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Priester des Nihilismus. Ildebrando d’Arcangelo als Don Giovanni.

© Marcus Lieberenz / bildbuehne.de

Deutsche Oper: "Don Giovanni" - wehe diesem Wüstling

In einer Welt zwischen schwarzen Müllsäcken arrangiert Don Giovanni seinen Höllentrip. Roland Schwabs Inszenierung ist kaum zu beherrschen.

Chromblitze zucken durch den dunklen Bühnenraum, wenn Don Giovannis Entourage die Golfschläger zückt. Wenig später haben sie den Schädel des Komtur eingeschlagen. Der Mund des Opfers wird mit einem Golfball gespickt, dazu ein Nummernkärtchen zurückgelassen, welches die Zahl sieben ziert. Roland Schwab scheint für seine Neuinszenierung an der Deutschen Oper Mozarts „Dramma giocoso“ mit „Funny Games“ übersetzen zu wollen – und hat sich dafür Michael Hanekes quälende Exerzitien sinnloser Gewalt sicher noch einmal angesehen.

In einer Welt zwischen schwarzen Müllsäcken, die das Berliner Klubleben bedeuten soll, arrangiert Don Giovanni seinen Höllentrip. Er hat viele Filme gesehen, alle Drogen genommen, jede Frau gehabt. Einzig sein Verlangen nach Strafe lässt ihn noch Fortfahren in seinem Countdown mit Nummernkärtchen, sich selbst als Todsünder ausleuchtend. Ein Hohepriester des Nihilismus, der durch den Schmerz, den er gezielt anderen zufügt, selbst etwas zu fühlen versucht. Dafür ist ihm keine Drastik zu heftig, keine Maskerade zu abgetragen. So stülpt er sich einen goldenen Latexhandschuh über und entjungfert das Bauernmädchen Zerlina – mit dem Golfschläger.

Schwabs Don Giovanni stochert in der Asche seines Menschseins, in der Hoffnung, der eine oder andere Funke werde schon aufstieben. Niemand hindert ihn an seinem Treiben, und man fragt sich beklommen, welcher gescheiterte Politiker die Gefahren dieser Berliner Parallelwelten bekämpfen wird. Wir ahnen bereits, was die größte Strafe für diesen Wüstling ist. Die Wiederholung. Denn die Stimme aus dem Jenseits war auch nur Fake, ein arrangierter Kick, der sofort verklingt, während Don Giovanni und seine Bande wild kichernder Stiefellecker ins Dunkel verschwindet – und gleich wieder den Golfschläger schwingen könnte … Für diese bescheidene Einsicht lässt Schwab Theaterhimmel und -hölle in Bewegung setzen, bastardisiert jedes Bild, kannibalisiert jede Emotion. Bis alles unlesbar wird und die Müllsäcke schlucken, was auch immer dagewesen sein mag.

Ildebrando d’Arcangelo bewegt sich als Titelheld in seinem eigenen Film durch dieses logistische Inferno, ein bisschen später Travolta liegt in seinem Gang. Die Stimme bringt er klug ins Ziel, unterläuft grobkörniges Brüllen zumeist und steht doch immer einen Meter neben sich. Wie der ganze Abend, der Tempo vortäuscht, sich aber nur schleppend fortbewegt. Das liegt auch an Roberto Abbado am Pult des Orchesters der Deutschen Oper. Man hält diesem kultivierten Dirigenten gerne zugute, dass er die Sänger niemals lautstark zudeckt. Er schenkt ihnen aber auch keinen inneren Puls, der zumindest musikalisch einen Weg aus diesem kalten Partykeller weist. Nur ein geborener Spielmacher wie Alex Esposito als Giovannis Diener Leporello kann mit kernigem Ton und aberwitziger Geistesgegenwart dagegen anirrlichtern. Ruxandra Donoses aufopferungsvolle Donna Elvira wird auch vom Dirigenten fallen gelassen – und die Deutsche Oper findet nicht heraus aus ihrem Dilemma.

Schwabs ächzende Inszenierung ist allein durch ihren schieren Aufwand kaum zu beherrschen, dabei gedanklich keineswegs zwingend oder auch nur anregend. Dieser Don Giovanni kann nichts zur dringenden Erneuerung ihres Kernrepertoires beitragen. Das ist ein echtes Handicap.

Nächste Vorstellungen am 21., 23., 26., 29. 10. und 4. 11.

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