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Kultur: Der Zwerg ruft

Das Germanische Nationalmuseum Nürnberg fragt: „Was ist deutsch?“

Elvis Presley „made in Germany“? Immerhin ist der „King of Rock’n Roll“ mit dem deutschen Volkslied „Muss i denn ...“ zu hören. Aber ist das schon typisch deutsch? Was ist überhaupt deutsch?

Fragen wir jemanden, der es wissen müsste: Ausstellungsleiter Matthias Hamann. „Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass man eine verbindliche Antwort nicht geben kann", so der Kurator der Ausstellung „Was ist deutsch?“ im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg. „Deutsch im eigentlichen Sinne istwahrscheinlich nur, diese Frage zu stellen.“

Seit etwa 200 Jahren – der Zeitraum auf den sich die Ausstellung im Wesentlichen beschränkt – hadern die Deutschen mit ihrer Mentalität. In kaum einem anderen Land wird die Frage nach der eigenen Identität so intensiv gestellt wie hierzulande. Die Einbürgerungs- und Leitkultur-Debatten sind dafür Beispiele. Ideal passt der in Nürnberg aufgebaute facettenreiche Historien- und Freizeitparcours zur aktuellen Debatte über Patriotismus und das Selbstverständnis der Nation, die durch die Fußballweltmeisterschaft noch einmal neuen Auftrieb bekommen hat. Jetzt kann der Ausstellungsbesucher im Germanischen Nationalmuseum anhand von Dokumenten, Gemälden, Plastiken, Büchern, Dingen der Alltags- und Hochkultur selber für sich beantworten, was für ihn deutsch ist.

Untergliedert ist die über das ganze Haus verteilte Präsentation in fünf Bereiche, die sich mit Themen wie „Vaterland“ , „Sehnsucht“ oder „Glaube“ beschäftigen. Auf 1500 Quadratmetern werden 700 Ausstellungsstücke gezeigt, Arbeiten von Künstlern wie Karl Friedrich Schinkel, Max Liebermann oder Philip Otto Runge, aber auch das „Sandmännchen“, eine Nivea-Dose, Tipp- Kick-Figuren, Schäferhunde aus Porzellan oder Nordic-Walking-Stöcke – zum Wandern durch den deutschen Wald.

Immer wieder sorgen kleine Inszenierungen für Irritationen. Auch der Blick vom Ausland auf die Deutschen spielt eine Rolle. So gelangt man in die Ausstellungseinheit ‚Geist’ beispielsweise durch eine Art Worttrichter. Darauf sind deutsche Worte zu lesen, die in Lexika verschiedenster Sprachen Eingang gefunden haben. „Überdirektor“ etwa. Oder: „gruebelsucht“, wie die Engländer sagen. „Zeitnot“ ist eine Bezeichnung im Russischen.

Hat der Besucher diese Barrieren überwunden, gelangt er gewissermaßen in die deutsche Innenwelt. Da begegnen ihm dann Geistesheroen wie Goethe oder Schiller. Manchmal ganz profan: auf Lebkuchenherzen oder Plakaten der NS-Zeit. Joseph Freiherr von Eichendorffs Buch „Aus dem Leben eines Taugenichts“ ist ebenso vertreten wie eine „Meistersinger“-Partitur von Richard Wagner oder Albrecht Dürers berühmte „Melancholia“-Graphik. Arnold Böcklins Sehnsuchtsbild „Villa am Meer“ und ein Jugendstil-Gemälde Heinrich Vogelers bilden einen Kontrast zu Jörg Immendorfs Linolschnitt „Café Deutschland“ oder Wolfgang Mattheuers „Jahrhundertschritt“, mit dem der Künstler 1987 die Flucht aus der DDR thematisierte.

Damit die Auswahl nicht völlig beliebig wirkt, setzen Leitobjekte Akzente. Gartenzwerge stehen augenzwinkernd in der Rubrik „Charakter“ herum. Auch sogenannte „deutsche Tugenden“ wie Pünktlichkeit oder Ordnung kommen auf den ironischen Prüfstand. Eine Mülltonne wirft die Frage auf, ob sich hinter der akribischen deutschen Mülltrennung übertriebener Ordnungswahn verbirgt oder lobenswerte Liebe zur Ökologie. Auch dunkle Kapitel bleiben in Nürnberg nicht ausgeklammert. So ist die Büste Adolf Hitlers als bewusster Stolperstein in der Präsentation vertreten. Auf sperrigen Quadern sind Fotografien Axel Thünkers von NS-Vernichtungslagern in ihrem aktuellen Zustand zu sehen.

Ist das deutsch? Oder eher Luthers berühmte „Thesen“? Die Ausstellung wirft mehr Fragen auf als sie beantwortet. Es geht weniger um eine Chronologie deutscher Geschichte als um ein feuilletonistisches Bild der Deutschen von sich selber. Kein brav-biederes Abschreiten deutscher Befindlichkeit, sondern eine gelungene nationale Identitätssuche zwischen Witz und Ernst, Klischee und Realität.

Nürnberg, bis 2. Oktober. Katalog 18 Euro.

Thomas Senne

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