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Kultur: Der Wüste, der Zarte

Fatih Akin, der große Berlinale-Sieger, bringt das Kino der Migranten ganz nach vorn. Ein Porträt

Von Julian Hanich

und Christiane Peitz

Fatih Akin wirkt ruhig. Erstaunlich ruhig. Wie er da auf der Pressekonferenz in Kino der Hackeschen Höfe sitzt, hat man nicht den Eindruck, dass der 30-Jährige gerade als erster deutscher Regisseur seit 18 Jahren den Goldenen Bären gewonnen hat. Zwar sagt er, das sei „völlig surreal“, er fühle sich „wie auf Drogen“. Aber er lehnt sich dabei zurück, zündet sich eine Zigarette an und verschränkt die Arme hinterm Kopf.

Dann erzählt er, mit leicht norddeutscher Sprachfärbung, wie ihn am Freitagabend die wunderbare Nachricht erreichte: „Wir saßen beim Essen und haben gerade ein bisschen geschnackt, als das Telefon gebimmelt hat. Wir konnten das echt nicht glauben.“

Danach ist er erstmal auf die Party einer Freundin gegangen, um Platten aufzulegen – war schließlich versprochen. Und: Fatih Akin ist ein leidenschaftlicher Hobby-DJ. So sieht er auch aus. Schwarze Kapuzenjacke, Bartschatten, lange Koteletten und blonde Strähnchen im zottigen Haar. Am linken Ohr baumelt ein goldener Ring. Ein bisschen sieht der Regisseur immer so aus, als komme er gerade von einer Party, auf der er aufgelegt hat.

Fatih (spirch: Fatich) Akin: Sohn türkischer Migranten, geboren, aufgewachsen und wohnhaft in Hamburg-Altona. Der Romantiker unter den jungen Wilden des deutschen Films. Wobei er das mit dem sanften, liebenswerten Wesen nicht gerne hört. Aber wenn dieser wuchtige, berserkerhafte Typ beim Pressegespräch zu „Gegen die Wand“ aufrichtig und aufmerksam auftritt, nimmt er die Berlinale-Beobachter im Nu für sich ein.

Das Zarte, das Wüste: So sind auch seine Filme. Seit „Kurz und schmerzlos“, seinem Kinodbüt von 1998, erzählt er darin von seinesgleichen, von jungen Türken, von der zweiten, dritten Migrantengeneration, die kaum türkisch kann, weil Deutsch ihre Muttersprache ist. Es sind leidenschaftliche, temperamentvolle, rasante Stories, denen man die Liebe zu Scorseses Gangsterdramen deutlich ansieht. Und die Nähe zur Realität: Den „Kurz und schmerzlos“-Krimi um ein Kleingangstertrio hat Akin selbst erlebt, mit den eigenen Freunden, nur ohne Tote.

Mit vollem Herzen gegen die Wand: Akins Helden sind Machos und Muttersöhnchen auf schlingerndem Lebenskurs. Oder, wie in „Gegen die Wand“, Verlierer, Selbstmordkandidaten, Lebensdurstige. „Ich bin so eine Art Spike Lee der Türken“, hatte er damals bei „Kurz und schmerzlos“ erklärt. Einer, der den Türkisch-Deutschen Ausdruck und Stimme verleiht, ohne die mitunter faule Harmonie von Multikulti.

Um eins klarzustellen: Der Türke vom Dienst ist Fatih Akin nicht. Bloß keine Fragen zur doppelten Staatsbürgerschaft. Als dumme Journalisten ihn während der Berlinale immer wieder auf „Gastarbeiter“ und Ausländer-Identität ansprechen, platzt ihm der Kragen: Den Gastarbeiter hat der Hamburger längst aus seinem Wortschatz gestrichen. Nun hofft er, dass mit dem Goldenen Bären“die gewisse Exotik und Etikettierung derartiger Produktionen als Immigrantenfilm verschwindet“.

