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Hände weg von den Opernhäusern! In Robert Carsens Inszenierung gibt es die Deutsche, die Komische und die Staatsorange. Hier eine Szene mit Heidi Stober als Ninette.

© Bresadola/drama-berlin.de

Deutsche Oper: Berlin, wie es singt und lacht

Drei Orangen? Drei Opernhäuser! Regisseur Robert Carsen verwandelt Prokofjews "Die Liebe zu den drei Orangen" in eine vergnügliche Revue über Berlins Bühnen. Die Premiere an der Deutschen Oper dirigierte Steven Sloane.

Ein starkes Stück von einem Beginn! Weitreichender noch in seiner Wirkung, als die mit Maschinengewehren bewaffneten Spötter, die die Bühne der Deutschen Oper stürmen, um dort ein Avantgardetheater nach eigenem Gusto durchzusetzen. Auf dem Brecht’schen V-Effekt-Vorhang erscheint der Schriftzug der Dreigroschenoper rot übermalt mit dem Titel des Abends: „Die Liebe zu den drei Orangen“. Prokofjew tritt an die Stelle des Gassenhauers von Weill – und ein Regieteam schickt sich an, das Erbe eines legendären Erfolgs der Berliner Theatergeschichte anzutreten. Der Kanadier Robert Carsen präsentiert sich in seiner ersten eigens für Berlin erdachten Regiearbeit als freundlich karikierender Kenner der hauptstädtischen Dramatik. Genüsslich lässt er Moden und Marotten Revue passieren, während der von Prokofjew in die Parteigänger von Dramen, Komödien, Romanzen und Gaudi aufgesplittete Chor Einfluss auf die Handlung zu gewinnen sucht.

Wird der Prinz an seiner von traurigen Versen gemästeten Melancholie eingehen und die gehässige Prinzessin Clarisse den Thron von König Treff übernehmen? Wird es den Intriganten gelingen, den Prinz vom heilenden Lachen fernzuhalten? Die Theatermaschinerie läuft auf vollen Touren, es werden aufheiternde Spektakel erdacht, die die Zuschauer in die Frühphase der Berlinale versetzen, mitten in den Zoo-Palast. Bundesadler und Berliner Bär kloppen sich wie die Kesselflicker. Blut spritzt, die Zeit fliegt, plötzlich winkt Festivalchef Dieter Kosslick, Blitzlichtgewitter, Tütenpaula schlurft vorüber und der Wind erscheint als Straßenfeger im Orange der Stadtreinigung. Der Magier Tschelio müht sich als leicht überforderter Hanussen um Verzauberung und deren Auflösung, begleitet von einem expressionistischen Ballett, das von den fehlgeleiteten Versuchen des Illusionsstrebens gezeichnet ist, von Schlössern, die sich nicht mehr öffnen, und Messern, die ihr Ziel verfehlen. Die Verschwörer treffen sich in der Schaubühne, um sich per Videozuspiel mit der Zauberin Fata Morgana zu verbünden – bis alles ins Castorf-Theater aufbricht.

In einer grandiosen Hommage an das Theater der abgetrennten Gliedmaßen und schwappenden Fäkalien werden die drei Orangen, nach denen sich der Prinz unsterblich sehnt, aus einer Kloschüssel geborgen. Sie wachsen sehr rasch, bis sie in voller Pracht dastehen: Berlins Opernhäuser, die Komische Orange, die Deutsche Orange und die Staatsorange. Der Ersten entspringt eine Deutsch (!) singende Prinzessin, der Letzteren eine gezierte Rokoko-Dame. Sie gehen alsbald an Wassermangel zugrunde, während der Deutschen Orange eine Prinzessin mit Walkürenhelm entsteigt. Auch ihr Durst ist gewaltig, er kann nur durch die Hereingabe eines Eimers frischen Geldes gestillt werden. Es folgt eine Reverenz an das Robert-Wilson-Theater in Nachtblau, mit denaturierten Gesten und scharfen Schattenrissen. Immer wieder saust der übermalte Dreigroschenvorhang herab.

Robert Carsens durchweg vergnügliche Feier des Theaters schnurrt ab wie am Schnürchen, weil sie mit Prokofjew den idealen Komponisten gefunden hat – und mit der Deutschen Oper das ideale Ensemble. Es macht sich mit Feuereifer über das gewaltige Rollenangebot her, funkelt immer, glänzt zumeist. Thomas Blondelle liefert mit dem vom antrieblosen Pillenschlucker zum feurigen Orangeneroberer mutierenden Prinzen eine starke Darstellung, der Schwächen in den hohen Lagen keinen Abbruch tun. Burkhard Ulrichs Truffaldino singt mit geweiteten Spaßmacherpupillen, während Markus Brück seinen Intriganten Léandre hinter messerscharfen Lidschlitzen aufblitzen lässt. Tobias Kehrers Bass aalt sich im vokalen Rollenschmutz der furchtbaren Köchin, der Chor ist auf den Punkt instruiert.

Auch in Steven Sloane am Pult des Orchesters der Deutschen Oper hat die Regie einen unerschütterlichen Verbündeten, mit vom Gesang gesteuerten Tempi und Kraftentfaltung aus dem Graben. Die Motorik von Prokofjews Partitur duldet kein Innehalten, die Suche nach dem Theater von heute auch nicht. Diese Sehnsucht, dieser Durst. Und Finger weg von unseren drei saftigen Opernorangen!

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