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Wo die Zitronen blühen. Das vom Frankfurter Städel-Museum nach Paris ausgeliehene Gemälde „Goethe in der Campagna“ von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1787) ist das Sinnbild deutscher Sehnsucht nach Süden und klassischer Antike.

© U. Edelmann/Städel

Deutsch-französische Freundschaft: Germanophil oder germanophob

Die Pariser Ausstellung „Über Deutschland, 1800-1939“ zeigt 140 Schaustücke von überragender Qualität Das französische Publikum ist begeistert, deutsche Kritiker sind verärgert – warum eigentlich?

Goethe, das ist Deutschland. Das berühmte Frankfurter Tischbein-Gemälde „Goethe in der Campagna“ eröffnet die Ausstellung „Über Deutschland, 1800-1939. Von Friedrich bis Beckmann“ im Pariser Louvre. Unter der Schirmherrschaft von Präsident Hollande und Kanzlerin Merkel bildet sie einen Höhepunkt im Festprogramm zum 50. Jahrestag des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages.

Glaubt man allerdings der deutschen Seite, ob Kritikern oder nach Paris gereisten Museumsleuten, hat der Louvre dieser Freundschaft einen Bärendienst erwiesen. Dem scheidenden Direktor Henri Loyrette und seinem Kurator Sébastien Allard wird vorgeworfen, ein Zerrbild der deutschen Kunst zu liefern, die nichts anderes sei als ein „Sonderweg ins Verderben“, wie die „FAZ“ wütete: „direkt zu Riefenstahl“.

Ja, zwei Minuten zehn Sekunden aus Leni Riefenstahls „Olympia“-Machwerk von 1936 sind in der Ausstellung tatsächlich zu sehen, zugleich aber auf der gegenüberliegenden Wand ein entsprechender Ausschnitt aus „Menschen am Sonntag“, dem Episodenfilm von 1930, an dem gleich vier spätere Exilanten und Hollywoodgrößen mitgearbeitet haben. Und in einem weiteren Raum sind Minutenausschnitte aus „Metropolis“ und aus „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ gegenübergestellt, beides Filme von 1927, einem der „goldenen zwanziger Jahre“, die es für kurze Zeit tatsächlich gab.

Verheißungsvolles und Düsteres liegen in der deutschen Kunst eng beieinander. Dabei ist stets der Schatten stärker ausgeprägt, jedenfalls in der deutschen Selbstwahrnehmung. Wie einfach wäre es für den Louvre gewesen, genau diesem Leitmotiv zu folgen und die deutsche Kunst als düster-verschwiemelt abzukanzeln! Stattdessen ausgerechnet Goethe, der Weimarer Dichterfürst, mit seinem Kosmopolitismus und der Ablehnung nationalistischer Kunsttümelei. Er gibt quasi den guten Geist der Pariser Auswahl aus 140 Jahren deutscher Malerei.

Seine Farbenlehre als Durchdringung von wissenschaftlicher Erkenntnis und sinnlicher Wahrnehmung der Natur wird ausführlich dargelegt, umrahmt von der Privatmythologie des jung verstorbenen Philipp Otto Runge (1777-1810), aber auch von der in sich versponnenen Welt, die Paul Klee (1879-1940) in seinen Zeichnungen und Aquarellen entstehen lässt. Dann Caspar David Friedrich (1774-1840): Zwanzig Gemälde dieses Zentralgestirns der norddeutschen Romantik sind zu sehen, kontrastierend teils zu jenen von Carl Gustav Carus (1789-1869), der die Natur als sezierender Wissenschaftler sah, teils von Ludwig Richter (1803-1884), der als „romantisch“ geschätzte Darstellungseffekte ausspielt. Also, Natur kann in der deutschen Kunst zweierlei bedeuten, innere Schau wie bei Friedrich – „Schließe dein leibliches Auge“ – und äußere Sicht wie bei Carus. Dass Natur im deutschen Geisteshaushalt eine besondere Rolle spielt, wird schwerlich zu bestreiten sein.

