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Kultur: Der westsibirische Mozart

Kirill Petrenko ist der weltweit jüngste Chefdirigent eines Musiktheaters. An der Komischen Oper Berlin arbeitet der 30-Jährige hart an seinem Ideal: Was zählt, ist die Qualität am Abend. Auch zu Silvester

Plötzlich dreht sich Mojca Erdmann um, reicht ihre Rose hinauf zum Dirigentenpult. Und alle Preisträger des Bundeswettbewerbs Gesang machen es der Sopranistin nach. Ehe er sich’s versieht, hält Kirill Petrenko einen prachtvollen Strauß im Arm. Glücklich, wenn auch ein wenig verdutzt ob der unerwarteten Dankesgeste, strahlt der neue Chefdirigent der Komischen Oper ins Publikum. Der Applaus schwillt an im restlos ausverkauften Saal, wie zur Bestätigung, dass er die Blumen wirklich verdient hat: Selten sind die jungen, zumeist bühnenunerfahrenen Finalisten des wichtigsten deutschen Gesangswettbewerbs von so hilfreichen Händen durch das Preisträger-Konzert geführt worden. Dabei ist Kirill Petrenko mit seinen 30 Jahren kaum älter als die NachwuchsSolisten.

Petrenko entkräftet in Sekundenschnelle alle Vorurteile von dirigierenden Selbstdarstellern und eitlen Maestri. Wenn er seinem Gast an dem kleinen Besprechungstisch im karg möblierten Chefdirigenten-Zimmer der Komischen Oper gegenübersitzt, und sagt: „Mein Beruf ist es, die Komponisten so gut wie möglich zu vertreten“, dann glaubt man ihm. Weil sich diese Geisteshaltung tatsächlich aus seinem Dirigierstil heraushören lässt. Der junge Mann mit dem Mecki-Haarschnitt und den verschmitzt blitzenden Augen ist ein harter, selbstloser Arbeiter. Wenn er in den Proben manche Orchesterstellen unerbittlich wiederholen lässt, bis sie technisch perfekt sitzen, wenn er die Musiker bis an den Rand des Zumutbaren triezt, dann nicht aus übertriebenem Ehrgeiz, sondern immer nur mit Blick auf die Qualität der abendlichen Aufführung. „Strenge ist für mich der Gegenbegriff zu Pragmatismus“, erklärt er in mühelosem, von einem ganz leichten, charmanten Akzent gefärbten Deutsch. „Wenn eine Passage schwer ist, kann ich sie langsamer nehmen, um dem Orchester entgegen zu kommen. Wenn ich aber aus interpretatorischen Gründen davon überzeugt bin, dass sie schnell gespielt werden muss, darf ich mich nicht mit Kompromissen zufrieden geben.“

Mit dieser Einstellung hat es Kirill Petrenko vor zweieinhalb Jahren geschafft, die nationale Presse zu verblüffen: Im Theaterstädtchen Meiningen brachte er zusammen mit der Regisseurin Christine Mielitz zu Ostern 2000 den gesamten „Ring des Nibelungen“ heraus, alle vier Teile an einem Stück, so wie es sonst nur noch die Bayreuther Festspiele wagen. „Wundersam leichtfüßig, ja geradezu grazil“ erklimme der blutjunge Generalmusikdirektor die „steilsten, steinigsten Klanggebirge“ dieser Riesenpartitur, schwärmte Christine Lemke-Matwey im Tagesspiegel. Und die „FAZ“ nannte ihn nach der thüringischen Titanentat „einen der wichtigsten Dirigenten seiner Generation“.

Ist der 1972 in Omsk geborene Kirill Petrenko also ein musikalisches Wunderkind, der westsibirische Mozart? Bescheiden wehrt er den Ehrentitel ab. „Vielleicht wäre aus mir ein Kinderstar geworden, wenn ich mehr Klavier geübt hätte“, erklärt er schmunzelnd. Mit elf Jahren debütierte der kleine Kirill als Pianist mit dem Sinfonieorchester seiner Heimatstadt. Doch bald darauf beschloss er, lieber Dirigent werden zu wollen – und fing an, die täglichen Fingerübungen am Piano etwas zu vernachlässigen.

