs, Souvenirs“, nicht „Pigalle, Pigalle“ – Bill Ramsey singt Lieder von Duke Ellington, Songs aus „Porgy und Bess“. Es regnet an diesem Sonntagabend, es schüttet, die Fans hocken unter Regenschirmen, essen Hackepeter und Kesselfleisch, Harzer Käse und Schmalz, und Bill Ramsey singt Nat King Cole und Miles Davis, benutzt die Stimme wie ein Jazz-Instrument.

Ella Fitzgerald hatte Recht: „Wenn man die Augen schließt, denkt man, dass da ein Schwarzer singt.“

Wenn man die Augen öffnet, ist das einzig Schwarze an ihm das kleine Handtuch, mit dem er sich den Schweiß abwischt. Die junge Band trägt schwarz, wie es sich für deutsche Jazz-Musiker gehört. An Bill Ramsey ist alles weiß, von den Schuhen bis zu den Haaren: der Bart, die Socken, die Hose. Nur das weite Sommerhemd ist hellgrün.

William McCreery Ramsey ist so weiß, weißer geht’s nicht. Als „Wasp“ kam er 1931 in Ohio auf die Welt: „White Anglo-saxon Protestant“ – das ist amerikanischer Hochadel, gewissermaßen. Der Vater war Werbemanager für Procter & Gamble, die Familie der Mutter gehört zu den Gründern von Yale, der Eliteuniversität in Neu-England.

Er ist weiß, aber seine Seele, die ist schwarz. Bill Ramsey hat den Blues. „Der hat mich immer berührt.“

Eigentlich war es klar, welchen Weg der einzige Sohn der Familie beschreiten würde. Erst wurde der kleine Bill auf eins der feinen Internate an der Ostküste geschickt, dann ging er, wie sein Vater, zum Studium nach Yale. Normalerweise wäre er hinterher zur Business School gegangen, wäre, wie Papa, in der Werbung gelandet oder im Stockmarket („um Gottes willen“)! Fast all seine alten Freunde sind diesen Weg gegangen,

Nur Bill Ramsey ist abgebogen. Als er elf war, da hat der Vater ihn in einen Nachtclub in New York mitgenommen. Dort hat der Knabe die Pianistin Hazel Scott gehört. Spätestens da war alles zu spät, war er Blues und Jazz verfallen. Moment mal: In den Nachtclub? Mit einem Elfjährigen??

Ramsey sitzt im gestreiften Sessel in seiner Altbauwohnung in Blankenese, der gar nicht so fein aussieht, wie man sich einen Sessel in Blankenese vorstellt, dafür sehr bequem, nimmt einen Schluck Kaffee aus dem Becher und zuckt mit den Schultern. „Ich komme aus einem liberalen Elternhaus.“

Boogie-Woogie schon als Kind

Das hat er zu spüren bekommen. Cincinnati in den 30er Jahren war „stockkonservativ“. Die Eltern fast aller Klassenkameraden waren strenge Republikaner. Bills Vater gab seine Stimme Präsident Roosevelt, dem Verfechter des sozialliberalen New Deals. Wenn der pummelige Junge deswegen mal wieder verprügelt worden war, erklärte ihm der Chauffeur, was er tun sollte: zurückboxen. Und wie man das macht.

Ramsey senior, daran lässt der Junior keinen Zweifel, war „ein lieber Kerl“. Ein Kumpel war er nicht. Mr. Ramsey arbeitete viel, war im Country Club, spielte Liszt und Chopin am Klavier, pflegte die Blumen im Garten, hörte Chansons und Toscanini. Tony, der Chauffeur, war derjenige, der mit Klein-Bill zum Fischen fuhr, an einen See, wo man einen Dollar zahlte, um einen Fisch zu angeln, den jemand vorher reingeworfen hatte. Aber der Mann an der Kasse wollte den Chauffeur nicht reinlassen. Schwarzen war der Zutritt verboten. Das konnte der Neunjährige nicht fassen: „Aber das ist doch Tony!“ Der Kassenwart zeigte sich gnädig: Der Chauffeur durfte den Knaben über den See rudern. Angeln durfte er nicht.

