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Kultur: Der Zuhörer

Claudio Abbado feiert heute seinen 70. Geburtstag

Silvester 2000 war am Schlimmsten. Beim traditionellen Jahresendkonzert der Berliner Philharmoniker wirkte Claudio Abbado geradezu erschreckend hinfällig. Aber er wollte, er musste raus aufs Podium. Nach der schweren Krebserkrankung ließ ihn nur die Musik weiterleben, wie er selber betonte. Die Zerbrechlichkeit jener Monate ist glücklicherweise längst dem Anblick nobler Askese gewichen. Abbado-Fans wissen von einem gelassenen, lockeren Maestro zu berichten, der sogar noch etwas an Gewicht zugelegt hat.

Dennoch schont sich der Maestro, der heute 70 Jahre alt wird, weiterhin sehr. Ganze acht Auftritte genehmigt er sich im Jahr 2003, vier Abende wird er im August in Luzern dirigieren. Dass Claudio Abbado dafür ein neues Orchester gegründet hat, zeigt, wie zuversichtlich er in die Zukunft blickt. Am 14. August „debütiert“ im Festspielhaus Luzern das Lucerne Festival Orchestra. Die besten Musiker der Welt hat Abbado dafür zusammengetrommelt, Mitglieder der Berliner wie der Wiener Philharmoniker, dazu Solisten wie Kolja Blacher, Natalia Gutmann und Sabine Meyer. Außerdem integiert sich das von Abbado gegründete Mahler Chamber Orchestra in den neuen Klangkörper.

Dass die Tickets fürs Gala-Eröffnungskonzert bis zu 390 Franken kosten, passt eigentlich nicht so recht zu Abbados Linie. In den Siebzigerjahren hat der italienische Maestro vehement eine „Kultur für alle“ gefordert. Als Chefdirigent der Mailänder Scala kämpfte er ausdauernd um die Öffnung der Hochkulturinstitutionen für junge Leute und einfache Bürger, ging mit seinem Komponisten-Freund Luigi Nono in Fabriken und Schulen. Bei diesen Anti-Glamour-Offensiven ging es Abbado nicht um linke Politik, sondern vielmehr darum, so viele Menschen wie möglich zum intensiven Zuhören anzuleiten. Weil er kein Kommunikationsgenie ist – wie etwa Simon Rattle – konnte seine Art, das Publikum anzusprechen, immer nur der Konzertabend selber sein.

So war auch Abbados Abschied von seinem Berliner Publikum am 26. April 2002 typisch. Keine Party, keine Selbstbeweihräucherung: Nach dreizehn beglückenden, nicht immer reibungslosen Jahren verabschiedete er sich mit Schostakowitschs spöder „King Lear“-Filmmusik. Auch wenn er im Juni 2004 als Gast zu den Philharmonikern zurückkehrt, bleibt er sich treu: Mahlers 7.Sinfonie und eine Rarität, Frank Martins „Jedermann“-Monologe. Wem die Zeit bis dahin zu lang ist, kann jetzt Abbados Wagner auf einer neuen CD mit den Berlinern und Orchesterstücken aus „Tannhäuser“, „Tristan“ und „Parsifal“ erleben (DG). Als verspäteter Glückwunsch erscheint außerdem Ende August eine (diesmal vom Maestro autorisierte) Biografie, herausgegeben von Ulrich Eckhardt und Habakuk Traber (Nicolai Verlag).

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