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Diese antiken Stücke wurden auf dem Meeresboden bei Caesarea gefunden.

© REUTERS

Despotische Bauherren: Alte Stätten bejubeln - und so Tyrannen verehren

Alte Stätten gelten als Zeugnisse großer Zivilisiertheit. Touristen bejubeln sie – und erfüllen ihren despotischen Bauherren damit genau das, was diese am meisten ersehnten: unsterblich zu sein. Ein Essay.

Ein Essay von Sebastian Leber

Zum Beispiel Caesarea, die antike Hafenstadt am Mittelmeer, deren Ruinen heute zu den touristischen Höhepunkten jeder Reise durch den Norden Israels zählen. Ab 22 vor Christus ließ Herodes, König über Judäa von Roms Gnaden, hier seine Prachtstadt bauen. Mit Amphitheater, Hippodrom, Augustus-Tempel. Weil letzterer auf einem Berg stehen sollte, sich rundum jedoch keiner befand, nicht mal eine Anhöhe, befahl Herodes eine künstliche Aufschüttung. Dort kam dann der Tempel drauf.

Heute werden täglich Reisebusladungen über das Areal geführt, 50 Kilometer nördlich von Tel Aviv. Die Besucher kommen aus den USA, Russland, den EU-Staaten, viele sprechen Deutsch. Was alle eint, ist das Staunen. In dem kurzen Einführungsfilm, der im Kinosaal des Besucherzentrums in Dauerschleife läuft, werden Herodes’ Mut und Ambitionen gelobt, etwas derart Prunkvolles zu erschaffen. Der König, heißt es, habe als Baumaterial nur das Beste vom Besten akzeptiert. Allein der Marmor: Von drei Kontinenten ließ er ihn bringen. Beim Rundgang über das Gelände wird weitergeschwärmt. Eine deutsche Reisegruppe bleibt vor einem Steinklumpen stehen und ist verzückt angesichts der kunstvollen Verzierungen. Diese hübschen Ornamente auf den Säulenresten!

Komplett irre, sagt eine Frau aus der Gruppe

Am meisten bewundert wird die Palastanlage, die Herodes sich selbst gönnte. Er setzte sie auf eine flache Landzunge, die rund 150 Meter ins Meer ragt. In den Fels ließ er eine gewaltige Kuhle schlagen. Die wurde dann zum Schwimmbecken ausgebaut. Das muss man sich mal vorstellen: ein Süßwasser-Swimmingpool, umgeben vom Meer. Im Grunde wie das Berliner Badeschiff in der Spree, nur wesentlich luxuriöser. Und eben zwei Jahrtausende früher. Architektonische Meisterleistung, sagt der deutschsprachige Guide. Komplett irre, sagt eine Frau aus seiner Gruppe.

Es ist ein Graus, den Touristen in Caesarea beim Bejubeln alter Trümmer zuzusehen. Sie glauben, sie blicken auf Zeugnisse großer Zivilisiertheit. Wenn überhaupt, sind es Zeugnisse großer Barbarei. Herodes war kein netter Mensch. Das eigene Volk hasste ihn, weil er von den römischen Besatzern eingesetzt und ihnen hörig war. Er galt als machtgierig, brutal, jähzornig. Als einer, der alles wegmeucheln ließ, was ihm im Weg stand. Möchte man irgendetwas Positives über ihn sagen, dann vielleicht am ehesten das, was der Geschichtsschreiber Flavius Josephus berichtete: dass Herodes zu allen Menschen, egal welcher Herkunft, gleichermaßen grausam war. Aus Paranoia ließ er seine erste Frau, drei Söhne und den Schwager hinrichten. (Dass er in Bethlehem einen Kindermord befahl, wird aber nur im Matthäusevangelium behauptet.) In Caesarea materialisierten sich Herodes’ Größenwahn, seine Protzsucht und die Bereitschaft, sein Volk auszuquetschen, um sich selbst ein Denkmal zu setzen. Das steht aber in keinem Reiseführer, und den Guides vor Ort ist es auch kein Anliegen. Lieber lenken sie die Aufmerksamkeit ihrer Gäste auf den kuriosen Swimmingpool mit Rundum-Meerblick.

Wie wir unseren Urlaub am sinnvollsten verbringen, darüber gibt es konkurrierende, manchmal schwer zu vereinbarende Ansätze. Menschen, die zur Ferienzeit ins Ausland wollen, unterteilen sich grob gesagt in zwei Kategorien: diejenigen, die sich bevorzugt am Strand erholen, sonnenbaden, schnorcheln, maximal ein Buch lesen. Und diejenigen, die ihre Reise nutzen möchten, sich weiterzubilden, fremde Kulturen und deren Geschichte kennenzulernen. Letztere blicken gern etwas überheblich auf die Strandurlauber herab. Weil die ja ihren Geist nicht fordern, sondern bloß faul herumhängen! Der Bildungsurlauber hat ein Faible für alte Ausgrabungsstätten. Ganz besonders ziehen ihn Mauerreste aus der Antike an. Der Palast von Knossós auf Kreta, Xanthos und Pergamon in der Türkei, Gerasa in Jordanien. Dort lässt es sich wunderbar zwischen zerbröckelten Steinreihen entlanglaufen. Die Frage ist: Lernt man dabei etwas – und wird man klüger nach Hause zurückkehren als der Am- Strand-Gebliebene?