Seine Eltern aber drängten ihn trotz seiner enormen Begabung nicht zur Virtuosen-Laufbahn, gingen auf den „Fachwechsel“ ein, ja, gaben sogar die eigene sichere Existenz auf, um dem Sohn die optimale Ausbildung zu ermöglichen. Aus Omsk, wo die alteingesessene Musikerfamilie zur Intelligenzija-Elite gehörte, gingen die Petrenkos 1990 nach Vorarlberg, 1993 dann nach Wien. Die Dirigentenschmiede des legendären Kapellmeister-Meisters Hans Swarowsky war das Ziel. Eine fremde Welt, eine neue Sprache, eine ungewohnte Mentalität – der Start in Österreich war alles andere als einfach. Doch die Familie hielt zusammen.

Danach ging alles ganz schnell: Als 23-Jähriger dirigierte er seine erste Oper in der Provinz, zwei Jahre später leitete er „Don Giovanni“ im Schlosstheater Schönbrunn. 1998 stand er erstmals am Pult der Wiener Volksoper, ein Jahr später war er bereits Musikchef in Meiningen. „Auch wenn ich letztlich nur 24 Monate dort gewesen bin, beträgt die gefühlte Zeit doch mindestens sechs Jahre“, sagt Petrenko lächelnd: „So intensiv war die Arbeit.“ In der Abgeschiedenheit der Provinz erarbeitet sich Petrenko im Eiltempo weitere Repertoirekenntnisse, während parallel erste Gastdirigate in Dresden und an der Wiener Volksoper zu absolvieren waren.

Seine hohe Wertschätzung traditioneller kapellmeisterlicher Tugenden prädestinierten ihn für den Job an der Komischen Oper. Denn ein Haus mit täglich wechselndem Repertoire wie „Berlins Musiktheater“ kann keine Jetset-Maestri gebrauchen. Hier wird vom Chefdirigenten vor allem harte Alltagsarbeit gefordert, hier geht es um den täglichen Kampf gegen die Routine. Das sind Herausforderungen, die Kirill Petrenko reizen. Und er kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus, wenn er von der Arbeitsmoral der gesamten Belegschaft in „seinem“ Haus berichtet: Zwei volle Wochen Wiederaufnahme-Proben hat man ihm beispielsweise zugestanden für die alte Kupfer-Inszenierung – damit der Dauerbrenner-Hit auch nach über 300 Vorstellungen noch so jung wirkt wie die Akteure auf der Bühne.

Neben der Eröffnungspremiere, Smetanas „Verkaufter Braut“, für die Petrenko im September viel Lob einheimste, dirigiert er in seiner ersten Berliner Spielzeit auch die Neuproduktionen von „Don Giovanni“ und Brittens „Peter Grimes“ sowie Repertoirevorstellungen von „Falstaff“ und „Traviata“ und mehrere Konzerte, allein vier zu Silvester. Und dann sind da natürlich auch noch die Debüts an allen wichtigen Häusern der Welt an, in Barcelona („Pique Dame“ mit Domingo), an der Pariser Bastille, am Royal Opera House London, an der New Yorker Met. Trotzdem ist die Komische Oper für Kirill Petrenko keine Durchgangsstation auf dem Weg zur Senatorklasse des internationalen Musikbusiness, da klingt seine Stimme plötzlich ganz ernst: „Meine Karriere entwickelt sich für mich in Berlin. In den anderen Städten bin ich Gast. Hier aber lerne ich dazu.“

Kirill Petrenko dirigiert das Silvesterprogramm mit Werken von Dvorak, Lehar und Strauß am 29. 12. und am 1.1. jeweils um 15 und um 19 Uhr in der Komischen Oper.

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