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Kultur: Der Zuspitzer

Zum Tod des Schriftstellers Sigmar Schollak.

Obwohl wir wissen, dass wir sterblich sind, können wir uns mit diesem Umstand, mit dieser Ungerechtigkeit nicht abfinden. Das Ungerechte merken wir im besonderen Maße, wenn ein guter Freund dahin geht, „von wo keines Wanderers Fuß je zurückgekehrt“. Mein Freund Sigmar Schollak ist diesen unumkehrbaren Weg gegangen. Wir haben uns lange gekannt – seit 1946, man kann sagen, ein Menschenleben lang. Wir beide waren die Übriggebliebenen großer Familien, die dem „Meister aus Deutschland“ erlagen. Nach dem Kriegsende, da wir beide als von Bildung Ausgeschlossene dastanden, eine Art „Luftmenschen“, gab es keine beruflichen Möglichkeiten. Ich ging in eine Kunstschule, Schollak studierte Musik. Wir waren beide Ost-Berliner und blieben es lange Zeit. Er trat als Klarinettist und Saxofonist in Unterhaltungsorchestern auf und begann, nachdem ihn derlei Tätigkeit nicht recht befriedigte, zu schreiben.

Bei seinen Themen drehte es sich, wie konnte es auch anders sein, immer ums Verfolgtwerden, ganz gleich, wo die Geschichten auch spielten. Irgendwann, ich weiß nicht in welchem Jahr, begann er mit Aphorismen. Damit hatte er die ihm gemäße Ausdrucksweise gefunden, witzig und aggressiv, komisch und bedenklich in einem. Der Aphorismus ist wohl eine vergangene Form der Weltspiegelung, Erfolg lässt sich auf diese Weise nicht erreichen. Denn Ironie und Sarkasmus sind in Deutschland seltene Gewächse und die Einwohner andere Kost gewöhnt.

Einiges von diesen Einfällen und Ausfällen ist erschienen, im Trubel der Bestsellerlisten völlig übersehen und ignoriert. Auch das hat seine letzten Lebensjahre verdunkelt. Zu den körperlichen Leiden traten andere hinzu: Depression, Albträume, Schlaflosigkeit, Melancholie und die zunehmende Erinnerung an seine Toten. Wir sind traurig, weil wir einen Menschen verloren haben, der im ehrenhaftesten Sinne dieses zwielichtigen Wortes einer gewesen ist. Günter Kunert

Der Kinderbuchautor und Aphoristiker Sigmar Schollak, Jahrgang 1930, starb am 21. Mai in Berlin. Der Begründer des Autorenkreises der Bundesrepublik veröffentlichte u.a. „Kallosch“, den „Roman einer Autobiografie“ (1995) und im Donat Verlag „Das Mädchen aus Harrys Straße“ sowie 2007 den Aphorismenband „Der Kuss – ein Lippenbekenntnis“. Der Autor unseres Nachrufs lebt als Schriftsteller bei Itzehoe.

Günter Kunert

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