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Kultur: Der Wendewalzer

Fin-de-Siècle-Experiment: Raoúl Ruiz’ Kinotraumspiel „Klimt“

Wie sich die Amerikaner Europa vorstellen, ist zurzeit in der Verfilmung von Dan Browns Bestseller „The Da Vinci Code“ zu sehen. Nun kommt die genuin europäische Antwort – aus der Hand eines Chilenen. „Klimt“, eine typische Europudding-Produktion mit Geldern aus Österreich, Deutschland, Großbritannien und Frankreich sowie mit Schauspielern aus aller Herren Länder, wirkt dank Raoúl Ruiz’ Handschrift wie aus einem Guss – verführerisches Finde-Siècle Wiener Herkunft.

Schon einmal, mit seiner Proust-Verfilmung „Die wiedergefundene Zeit“ 1999 und schon damals mit John Malkovich in der Hauptrolle, hat sich Ruiz in dieses Dekadenz-Europa hineinbegeben, das er vielleicht deshalb so düster-schön nacherschaffen kann, weil es in Lateinamerika bis heute Spuren hinterlassen hat. Proust und seiner Erinnerungsmagie hat auch der „Klimt“-Film viel zu verdanken. Er habe keinen Biografiefilm drehen wollen, sondern eine Fantasmagorie, erklärt Ruiz, ein Lebenssplitterbild in unendlich vielen Spiegeln. Entstanden ist ein Rätselspiel, schwül, duftend, verwirrend, erlesen. Weniger Spielfilm, mehr Experiment: eine filmische Annäherung an die Kunst des Wiener Sezessionisten Klimt.

Das Mittel dazu: Musik. Eine Musik der Bilder, mit einer Kamera, die Walzer tanzt, einen endlosen, schwindelerregenden Walzer. Er beginnt über einem Klimt-Gemälde, der großen Allegorie in der Wiener Sezession, dunkeläugige, dunkellockige Frauen in orientalisch-bunten Gewändern. Und er dreht sich weiter, durch Raum und Zeit, nach Paris zur Weltausstellung, in die Kaffeehausdiskussionen im Café Central, durch dunkle Akademie- und Ausstellungsräume, rot leuchtende Etablissements, Boudoirs, einmal auch durch die Gosse, in die Armutsviertel von Wien, wo Klimt seine Geliebten und seine unzähligen Kinder besucht.

Schöne, dunkelhaarige Frauen überall – darunter Veronica Ferres als Klimts kühle Muse Emilie Flöge –, Frauen in schmal taillierten prunkvollen Gewändern, in fließenden Negligées, oft auch nackt und in Maske, dazu ein mysteriöser Ministerialsekretär und ein korrupter Kulturminister. Die ganze Wiener Akademiewelt mit ihren papiernen Streitereien über Schönheit und Form rauscht vorbei, und zwischendrin ein Grobian wie Egon Schiele (Klaus Kinskis Sohn Nikolai, bis in die Physiognomie Schieles Ebenbild) oder Adolf Loos, der mit Sahnetorten wirft.

Wahrscheinlich müsste man diesen Text in einem einzigen, endlosen Satz schreiben, um der sich ewig weiterdrehenden Bewegung des Films gerecht zu werden, in der auch noch ein schlaganfallgelähmter französischer Graf auftauchen, der seine eigenen, voyeuristischen Spiele mit dem Maler spielt, und eine Tänzerin, die echte und die falsche Lea de Castro, die große, nie erreichte Liebe, und noch einige Doppelgänger mehr, und irgendwann hat sich der Film etwas verrannt im Vexierspiel zwischen Wahrheit, Täuschung und Vision, und die Fantasmagorie läuft leer – was sie ja auch bei Klimt selbst manchmal tut. Der Zuschauer verliert etwas die Lust an der Auflösung dieser Rätsel-Story, die doch eigentlich nur darin besteht, dass ein todkranker Mann im Bett liegt und sich erinnert, an sein Leben oder das, was ihm Fieberträume dafür vorspiegeln.

Auch wenn die Todesstunde im Februar 1918, wie so viele Krankenhausbesuche Klimts zuvor, wegen einer nie ausgeheilten Syphilis und eines allgemeinen Interesses am Fortgang der Medizin stark vom nüchtern-diagnostischen Jahrhundertwendeblick eines Arthur Schnitzler (auch er war übrigens Arzt) geprägt sein mag – der wahre Geist, der für dieses so anregende wie ungewöhnliche Experiment Pate stand, ist ein anderer Jahrhundertkopf: Sigmund Freud. Ein Traumspiel – ohne Deutung.

Ab Donnerstag im Babylon Mitte, Cinema Paris, Cinemaxx Potsdamer Platz, Kurbel

Christina Tilmann

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