Als würden von heute nur Katar und Dubai übrigbleiben

Diese antiken Stücke wurden auf dem Meeresboden bei Caesarea gefunden.
Diese antiken Stücke wurden auf dem Meeresboden bei Caesarea gefunden.

© REUTERS

Wie die Lebenswirklichkeit in der Antike aussah, kann man heute in Büchern und im Internet nachlesen, in Ausstellungen erleben, sich in Vorträgen anhören, studieren. Und dabei immer nur einen Teil der Realität erfahren. Einen besonders winzigen Teil dieser Realität aber erfährt, wer im Urlaub eine antike Stätte besucht. Es ist die Realität einer privilegierten, abgehobenen und oftmals übergeschnappten Elite. Von Größenwahnsinnigen, die sich gegenseitig übertrumpfen wollten, indem sie noch gewaltigere Herrschaftsarchitektur bauten als ihre Konkurrenten und Vorgänger. Wer hat den längsten Turm? Über die Lebenswirklichkeit der übrigen 99 Prozent erfährt man nichts.

Es ist, als würden von der heutigen Zeit nur die Rekordbauten aus Katar und Dubai übrig bleiben, und in ferner Zukunft werden die Menschen denken: Die waren ja ausgeflippt damals im 21. Jahrhundert. Caesarea ist ein anschauliches Beispiel, aber bloß eines von vielen. Hinter jedem großen Bauwerk der Antike steckt ein großer Menschenschinder.

Kaiser Justinian, der Stifter der Hagia Sophia, war ein besonders brutaler. Nach einer Volkserhebung in Konstantinopel, dem sogenannten Nika- Aufstand, ließ er 532 nach Christus 30000 unbewaffnete Zivilisten ins örtliche Hippodrom einschließen und abschlachten. Dass er im Anschluss mit der Errichtung mehrerer Prunkbauten begann, allen voran der Hagia Sophia, ist kein Zufall. Beides lässt sich nicht unabhängig voneinander denken. Die Kirche diente der Festigung und Darstellung der eigenen Macht, dazu der Selbstverherrlichung. Justinian wollte ein Gotteshaus, das „seit Adam nicht existierte und auch nicht mehr existieren“ werde. Fünfeinhalb Jahre lang arbeiteten 10000 Menschen auf der Baustelle. Am Ende stand die gigantischste Kirche der Welt mit vergoldeter Kuppel von 30 Metern Durchmesser. Sogar Salomons Tempel in Jerusalem hatte Justinian übertroffen. Was ihm besonders wichtig war.

Die Bauten gewöhnlicher Menschen haben nicht überdauert

Oder das Forum Romanum, ein halbes Jahrtausend zuvor vom ersten römischen Kaiser Augustus durch verschwenderischen Einsatz von Marmor und Süßwasserkalkstein zu einem prachtvollen Platz umgestaltet. Es gilt als Paradebeispiel für die Fortschrittlichkeit einer leider untergegangenen Hochkultur. Doch wie fortschrittlich kann Architektur sein, die erst durch massive Plünderungen fremder Länder möglich wurde? Kein anderer römischer Feldherr oder Kaiser hat mehr Territorien erobert als Augustus, die Beute nutzte er für seine Prestigebauten. Einer seiner Nachfolger, Vespasian, ließ im Zentrum Roms den sogenannten „Friedenstempel“ errichten – ausgerechnet finanziert durch den Goldschatz, den seine Soldaten bei der Eroberung Jerusalems und der Zerstörung des dortigen Tempels in ihren Besitz gebracht hatten. Mehr als eine Million Menschen verloren beim Kampf um Jerusalem ihr Leben.

Geschichtsschreibung gab lange nur die Geschichte aus Sicht der Herrschenden wieder. Bertolt Brecht hat das schon vor 80 Jahren geärgert. In seinem Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“ wollte er wissen, wo wohl die vielen Handwerker, die tagsüber die Chinesische Mauer auftürmten, abends schliefen. Und welche armen Seelen eigentlich das zerstörte Babylon wieder errichten mussten. „Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen / Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?“

Die Bauten der gewöhnlichen Menschen haben die Zeit nicht überdauert. Sie sind längst verwittert, weil sie aus Holz waren, oder wurden plattgemacht, weil sie neuen, moderneren Platz machen mussten. Selbst dort, wo sich Überreste finden, etwa die Grundrisse antiker Wohnhäuser im jordanischen Gerasa, schlendert man als Tourist unachtsam vorbei – weil hundert Meter weiter der Triumphbogen zu Ehren des Kaisers Hadrian wartet. Weil eben nur das Überdurchschnittliche, das Herausragende beeindruckt. Und weil Fremdenführer, Reiseveranstalter und die Planer jeder Tourismusbehörde wissen, dass keine Besucher anlockt, wer Einblicke in die triste Lebenswirklichkeit der Normalbevölkerung verspricht.