„Da ist nichts von Germanophobie“, schüttelt Allard, im Hauptberuf Chef der Gemäldeabteilung des Louvre, den Kopf. Die These der Ausstellung ist umfassender. Mit dem von Nietzsche ausgeformten Gegensatzpaar von Apollon und Dionysos, von Verstand und Trieb, von Ewigkeitsanspruch und Augenblickslust soll die verschlungene Entwicklung der deutschen Kunst ab 1800 in zwei Hauptlinien aufgedröselt werden – und auch die dionysische Seite wird nicht als Vorspiel zur Hitlerei missdeutet. Dass die erst verhinderte und dann versäumte, schließlich durch „Feuer und Eisen“ geschmiedete Nationalstaatsbildung eine zum Verständnis unerlässliche Folie bildet, machen die Kuratoren deutlich. Das aber drückt die Kunst schon selber aus, sei es die Rückwärtsutopie der Nazarener, etwa in Franz Pforrs (1788-1812) „Einzug Kaiser Rudolfs von Habsburg in Basel“, sei es die nationale Hoffnung in der „Idealansicht des Kölner Doms“ des gebürtigen Berliners Carl Hasenpflug von 1836, oder seien es Arnold Böcklins (1827-1901) frivole Meeresgeschöpfe aus der Zeit des auftrumpfenden Wilhelminismus.

Es geht den Kuratoren nicht um die bloße Chronologie der Kunst. Kein Lexikon wird illustriert. Es geht um Kunst eines Landes, das sich als politisch zu kurz gekommen empfand und das später den Horror des Ersten Weltkriegs in besonderer Weise erlebte, weil es diesen Krieg verlor und hernach nicht einmal eine Revolution zustande brachte, es sei denn die Konterrevolution der „Völkischen“.

Sicher, das Bauhaus und die mit seinem Namen assoziierte kulturelle Totalerneuerung, die die große Leistung der zwanziger Jahre in Deutschland darstellt, kommt in der Louvre-Ausstellung nicht vor. Das ist – zumal unter dem Stichwort Apollon! – ein fühlbarer Mangel. Wie überhaupt das Schlusskapitel unter dem Titel „Ecce Homo“, dem letzten Gemälde des todkranken Lovis Corinth (1858-1925) entlehnt, die schwächste der drei Abteilungen darstellt. Corinths Gemälde bildet mit Max Beckmanns im Exil entstandener „Hölle der Vögel“ von 1938 einen bedrückenden Schlussakkord, das schon. Aber zwischen beiden Werken sind 18 Porträtfotografien von August Sander (1876-1964) aus den späten zwanziger Jahren zu sehen, die in der Sprache der Neuen Sachlichkeit die Individualität der Angehörigen aller Stände zeigen – das Gegenteil der von den Nazis instrumentierten „Vermassung“.

Und es genügt das großartige „Eisenwalzwerk“ Adolph Menzels von 1875 aus der Alten Nationalgalerie Berlin, um ein anderes, nüchternes, neuzeitlich verankertes Deutschland zu umreißen, das es eben auch gegeben hat, parallel zu Geschichtsnostalgie und Natursehnsucht und Apokalypsebeschwörung, die das Bild der deutschen Kultur nicht verfälschen, sondern nuancieren. Nur darf uns das offenbar niemand „von außen“ sagen. Am deutschen Wesen verzweifeln wollen wir bitte schön ganz alleine.

Jedenfalls ist diese Ausstellung, allein schon wegen der überragenden Qualität ihrer rund 140 Leihgaben, ein Ereignis und jede Reise wert. Die Missstimmung, die der offenbar wenig teamfähige deutsche Kokurator Andreas Beyer, der Leiter des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris, mit heftiger Polemik gegen den Louvre schürt, ist dagegen lediglich Beleg für jene Art von Voreingenommenheit, die umgekehrt der französischen Seite vorgeworfen wird. Selten war dort die Neugier auf deutsche Kunst und Kultur größer als heute.

Paris, Louvre, bis 24. Juni; Begleitbuch (in Französisch), 432 S., 45 Euro

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