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Zeitloser Blick. Wilhelm Wagenfeld 1954.

© Wilhelm Wagenfeld Stiftung, Bremen

Design: Sinn als Form

Gestalter der Republik: Dessau ehrt den Industriedesigner Wilhelm Wagenfeld zum 111. Geburtstag.

Wenn die Gäste am Ende sagen: Wunderbarer Abend, und der Wein war so gut wie noch nie, dann lag’s am Glas, sagt Wilhelm Wagenfeld. Ein Glas, das formschön ist und gut in der Hand liegt, erhöht den Trinkgenuss, das war das Credo des Gestalters, der auch ein Genießer war. Er musste es wissen: Hatte er doch alle Glasentwürfe – und davon gab es viele im Laufe seines fast siebzigjährigen Berufslebens – bei geselligen Abenden ausführlich getestet. Mit exzellentem Wein natürlich.

Meike Noll-Wagenfeld, die Tochter des 1990 verstorbenen Designers, erzählt noch eine Geschichte. Wie sie mit einem heutigen Glasproduzenten sprach und sich wunderte: Diese Gläser mit ihren dünnen Stielen, die gehen immer sofort kaputt. Ja, genau, sagte der Produzent, das soll auch so sein, sonst kaufen die Leute keine neuen. Ihr Vater, sagt Noll-Wagenfeld, hätte das anders gesehen. Wagenfelds Kreationen waren auf Dauer angelegt. Nicht umsonst sind sie in vielen Haushalten noch heute in Benutzung.

Die Produkte sind berühmt, der Schöpfer ist es weniger. Dass Wilhelm Wagenfeld, der 1900 in Bremen geborene Arbeitersohn, einer der ganz großen Industriegestalter des 20. Jahrhunderts war, weiß man. Doch wie viel er entworfen hat und in wie vielen Bereichen, ist dann doch eine Überraschung. Das berühmte Teeservice für das Jenaer Glaswerk Schott & Genossen, das Formbesteck für WMF, die ikonische Wagenfeld-Leuchte, eine der frühesten Bauhaus-Kreationen – all das ist untrennbar mit dem Namen Wagenfeld verbunden. Aber die unzähligen Treppenhauslampen und Hausnummernleuchten, die Klinken und Griffe an Schwingtüren von Verwaltung und Theater, die Bierseidel in Kneipen, die Pelikan-Tintenflaschen und das Senfglas für Hengstenberg – so viel Alltagskultur vor allem der Bundesrepublik, und immer steckt der Name Wagenfeld dahinter.

Die Ausstellung, die das Bauhaus Dessau nun von der Bremer Wagenfeld-Stiftung übernommen hat, gleicht deshalb einer Zeitreise, mit zeitlos schönen Exponaten und anrührenden persönlichen Dokumenten. Wagenfeld war nicht nur Designer, sondern auch charismatischer Lehrer – und ein reizender Vater, wie fantasievolle Buntstiftbriefe an seine damals siebenjährige Tochter beweisen.

Am Bauhaus selbst war Wagenfeld gerade einmal zwei Jahre, und in Dessau höchstens einmal zu Besuch. 1923 war das Versprechen des Weimarer Bauhauses, Kunst und Leben, Form und Anwendung zusammenzubringen, für den jungen Künstler das Angebot zur rechten Zeit. Expressionistische Holzschnitte für Frankfurter Galerien, Silbermonstranzen und Schmuck, das konnte es für Wagenfeld auf Dauer nicht sein. Nicht umsonst hatte Hugo Leven, der Direktor der Hanauer Zeichenakademie, bei dem Wagenfeld studiert hatte, ihm gesagt: „Sie sind doch so sozial eingestellt, Sie sollten nicht Grafik für reiche Leute machen.“ Und so vernichtet Wagenfeld seine Radierplatten und Druckstöcke, verschenkt seine Grafiken und beginnt in Weimar neu.

