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Kultur: Des Kaisers neue Kuppel

Ein Investor übernimmt das Postfuhramt. Der erste Nutzer ist schon eingezogen: die Fotogalerie C/O

Asamoah kann nicht mehr lachen, nur noch keuchen. Man glaubt die Sturzbäche aus Schweiß, die ihm über das Gesicht rinnen, auf der eigenen Haut zu spüren. Mathias Braschler und Monika Fischer haben Fußballstars abgelichtet, die direkt vom Platz kamen. In den Gesichtern steht noch die Konzentration der vergangenen 90 Minuten, Angriffslust vereint mit Verletzlichkeit. Es lässt sich sofort ablesen, dass Ronaldinho getroffen hat und Beckham nicht. Die großformatigen Prints der Ausstellung „Abpfiff! Faces of Football“ stehen mit ihrer gestochen scharfen Hochglanzoptik in spannendem Kontrast zur Umgebung, in der sie hängen. Die entstammt einer anderen Zeit. Der dunkelgelbe Putz bröckelt von den Wänden des ehemaligen Kaiserlichen Postfuhramts in der Oranienburger Straße und verleiht ihnen eine malerische Qualität. Jahrelang stand das Gebäude leer und bot Raum für ein Berliner Hin und Her an Nutzungsträumen. Jetzt hat es einen neuen Eigentümer mit großen Plänen.

Der israelische Investor Adi Keizman ist überzeugt, dass Berlin in den kommenden fünf Jahren das Zentrum moderner Kunst für die ganze Welt werden wird. Die Botschaft vom kreativen Potential der Stadt ist in den internationalen Chefetagen angelangt und klingt, von dort aus formuliert, wie eine Neuigkeit. Keizman möchte mitspielen, wenn Berlin Weltmeister wird. Er will das Postfuhramt zu einem „urbanen Ort für Wohnen, Kultur, Handel, Events und Freizeit“ umbauen lassen. Das nennt er „Vision“.

Visionen ist das Gebäude schon gewöhnt. Bei seiner Fertigstellung 1881 stand der dreigeschossige Klinkerbau mit seiner imposanten Kuppel für den Aufbruch ins Zeitalter der modernen Kommunikation. Im Keller wurde Rohrpost verschossen, im Hof warteten 240 Pferde in zwei Stockwerken auf den Einsatz. Später wurden die Ställe durch Garagen ersetzt. Bis 1995 nutzte die Post das Gebäude. Seitdem wurde es mit wechselnden Ausstellungen bespielt, während nach einer dauerhaften Nutzungsmöglichkeit gesucht wurde. Der Einzug der Berlinischen Galerie scheiterte an den Preisvorstellungen der Post. Auch ein Investor, der ein Hotel errichten wollte, zog sich zurück. Wer dieses Haus einnehmen will, muss eine gesunde Portion Idealismus mitbringen.

Die kann sich Keizman leisten. Er besitzt Immobilien auf der ganzen Welt. Das Postfuhramt ist für ihn ein „künstlerisches Meisterwerk“, ein „kulturelles Erbe Berlins“. Er möchte erst das Wesen des Gebäudes verstehen, bevor er entscheidet, wie es am besten zu nutzen sei. Während der Besinnungsphase werden in den kommenden Monaten Kulturprojekte die Räume zwischennutzen. Erster Partner ist die Galerie C/O Berlin, das vergangenen Donnerstag mit der Ausstellung „Abpfiff!“ den Anpfiff geleistet hat.

Für C/O schließt sich mit dem Einzug in das Postfuhramt ein Kreis. Hier begann vor sechs Jahren mit einer Magnum-Retrospektive die Erfolgsgeschichte der Galerie. Auch der Name stammt aus dieser Zeit, als auf Briefen stand: „c/o Postfuhramt“. C/O zog 2001 weiter in eine alte Gießerei in der Linienstraße und baute sie zu einem international beachteten Zentrum für Fotografie aus – eine Institution, die Berlin jahrelang gefehlt hatte. Was den öffentlichen Museen nicht gelungen war, haben die drei Partner von C/O in Privatinitiative geschafft, dank Netzwerkpflege, Unternehmergeist und einer fruchtbaren Mischung an Fähigkeiten: Stephan Erfurt ist Fotograf, Marc Naroska Designer und Ingo Pott Architekt. Sie gehen weiterhin ihren Berufen nach und widmen sich ehrenamtlich der Galerie.

„The Cultural Forum for Photography“, wie sich C/O nennt, zeigt, wie Kultur jenseits staatlicher Förderung organisiert werden kann. Die Finanzierung läuft ausschließlich über Eintrittsgelder, Sponsoren und die Vermietung von Veranstaltungsräumen. Um Anträge auf staatliche Förderung genehmigt zu bekommen, ist C/O meist schlicht zu schnell: Da wird auch mal spontan eine Ausstellung mit Bildern von Margaret Bourke-Whites vom Flughafen Rom abgeholt, die eigentlich auf ihren Rücktransport in die USA gewartet hat, oder René Burri bietet an, seine Werkschau zwischen zwei anderen Terminen in der Linienstraße zu zeigen. Der Auszug aus dem alten Standort in der Linienstraße und der Umzug in das Postfuhramt wurde innerhalb von vier Wochen beschlossen und realisiert. Die Galerie agiert so flexibel wie ein modernes Unternehmen, ohne aber auf Gewinn aus zu sein. Die Ausstellungen zielen, anders als bei den meisten privaten Galerien, nicht auf den Verkauf. Mit Angeboten für Kinder und junge Talente kümmert man sich auch um den Nachwuchs.

Adi Keizman, der internationale Immobilieninvestor mit Hang zur Kunst, und die Kunstliebhaber mit Unternehmerinstinkt von C/O sind Partner, die gut zusammen passen. So plant Ingo Pott mit seinem Büro auch am Umbau des Postfuhramts mit. Er versteht Architektur als „Dialog“. Noch gibt es keine konkreten Baupläne. „Die große Aufgabe liegt nicht alleine in der Gestaltung des Gebäudes“, sagt Pott, „sondern darin, wie man es belebt.“ Fest steht jedenfalls, dass nicht die originalgetreue Restauration des Denkmalgeschützten Baus Priorität hat. „Wir wollen eher Raumfolgen und Raumerlebnisse rekonstruieren als Dekors und Details.“ Man darf hoffen, dass dem Ort keine planerischen Konzepte von außen aufgezwängt werden, sondern er von innen heraus wachsen kann. Es wäre ein schönes Zeichen in der Berliner Abriss-Kultur.

Freilich wird einst, wenn das Postfuhramt kulturell aufgewertet ist, die Versuchung groß sein, es kommerziell weiter zu verwerten. Keizmans Pläne lassen vieles offen. Die Lage zwischen Regierungsviertel und Museumsinsel wäre nicht nur für ein Kunstzentrum ideal, sondern auch für ein Veranstaltungszentrum und Luxussuiten. Pott blickt dennoch gelassen in die Zukunft. Falls C/O nicht im Postfuhramt bleiben könne, „ziehen wir eben weiter“.

Das ist die Sprache der Investoren. Und die Sprache der Nomaden.

C/O Berlin, Postfuhramt, Oranienburger Straße / Ecke Tucholskystraße, täglich 11 bis 20 Uhr. Die Ausstellung „Abpfiff“ läuft bis zum 9. Juli.

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