Wenn schon Etikett, dann am ehesten: Genrekino. Großstadtwestern. Mit einem kräftigen Schuss Neorealismus. Die Gewalt in Akins Filmen kommt ungeschönt daher, unvermittelt, gnadenlos. Sie ist brutal wie die Wirklichkeit, Action ohne Popcorn: das raue, rohe Leben, der schnelle, kurze Tod. Akin inszeniert Gewalt als Existenzkampf und Selbstbehauptung, als Ausdruck von Seelenpein. Und sagt nun in Berlin, immer noch fassungslos: „Ich habe nicht damit gerechnet, einen so großen, elitären und besonderen Preis für einen kleinen, schmutzigen, rockigen Film zu erhalten.“

Das Wüste, das Zarte: Als nächstes wird Akin voraussichtlich eine Komödie drehen, Soul Kitchen“, Schauplatz Altona. Eine Art Ausgleichssport: Schon nach seinem mit neun Preisen ausgzeichneten Debüt hatte er erstmal was Leichtes gedreht: das Roadmovie „Im Juli“ , bennant nach seinem Lieblingsmonat, eine Love-Story mit Christiane Paulund Moritz Bleibtreu. Shakespeares „Sommernachtstraum“ hatte er im Hinterkopf, ein bisschen Odysseus, ein bisschen Märchen aus 1001 Nacht, aber auch „Tim und Struppi“. Die krude, unreine Mischung eben. 2002 folgte mit „Solino“ das anrührende Porträt der ersten italienischen „Gastarbeiter“-Generation im Ruhrpott: Kindheit und Jugend zwischen Pizza und Pasta, eine zerrissene Existenz. Der Held, ein Alter Ego des Regisseurs, wird übrigens Filmemacher. Im wirklichen Leben hat Fatih Akin an der Hamburger Kunsthochschule studiert und dort auch seinen ersten Kurzfilm gedreht, „Sensin – Du bist es“.

Eigentlich wollte er Schauspieler werden, geneua so wie sein Vater. Er trat in Vorabendserien auf, in „SK-Babies“ oder „Doppelter Einsatz“, da war er wirklich der Türke vom Dienst. Seine erste größere Bühnenrolle war dann aber Kaspar Hauser, am Hamburger Thalia-Theater. Und im Kino kennt man ihn aus Oliver Hirschbiegels „Experiment“ oder dem „Planet der Kannibalen“ von Hans-Christoph Blumenberg. Seine Regiekollegen mögen ihn für die Echtheit, das Naturbelassene seines Typs.

Und dann kommt wieder der Romantiker durch. In den Hackeschen Höfen spricht er vom Künstler als Brückenbauer, „so wie die Bosporus-Brücke Asien und Europa verbindet“. Zu seinen Projekten gehört auch die Musikdokumentation „Crossing the Bridge“: Hiphop meets Punk und traditionell Türkisches.

Der Bogen spannt sich weiter: Mit der wuchtigen, gewalttätigen Liebesgeschichte von „Gegen die Wand“ riskiert Akin die Verbindung von Genre und Zartheit. Und die Symbiose zwischen kompromissloser Inszenierung und Mainstream. Damit steht er nicht allein. Ob Akin, Christian Petzold, Oskar Roehler, Wolfgang Becker oder Tom Tykwer: Die jüngeren deutsche Regisseure sind längst angetreten, die Ansprüche des Autorenfilms mit denen des Publikumskinos zu vereinen.

Fatih Akin ist nicht der einzige Migrantensohn unter den Filmemachern. Längst ist seine Generation in den Filmschulen angekommen, gewinnt Preise, dreht fürs Fernsehen, taucht im Kino auf. Ob Züli Aladag („Elefantenherz“), Yüksel Yavuz („Kleine Freiheit“), Neco Celik („Alltag“) oder Thomas Arslan mit „Geschwister“, „Dealer“, „Der schöne Tag“: Sie haben das Zeug, die Grenzen des deutschen Kinos zu sprengen. Sie sind nicht bloß Deutsche, sondern haben wirklich etwas zu erzählen – und breiten in (noch) kleinen Filmen große Stoffe aus.

„Gegen die Wand“ ist der erste, halb auf deutsch, halb auf türkisch gedrehte Teil einer Trilogie. Arbeitstitel: „Liebe, Tod und Teufel“. Den zweiten Teil möchte Fatih Akin auf Englisch drehen und wieder selbst produzieren, gerne mit amerikanischen Ko-Produzenten. Der Goldene Bär macht ihm das womöglich leichter. Vielleicht nützt ja auch seine Ehrlichkeit: „Ich hoffe sehr,“ sagt er, „dass meine beste Arbeit noch vor mir liegt.“

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