Seltsam auch, wie sehr wir uns bei mehr oder weniger erhaltenen Palastanlagen von Verzierungen und Schnörkeln täuschen lassen. Dass wir, sobald eine Arkadenreihe mit korinthischen Kapitellen vor uns steht, ihrem Schöpfer nicht nur Sinn für Ästhetik zugestehen, sondern auch Redlichkeit und Tugendhaftigkeit. Etwas derart Schönes kann nur ein Schöngeist erschaffen haben, oder? Wir fallen auf Fassaden herein. Zwei Ausnahmen gibt es. Zum einen die Pyramiden der alten Ägypter, mit denen wir Ausbeutung und Knechtung assoziieren. Sie gelten als Sinnbilder der Sklaverei. Und das, obwohl ausgerechnet beim Pyramidenbau nach heutigem Forschungsstand überhaupt keine Sklaven eingesetzt wurden. Ihr schlechtes Image verdanken sie den Fantasieberichten des griechischen Geschichtsschreibers Herodot. Und vielen Hollywoodfilmen.

Eine Warnung, was passieren kann, wenn Narzissten ihre Spleens ausleben

Diese antiken Stücke wurden auf dem Meeresboden bei Caesarea gefunden.
Diese antiken Stücke wurden auf dem Meeresboden bei Caesarea gefunden.

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Die zweite Gruppe von Herrschaftsarchitektur, von der wir uns nicht täuschen lassen, ist diejenige, die so jung ist, dass uns die Umstände ihrer Entstehung und der Größenwahn ihrer Erbauer noch präsent sind. Wer heute in Bukarest den gewaltigen Parlamentspalast besichtigt, wird sich kaum über die neoklassizistischen Anleihen freuen und auch nicht voller Bewunderung den fleißigen Rumänen gedenken, die hier auf 360000 Quadratmetern verbauter Fläche 5100 Räume hingestellt haben. Sondern sich über den Tyrannen Nicolae Ceausescu ärgern, der diesen Koloss befohlen hat, während sein Volk darbte. Der britische Historiker Tony Judt hat den Palast zu recht eine „monströse Metapher für maßlose Tyrannei“ genannt. Was ihn aber von der Hagia Sophia oder Herodes’ Caesarea unterscheidet, verriet Judt nicht.

Das Perfide ist, dass wir den Tyrannen von einst ungewollt helfen. Indem wir heute die Reste ihrer Bauten bestaunen, erfüllen wir ihnen genau das, was sie vor Jahrtausenden am meisten ersehnten: unsterblich zu werden. Während praktisch alle Zeitgenossen vergessen, ja ausgelöscht sind, wird sich ihrer noch erinnert.

Lädt moralische Schuld auf sich, wer für Despoten baut?

Es ist nichts Verwerfliches daran, sich von antiken Palästen und Festungen, Hafenanlagen oder raffinierten Wasserleitungen beeindrucken zu lassen. Und es wäre dumm, diese Stätten zu meiden, nur weil sie von den falschen Menschen aus falschen Motiven geschaffen wurden. Es hilft doch schon, wenn man sich den Kontext ihrer Entstehung vor Augen hält. Die Bauten nicht mehr als Ausdruck zivilisierter Hochkultur feiert, sondern als Mahnmal begreift. Als Warnung vor dem, was passieren kann, wenn man Narzissten ihre Spleens ausleben lässt.

Die Frage, was Herschaftsarchitektur anrichten kann, reicht bis in die Gegenwart. Lädt moralische Schuld auf sich, wer den Despoten von heute beim Errichten ihrer Machtsymbole hilft? Der Düsseldorfer Star-Architekt Christoph Ingenhoven weigert sich, Repräsentationsbauten in Staaten ohne Gewaltenteilung und Pressefreiheit zu errichten. Viele andere sehen das weniger streng, entwerfen fleißig für Autokraten und Schlimmeres. Die sind schließlich der ideale Bauherr, haben Geld, Hang zum Superlativ, können sich über jede Bürokratie hinwegsetzen. Und sowieso: Wo zöge man die Grenze? Was ist mit Russland? Vietnam? Als Rem Koolhaas den gewaltigen Turm für das chinesische Staatsfernsehen in Peking entwarf, neue Propagandazentrale des Regimes, versuchten seine Mitarbeiter ein eigenwilliges Narrativ durchzusetzen: dass so ein Bau auch zur Öffnung der Gesellschaft beitragen könne. Ihr Entwurf schaffe schließlich „als interne Organisationsform einen Kreislauf, der ausdrücklich vertikale Hierarchien infrage“ stelle. Das stehe dann irgendwie für die Gleichheit der Menschen – ohne Oben und Unten.

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