In Ohio saßen die Schwarzen im Kino oben, die Weißen unten, im Parkett. Die Angestellten im Hause Ramsey waren alle schwarz. „Sie wurden wie Menschen behandelt“, sagt Ramsey, waren versichert und versorgt. Aber es war auch klar, dass sie den Teenager „Mr. Bill“ nannten.

Schon als kleiner Junge hat Bill Ramsey Boogie-Woogie und Blues gesungen. „Ich habe mich interessiert für die Musik der Menschen, die ich liebte.“ Cincinnati war kein schlechtes Pflaster dafür, die Stadt hatte große Plattenfirmen und Radiosender, die schwarze Musik brachten. Die beiden Schwestern hörten sowieso schon, neben Glenn Miller und Frank Sinatra, Duke Ellington. Deren Songs Bill Ramsey heute singt.

Wieder singt. Die meisten Deutschen kennen ihn so, wie wir Nachkriegskinder ihn kennen lernten: als lustigen Schlagersänger, der aussah wie ein Teddybär. Seine schlüpfrigen Schlager kannten wir auswendig: Bill Ramsey war der Held unserer Kindheit. Ein Amerikaner! Wir wollten doch alle, wie Gitte, einen Cowboy als Mann. Alles, was modern war, kam aus Amerika. Kaugummi. Blue Jeans. Milky Way. Sogar Kleider aus Papier.

Wie die meisten Amerikaner seiner Generation war Bill Ramsey mit der Armee nach Deutschland gekommen. Der Korea-Krieg hatte gerufen, in Deutschland, in seiner Kindheit Feindesland, war er 1952 gelandet. Mit 21 kam Ramsey nach Frankfurt, der deutschen Hochburg des Jazz. In der Armee gab es jede Menge Clubs, in denen deutsche Musiker auftraten, im Frankfurter Jazzklub lernte er Mangelsdorff, Paul Kuhn, James Last und all die andern kennen.

Jazz, Swing Blues – das war nach dem Zweiten Weltkrieg weit mehr als Musik: Das war „ein Politikum“ wie Ramsey sagt. Der Inbegriff von Freiheit und Demokratie. „Juden- und Negermusik“ hatten die Nazis verboten, die deutsche Swingjugend leistete Widerstand. Swing, so schrieb ein Kritiker, „ist Leichtigkeit, Swing ist das Schwebende, Mitreißende, das federnd vorwärts Treibende“.

„Deutschland war mein Zuhause“

In seiner Freizeit sang der Soldat in den Clubs, trat mit dem Kurt Edelhagen Orchester auf, wurde schließlich Produzent bei AFN, dem amerikanischen Soldatensender, der Pflichtprogramm für alle Jazzfreunde war, so wie später für die Freunde von Rock und Pop. Als der Hörfunk der amerikanischen Armee im August ’45 in Berlin auf Sendung ging, da spielte er keinen Marsch, sondern – Gershwins „Rhapsody in Blue“! AFN, das waren immer die ersten, die gute Musik hatten. Wenn Duke Ellington oder Count Basie nach Deutschland kamen, dann waren sie es, die das Konzert mitschneiden durften.

Und das Programm war nicht die einzige Sensation. Während die deutschen Moderatoren noch jahrzehntelang in Schlips und Kragen vor dem Mikrofon saßen und feierlich ihre Texte vorlasen, legten die Amis einfach locker los. „Es war ein Soldatensender“, erinnerte sich der Journalist Heinz Ohff ein halbes Jahrhundert danach, „der uns endgültig zu Zivilisten machte“.