Im Bauhaus ist Wagenfeld bei sich angekommen – wie sehr, zeigt sein Oeuvre bis in die Siebziger. Konsequenter als das Bauhaus ist er in seinen Forderungen, Schönes müsse erschwinglich sein, und gute Form sei die Voraussetzung für gute Nutzung. Dass er damit schneller als seine recht elitären Bauhaus-Kollegen den Weg in die Industrie- und Massenproduktion findet, ist folgerichtig. Ab 1930 entwirft Wagenfeld für die Jenaer Glaswerke Tassen, Schüsseln, Eierkocher, Beleuchtungskörper – Massenware, die zum Inbegriff einer neuen Zeit wurde. Das Teeservice auf Freischwingern , die gläsernen Auflaufformen als Zeichen der modernen Küche – der begnadete Kommunikationstechniker Wagenfeld lässt seine Kreationen vom Bauhaus-Kollegen Lázló Moholy-Nagy umfassend bewerben, in Plakat, Film und Foto. Auch hier ist er Pionier.

Kontinuität und Dauer, Haltbarkeit und Zeitlosigkeit: In Dessau kann man nun erfahren, wie sehr Wagenfeld sich treu geblieben ist. In den Formen, die äußere Eleganz mit größtmöglicher Funktionalität verbinden und damit keinen Moden, sondern inneren Notwendigkeiten folgen. Späte Entwürfe aus den Siebzigern sehen nicht viel anders aus als das berühmte Fürstenberg-Service von 1934. Treu geblieben ist Wagenfeld sich auch im Drang, immer neue Materialien für die Massennutzung zu erschließen und gleichzeitig zu veredeln. Das Laborglas des Jenaer Teeservices, das Pressglas, das er in seiner Zeit bei den Vereinigten Lausitzer Glaswerken in Weißwasser zu eleganten Schalen und Vasen verarbeitet, der ebenfalls aus der Industrie stammende Edelstahl Cromargan, mit dem er für WMF seit den Fünfzigern bei Kannen, Tellern, Bestecken das unerschwingliche Silber ersetzt, der Kunststoff, aus dem er seit den Siebzigern Gemüsesiebe, Bordgeschirr für die Lufthansa, Eierbecher gestaltet: Immer sind es denkbar simple Materialien, die Wagenfeld in ikonische Entwürfe verwandelt. Wegwerfprodukte sind es nicht.

Dass von den in Dessau nun in verschwenderischer Fülle gezeigten Entwürfen das wenigste noch auf dem Markt ist – man mag es nach dieser Ausstellung noch einmal neu bedauern. Meike Noll-Wagenfeld, die sich für die Nachproduktion von Wagenfeld-Entwürfen einsetzt, berichtet von Schwierigkeiten, die vom Vater vorgegebenen Qualitätsstandards bei heutigen Firmen zu halten – und vom Unwillen, sich auf Wagenfelds Experimentierfreude einzulassen. Vielleicht auch, weil allzu lange Haltbarkeit den heutigen Umschlagszyklen widerspricht. Wie sagte Wend Fischer, der Direktor der Neuen Sammlung in München, 1973: „Wagenfelds Mitarbeit an der Fabrikation von Dingen geht vom Brauchen und Gebrauchen aus. Dinge, die der Mensch nicht braucht, interessieren ihn nicht, sollten sie auch noch so lukrativ verkäuflich sein; er hält es da mit Sokrates, der sich beim Gang über den Markt wunderte, wie viele Dinge es doch gebe, die er nicht brauche – Wagenfeld fügt nur hinzu, er wundere sich beim Blick auf den Markt auch über all diejenigen Dinge, die es nicht gebe, obwohl er sie brauche.“ In der Dessauer Ausstellung gibt es nicht ein Stück, das man nicht sofort in Gebrauch nehmen wollte.

Ausstellung „Weiterwirken in die Zeit hinein“, Bauhaus Dessau, bis 30. Oktober

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