zum Hauptinhalt

Kultur: Deutsche Buchpreisbindung: Wir sind so frei (Leitartikel)

Vor ein paar Wochen sah es noch so aus, als müsste man nur André Rettberg, den Geschäftsführer der österreichischen Libro AG, zur Raison bringen. Sein Versuch, die deutsche Buchpreisbindung auf dem Weg des Internetversands zu unterlaufen, stieß in der gesamten Branche auf Widerstand - und mündete in einen Lieferboybott vieler angesehener Verlage.

Von Gregor Dotzauer

Vor ein paar Wochen sah es noch so aus, als müsste man nur André Rettberg, den Geschäftsführer der österreichischen Libro AG, zur Raison bringen. Sein Versuch, die deutsche Buchpreisbindung auf dem Weg des Internetversands zu unterlaufen, stieß in der gesamten Branche auf Widerstand - und mündete in einen Lieferboybott vieler angesehener Verlage. Sollte der vor der Brüsseler EU-Kommission hart erkämpfte deutsche Sonderweg im de-regulierten Europa plötzlich nicht mehr gelten, weil jemand eine Gesetzeslücke entdeckt hatte? Spätestens nach den gestern fortgesetzten Durchsuchungen bei deutschen Verlagen, die Beweise für eine Absprache unter den Boykotteuren erbringen sollten, ist offenbar die Zeit für Grundsätzliches wieder angebrochen. Nur kann es dabei nicht mehr so sehr um das bis zum Erbrechen ausgetauschte Für und Wider der Buchpreisbindung gehen, sondern um dessen Symbolcharakter. Denn die klammheimliche Freude, mit der inzwischen nicht nur Marktradikale das Freibeutertum verfolgen, liebäugelt mit einer Veränderung des politischen Klimas.

Zur Erinnerung: Die Deregulierer haben zwei Argumente. Zum einen versprechen sie, mit billigeren Büchern den Geldbeutel zu schonen - ähnlich wie im Bereich von Energieversorgung oder Telekommunikation. Zum anderen erklären sie die Buchpreisbindung zum Anachronismus in einer freien Gesellschaft mündiger Bürger. Der Hinweis auf den konkreten Nutzen wiegt nicht schwer. Zwar werden viele Leser von Rabatten auf den neuen Grisham oder sogar den alten Kafka profitieren. Aber sie tun es auf Kosten von Minderheiten, die zusammen eine Mehrheit bilden dürften. Sie schaden dem flächendeckenden kleinen Buchhandel, der mangels Masse keine großzügigen Nachlässe vereinbaren kann. Sie schaden den Verlagen, die garantierte Einnahmen aus Bestsellern brauchen, um sperrigere Ware zu finanzieren. Sowohl Zahl wie Bandbreite der veröffentlichten Titel nehmen, wie das Beispiel Frankreich aus vergangenen Jahren zeigt, ohne Preisbindung deutlich ab. Und der Verweis auf Amerika führt nicht besonders weit: Dort garantiert eine Vielzahl von Universitätsverlagen das geistige Leben. Der in Europa einzigartige Reichtum der deutschen Buchlandschaft ist also etwas zunächst Schützenswertes. Abstrakt ausgedrückt: Es geht um Solidarität - und es geht um Kultur.

Wer in diesem Zusammenhang von Freiheit spricht, darf von Gleichheit und - im übertragenen Sinn - von Brüderlichkeit nicht schweigen. Deswegen ist auch das zweite Argument so schwach. Der Begriff von Freiheit, der dabei zählt, ist durch und durch ideologisch. Er steht für Verantwortungslosigkeit, und Mündigkeit ist nur ein anderes Wort für Kaufkraft. Im Übrigen trifft ein deregulierter Buchmarkt die Kultur an ihrem schwächsten Punkt. Denn das Privileg, Bücher zu festen Preisen zu verkaufen, ist winzig gegenüber den Geschenken der öffentlichen Hand an Theater und Opernhäuser, die mindestens drei Viertel ihres Etats subventioniert bekommen. Daran rührt niemand - solange das System auch dem härtesten Marktradikalenein Stück Repräsentationskultur für den netten Abend mit der Freundin bietet. Ein deregulierter Buchmarkt trifft die Kultur insofern zugleich an ihrem innovativsten Punkt, als Ideen immer noch am stärksten in Büchern entwickelt und diskutiert werden. Wer das ablehnt, darf auch nicht für mehr Bildung plädieren.

Eine liberale Gesellschaft lebt vom freien Austausch freier Köpfe. Sie kann beispielsweise nicht mit katholischen Argumenten auf einen Konsens in der Diskussion um die Schwulenehe hoffen. Aber sie kann, ganz undogmatisch, auf jenes Minimum kulturell vorgegebener, wenn auch revidierbarer Werte vertrauen, das nicht jeden Fürsprecher der Buchpreisbindung gleich zum Reaktionär abstempelt. Apokalyptische Szenarien sind ohnedies Unsinn - schon deshalb, weil das Schicksal des Kulturguts Buch nicht allein an der Preisbindung hängt. Es entscheidet sich am Format der Verleger und an der kritischen Neugier einer Medienöffentlichkeit, die sich nicht völlig dem Zauber von Buchevents überlassen darf.

Nebenbei: Libro hat Donna Woofolks Roman "Die Päpstin" (Aufbau) für 15,92 Mark statt 19,90 Mark angeboten. Wieviel Risiko sind 3,98 Mark wert?

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false