Die Demokratie im Werden zu erleben: Das war einer der Gründe, warum Bill Ramsey sich endgültig hier niederließ. „Es war so exciting, diese Aufbruchstimmung. Ich mochte Europa, Deutschland war mein Zuhause, ich hatte so viele Freunde hier.“

Allerdings: Richtig gut leben konnte er vom Jazz nicht. Als sein Freund, der Produzent Heinz Gietz – Arrangeur fast all seiner Schlager, zu denen Kurt Feltz meist die Texte schrieb – ihn fragte ob er nicht mal was anderes, eine Platte machen wollte, Rock’n’Roll oder „was Lustiges“, da war der Musiker sofort dabei. Rock’n’Roll fand er „schlimm als Jazzer, diese Kombination aus Hillbillie und nicht gelungenem Blues. Das war alles nur Spektakel, Protest. Ich wusste nicht, wogegen ich protestieren sollte – ich war 27.“

So wurde Bill Ramsey Deutschlands musikalischer Clown: „Liebe, Tanz und 1000 Schlager“, so hieß sein erster Film, mit Caterina Valente und Peter Alexander. „Souvenirs, Souvenirs“ stand elf Wochen lang auf Platz eins der Hitliste. Er sang den Wirtschaftswunderdeutschen vor, was sie hören wollten, vom Café Oriental und dem „Wumba, Tumba Schokoladeneisverkäufer“, von Souvenirs und Pigalle. Wir waren wieder wer, wir reisten um die Welt.

So war Bill Ramsey wieder mal vom geraden Weg abgekommen. Er hat „schwer gelitten“ dafür. Deutschland war nicht Amerika: U- und E-Musik waren hier so streng getrennt wie in Ohio die Schwarzen und die Weißen. Und für die Puristen war Jazz eine ernste Angelegenheit. Etwas, was man, schwarz gekleidet, im Keller hörte. Nix Sonnenschein. Jazz, das war „fast etwas Heiliges“, wie Ramsey sagt. „Es ging da nicht um Musik, es ging um Überzeugungen.“ Bill Ramsey wurde zum Verräter gestempelt. Manche haben ihn nicht mal mehr gegrüßt.

Aber für die meisten Deutschen war er der gute Bill. „Onkel Bill“, wie später seine Kindersendung hieß. Eigentlich sieht er heute nicht viel anders aus, als damals, vor 40 Jahren. Nur den Bart hatte er da noch nicht. Den hat er sich wachsen lassen aus Sympathie für die Studentenbewegung. Da waren Schlager schon nicht mehr so gefragt, da hatte er begonnen, Folk zu singen, und mit Paul Kuhn die Platte „Ballads und Blues“ aufgenommen, die der „Spiegel“ damals als „bislang beste in Deutschland produzierte Jazz-Vokal-Platte“ lobte. Dass Rudi Dutschke („der war so sanft, so friedliebend“) mit seinen Freunden den Nazierbschaften und den alten Nazis den Kampf ansagten, Demokratie wagte: Das hat dem Amerikaner imponiert. Er selber war 37, „zu alt, um mitzumachen“. Aber er wollte ein Zeichen setzen. Als ihm ein Produzent erklärte, der Bart muss ab, sonst würden sie keine Platte mehr mit ihm machen – „da dachte ich: okay, der bleibt stehen“. So wurde der Bart sein Markenzeichen, so wie es vorher das groß karierte Jackett und der Siegelring waren. Die hatte Bill Ramsey damals längst abgelegt. Aber das hatten viele nicht bemerkt. Manche bis heute nicht.

Das sind die, die immer nur das eine von ihm wollen: die Vergangenheit. Die Mimi mit dem Krimi, die Zuckerpuppe aus der Bauchtanzgruppe, den Schokoladeneisverkäufer. Okay, er singt sie brav. Auf den Kreuzfahrten zum Beispiel, auf denen er Monate verbringt. Oder wenn ihn Götz Alsmann, wie neulich in seiner Sendung „Zimmer frei“ fragt (und dazu begleitet), singt er sie auch. Aber wenn ein Konzertpublikum dann sagt: Jazz, igitt, Swing, was ist das denn, dann bekommen sie was zu hören von ihm: Hänschen klein. Das ist das Lied, mit dem Bill Ramsey Schlagerfreunden den Swing und den Blues näher bringt. Erst singt er das Kinderlied fast hämmernd wie einen Marsch. Und dann, dann schnalzt er mit den Fingern, und wippt, so wie jetzt im Sessel, und macht mit der Melodie, was er will, dubidubida, babidabubo. „Dann hab’ ich sie meistens.“ Den Deutschen den Jazz näherbringen, das ist bis heute seine „Mission“, wie er es nennt.

