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Kultur: Der Wolf aus dem Moor

Zwischen Country-Messe und Szene-Club: Heinrich Wulfes gilt als der deutsche Johnny Cash. Ein Besuch

Vielleicht muss man reisen, um das zu begreifen. Wer als Großstädter den Country verstehen will, kann zum Beispiel den Eisenbahnschienen folgen, die eine schnurgerade Linie von der großen Stadt bis ins platte Land schneiden. Dort steht mitten auf der grünen Wiese die deutsche Motorcity, der Glas- und Stahlpalast der Autostadt Wolfsburg. Dahinter aber erstreckt sich das weite Weideland.

Heinrich Wulfes, den sie hier im niedersächsischen Moorland „den Wolf“ nennen, hat zu beidem eine enge Beziehung: zu Autos und zum Land. Am kommenden Wochenende wird der Musiker auf der Berliner Internationalen Country Music Messe als unbestrittener Star auftreten. Im Märkischen Viertel werden sich rund 2000 Country-Fans treffen, doch nicht nur Freizeitcowboys interessieren sich für den Musiker. Gut informierte Clubgänger, die den Weg in einen privaten „Cowboyclub“ in Berlins Mitte kennen, werden den Sänger aus Neudorf-Platendorf am Samstag ebenfalls feiern – als den deutschen Johnny Cash.

Den Mann selbst muss man sich so vorstellen: Ein groß gewachsener, massiger Körper in einem schlichten Karohemd, die Lammfellkappe in den Nacken geschoben und zwei flinke, blassblaue Augen, die unter strohblonden Brauen in einem wettergegerbten Gesicht wohnen. Das Bemerkenswerteste aber ist die Stimme: Ein angenehm tiefer Bass, der wie aus großer Tiefe eher melodiös als rauchig summt. Diese Stimme ist Heinrichs Gabe und Kapital. Sie spricht nicht nur sieben Sprachen, sondern singt auch. Lieder, die Geschichten erzählen von der Landschaft, von den Autos und dem Mann, der sein Leben veränderte: von dem Countrysänger Johnny Cash.

Heinrichs Geschichte ist die eines Spätentwicklers. Auch daran ist seine Stimme schuld. Mit Musik begann „der Wolf“ schon früh. Im Alter von 13 Jahren fing er als Schlagzeuger in einer Beat-Band an. Singen durfte er nicht – wegen seiner Stimme, die angeblich zu tief war. Obwohl er Torfstecher und Hotelier wurde, schrieb Heinrich hin und wieder für die befreundete „Westbrookband“ ein Lied und sang auf Partys. Schließlich erschien eine Musikkassette mit Stücken wie „Heide-Cowboy“ oder „’ne Tasse Tee und ein Stück Torf“, die in den Dörfern zwischen Beedenbostel und Breitenrode Hitstatus erlangten.

Das Schlüsselerlebnis hatte der Gelegenheitssänger erst Ende der Neunzigerjahre. Nach mehreren Bieren sang er eines Abends spontan „Ring Of Fire“. Als er die letzte Zeile herausgedröhnt hatte, schwiegen alle ehrfürchtig. Dann brandete tosender Applaus auf. Heinrich hatte zum ersten Mal seine Stimme nicht verstellt und wie sonst höher gesungen, sondern seinen natürlichen Bass klingen lassen. Die Ähnlichkeit war verblüffend: Die Anwesenden glaubten den echten Johnny Cash zu hören. Dieser Tag sollte das Leben des Heinrich Wulfes entscheidend verändern. „Give me five, Johnny Cash“, sagte er damals im Spaß. So heißt nun seine aktuelle Hitsingle. Bis zu diesem Erlebnis hatte Country ihn nicht wirklich interessiert, insbesondere die hierzulande erfolgreiche deutsche Trucker-Musik, den so genannten „Fuchsschwanz-Country“, findet er verlogen: „Der Trucker steht heute tagelang im Stau. Wo soll da die große Freiheit sein?“

Seine musikalische Bestimmung fand der heute 53-Jährige vielmehr in dem späten Johnny Cash der „American Productions“. Cashs Version des Neal Diamond-Hits „Solitary Man“ elektrisierte ihn förmlich. Das war keine künstliche Cowboyromantik, sondern eine ehrliche, handgemachte Musik. Heinrich begann Cash-Songs ins Deutsche zu übertragen, gerne auch – analog zum Südstaatendialekt des Vorbilds – auf Plattdütsch. Aus „Hey Joe“ wurde so „Hey Jan“.

Heinrich sitzt auf dem Bock eines Wohnmobils und zeigt auf seinen verschneiten Claim: 3500 Hektar Hochmoor bestellt der Bauernsohn mit der Torf-Raupe. Ein paar Meilen weiter westlich liegt seine Farm. Auf der Koppel grasen im Sommer die Pferde des Nachbarn, Heinrich hält es lieber mit Pferdestärken. Rund zwanzig historische Busse stehen in seiner Scheune zur Vermietung, ein 68er Jaguar und ein 1950er Bentley. Das eigentliche Prunkstück aber wird nicht vermietet.

Mit sechs Metern Länge, drei Tonnen Leergewicht und acht Liter-Hubraum ist der rote 72er Cadillac „El Dorado“ das beste Pferd im Stall des Heidecowboys. „Er ist ein Tyrannosaurus Rex“, heißt es in dem Lied, das er über den Wagen geschrieben hat. „Cash-Cadi“ heißt das Stück, denn der Wagen gehörte niemand anders als John R. Cash. Heinrich ersteigerte ihn auf Ebay für nur 3061 US-Dollar. In Hendersonville, Georgia, nahm er die Wagenschlüssel aus den Händen des Enkels von Cash entgegen. Heinrich lenkte den Cadi 2500 Kilometer durch die Smoky Mountains, über South Carolina bis zur Ostküste von Florida. Dort schiffte ein Frachter den amerikanischen Traum aus Chrom und Blech nach Bremerhaven ein. Ein anderer Traum wird nicht mehr wahr werden: Der Handshake mit dem verehrten Idol. Johnny Cash starb am 12. September 2003. Immerhin konnte er das ihm gewidmete Lied „Gimme Five, Johnny Cash“ noch hören. Cash lag schon im Krankenhaus, als ihm der Enkel die deutsche CD vorspielte. Der alte Sänger richtete sich auf und sagte: „Give this German singer some stuff of mine.“

Die Jeansjacke mit dem Adler auf dem Rücken und dem Namen John R. Cash im Wäschetikett bewahrt Heinrich wie eine Reliquie. Tragen würde er sie auch dann nicht, wenn sie ihm passen würde: „Blasphemie.“ Eines ist ihm denn auch irgendwie peinlich. Mit „Gimme five, Johnny Cash“ ist Heinrich auf Platz zwei der deutschen Country-Charts geklettert. Auf Platz vier steht ein Stück namens „Hurt“. Sein Sänger heißt Johnny Cash.

Heinrich der Wolf singt am 6.2. um 20 Uhr und am 8.2. um 11 Uhr auf der 9. Country Music Messe im Fontane-Haus, Wilhelmsruher Damm 142c. Infos zum Clubkonzert: www.HeinrichDerWolf.de

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