Nur für die Älteren ein Clown

Bill Ramsey – das zu betonen, ist ihm wichtig – schämt sich der schlechten Filme, der albernen Schlager nicht, sie haben ihm Spaß, haben ihn reich und berühmt gemacht. Aber für ihn sind sie nur eine Episode in seinem Leben. Nichts, woran sein Herz hängt. Aber egal, was der Entertainer seit damals gemacht hat, und er hat vieles gemacht, den Talentschuppen moderiert, Songs für die „Sendung mit der Maus“ gesungen (Pädagogik ohne Zeigefinger, aber mit Witz, das hat ihm gefallen), Jazz, immer wieder Jazz gespielt, mit der RIAS Big Band, in der Alten Oper Frankfurt – für viele ist er auf ewig der musikalische Clown. Für die Älteren.

Bei den Jungen ist das anders. Heute steht der 72-Jährige mit Musikern auf der Bühne, die seine Kinder sein könnten. Beim Konzert tritt er immer wieder hinter ihnen zurück, lässt sie mit Soli brillieren. Seit Jahren spielt er mit dem jungen Pianisten Achim Kück.

Heute ist Swing wieder in, Jazz überall zu hören, selbst im Hip-Hop, Robbie Williams macht mit Frank Sinatra Furore, Till Brönner ist ein Star. Zum 70. Geburtstag veröffentlichte der junge Jazztrompeter in der „Welt“ eine Liebeserklärung an Bill Ramsey. Brönner hatte Ramsey als Kind kennen gelernt, bei Wiederholungen im Fernsehen und Silvestershows. Dann sah er ein Plakat bei „Spar“: Bill Ramsey und das Ron-Wilson-Trio kündigten ihr Konzert in der Schulaula an. Till war beeindruckt von Bill, davon, wie er „Georgia on my mind“ gesungen hat.

Die Amerikaner haben ihre Mission erfüllt. Brönner, Jahrgang ’71, konnte auch im albernsten Schlager noch den Swing erkennen, konnte lachen über die Musik. U und E, die Trennung gibt’s für ihn nicht. Und gerade der Witz, der gefällt Brönner an Ramsey. „Witz ist Asche im deutschen Jazz.“ Das mag der Junge am Alten: „dass er den Jazz so liebt und meisterlich beherrscht.“

Den amerikanischen Akzent hat Ramsey bis heute nicht abgelegt, die amerikanische Staatsbürgerschaft schon. 1984 hat er sie gegen die deutsche eingetauscht. Die USA sind für ihn politisch „ein fremdes Land. Ich wollte juristisch zu Hause sein, wo ich es sowieso bin“.

Wenn man Bill Ramsey über andere Menschen reden hört, dann denkt man, wo leben wir denn, im Paradies?! Von den Offizieren auf dem Kreuzfahrtschiff, auf dem er so gerne fährt, sagt er „die sind unwahrscheinlich lieb“. Seine Saxophonistin: „Absolute Spitze!“ Von Rudi Dutschke spricht er, der selber keine Kinder hat, mit so viel Wärme, als wäre er sein eigener Sohn. „Das ist so schlimm, was dem passiert ist!“

Aber einmal wird der gutmütige Teddybär doch noch wütend, erregt. Als er auf Amerika, auf Bush zu sprechen kommt. „Der hat die Wahlen nicht gewonnen – gestohlen hat er sie! Bush ist eine Katastrophe für die Welt.“ Oder das amerikanische Rechtssystem – „absurd“! Dass einer, der sein Leben lang geraucht habe, die Zigarettenfirma auf 120 Millionen Dollar verklagen kann. Oder einer wie O.J. Simpson freigesprochen wird.

Ramsey erzählt von einem Besuch in Vermont, wo ihm ein Drogist, als er hörte, dass er in Deutschland wohne, erklärt hat: „I am proud to be an American!“ – „Ich bin stolz, Amerikaner zu sein!“ Solch hemmungslosen Patriotismus versteht er nicht. „Wenn Sie aus Bielefeld kommen, dann sagen Sie doch auch nicht, es sei das Zentrum der Welt. Es ist das Zentrum Ihrer Kindheit. Das darf man nicht verwechseln.“

Politik, Kunst, Literatur: Das hat ihn von klein auf interessiert. In einer Partei ist er nie Mitglied gewesen, in einigen Organisationen schon: im World Wildlife Fund, Greenpeace, Unicef. Das SOS Kinderdorf unterstützt er seit Jahrzehnten. Und dass der Gründer zwar ein sehr frommer Mann war, aber die Frömmigkeit nicht in die Dörfer getragen hat, das gefällt ihm.

„Joseph Roth ist der Hammer!“

Literatur und Kunst, davon ist Bill Ramsey täglich umgeben. Bilder, Bilder, Bilder, überall hängen Bilder an der Wand der sonnigen Altbauwohnung. Fotos im Flur, moderne Malerei im Wohnzimmer. Für die kann er genauso schwärmen wie er sich über die Herrenwitze im Gästeklo kaputtlachen kann. Und überall Bücher. Monika Maron, Bildbände von Max Ernst und Otto Dix, Sebastian Haffner, Fontane, Lea Rabin, die Encyclopedia Britannica. Neben dem Sessel liegen Joseph Roths Berlin-Feuilletons auf Englisch. „Das müssen Sie lesen, das ist der Hammer!“ Ein Freund aus Amerika hat ihn darauf aufmerksam gemacht, ihm eine Besprechung aus der „New York Times“ geschickt. Es ist der einzige richtige Freund aus Ohio, den er noch hat. Die anderen sind den vorhersehbaren Weg gegangen, sind in der Firma von Papa gelandet und „versunken in dieser Welt“: Country Club, Urlaub auf den Bahamas, von Cocktailparty zu Cocktailparty. „Society – ooocchh!“, stöhnt er, im Freizeithemd. Sein Freundeskreis sei ein Mischmasch aus allen möglichen Menschen. Der zum Konzert in Köpenick angereiste „Groupie“ , ein alter Freund, ist Politikprofessor in Potsdam.

Den ersten öffentlichen Auftritt hat ihm sein Vater verschafft, als Schokoladenkuchengießer in einem Werbespot. Da war Bill Ramsey acht. Aber dann – darauf ist er stolz: „bin ich ohne den Deut eines Einflusses von meiner Familie meinen Weg gegangen“. Als „Fluch“ bezeichnet er es im Rückblick, ein Wasp zu sein. Dem wollte er entfliehen. Darum wohl auch hat er das erste Mal geheiratet, ein Mädchen aus gutem Haus, „das wollte genauso wie ich aus Cincinnati weg“.

1984, dem Jahr, in dem er Deutscher wurde, hat Bill Ramsey wieder geheiratet, zum vierten Mal. „Die einzig Richtige.“ Heute macht Petra Ramsey als seine Managerin das, was er früher selber machte. Zum Beispiel Platten verkaufen nach den Konzerten. Unmöglich, meinte die Ärztin am Anfang, dass Bill Ramsey das machte, demütigend. Jetzt macht sie es. Außer, sie findet nach einem Konzert, das Publikum hat Bill Ramsey nicht verdient. Dann kriegt es auch seine Platten nicht. Basta.

Die Wirtschaftswunderzeit ist längst Historie, Bill Ramseys Oldtimer sind immer noch da. Wer die Ohrwürmer einmal gehört hat, wird sie nicht wieder los. Für uns Kinder waren die Texte so eingängig wie Hänschen klein. Wir haben die Schlager der Erwachsenen geliebt, das Spielerische, das Flotte, den Witz. „Kinder", sagt Ramsey selber, „haben meine Zuneigung in der Stimme gespürt“.

Wir haben gespürt: Dieser Mann, groß, dick und erwachsen, ist einer von uns. Einer, der Bären entdeckt, wo andere nur Ampelmännchen sehen. Einer, der sich über Schmetterlinge und alte Cabrios am Wegesrand freut. Der sich kaputtlacht über seinen kleinen strubbeligen Terrier. Einer, der ein Interview beim Spazierengehen geben und immer noch mit Mitgefühl einen alten Penner im Park wahrnehmen kann. Kein Zweifel: Bill Ramsey hat den Blues.

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