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Die Ehebrecherin Katerina Ismailowa (Evelyn Herlitzius) vergnügt sich mit ihrem Liebhaber Sergej (Maxim Aksenov).

© Eventpress Hoensch

Deutsche Oper: "Lady Macbeth von Mzensk": Flunder gibt es immer wieder

Von wegen düsteres Seelendrama: An der Deutschen Oper Berlin deutet Ole Anders Tandberg „Lady Macbeth von Mzensk“ als schrille Sozialfarce.

Das Leben ist kein Fischfilet. Mit ein wenig Glück allerdings steht man wenigstens aufseiten derer, die immer die größten Hechte fangen. So wie Katerina Ismailowa. Sie hat in eine Familie eingeheiratet, die mit Seafood gutes Geld macht. Schwiegervater Boris ist nie ohne ein Paar fangfrischer Prachtexemplare unterwegs, Dutzende dienstbare Geister mit schwarzen Gummilatzhosen und langen Schürzen wuseln ständig ums Stammhaus der Ismailows herum.

Und doch ist Katerina unglücklich. Sie weiß sich nicht zu beschäftigen, hat keine Freunde, keine Interessen. Auch scheint ihr entfallen, warum sie überhaupt die Gattin des ziemlich täppischen Unternehmersohns Sinowij (Thomas Blondelle) geworden ist. Eigentlich ist die Titelheldin von Dmitri Schostakowitschs 1934 uraufgeführter Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ damit eine prototypische Tschechow-Figur. Ein Opfer der Klassengesellschaft, die die Frauen reicher Leute zur Untätigkeit verdammt. Und sie damit in die Depression treibt – oder in den Ehebruch. Das Mitleid der Zuschauer wünschte sich der Komponist für diese Frauenfigur, obwohl sie im Laufe der vier Akte drei Morde begeht. „Diese Verbrechen“, so Schostakowitsch zur Erklärung, „sind ein Protest gegen das Leben, das sie führen muss, gegen die dumpfe Atmosphäre des Kaufmannsmilieus im vergangenen Jahrhundert.“

Ole Anders Tandberg deutet die Geschichte lieber als schrille Sozialfarce

Ole Anders Tandberg macht da nicht mit. Der Regisseur der neuen „Lady Macbeth von Mzensk“-Inszenierung, die als Koproduktion mit Den Norske Opera bereits im September in Oslo herausgekommen ist und nun am Sonntag ihre umjubelte Berliner Premiere feierte, verzichtet auf jegliche moralische Zeigefingerei. Stattdessen deutet er die Geschichte lieber als schrille Sozialfarce.

Auf einen Hügel aus schwarzem, ziemlich kotig wirkendem Lavagestein hat ihm sein Ausstatter Erlend Birkeland eine mit weißen Eternitplatten verschalte Bude gestellt. In dieser Prekariatsbaracke hausen seine Ismailows. Heruntergekommene Exemplare der Spezies Mensch, die genauso einem Aki-Kaurismäki-Film entsprungen scheinen wie die Meute ihrer Fisch-Ausweider. In dieser skandinavischen Einöde strahlt nur selten ein weißliches Licht aus dem Bühnenhimmel herab, man trägt Gummistiefel, bettet sein Haupt zwischen Meeresgetier und gibt sich viehischen Vergnügungen hin. Barsch ist hier nicht nur eine geschuppte Handelsware, sondern auch der normale Umgangston.

Es wird viel gelacht, denn Tandberg hat keine Angst vor Brachialgags. Wenn Katerina am Ende des zweiten Aktes ihren Gatten erdrosselt, brät ihm ihr Seitensprung Sergej sicherheitshalber noch eins mit einem extradicken Kabeljaukadaver über. Und wenn die beiden Ehebrecher Sex haben, marschiert gleich eine ganze Damenkapelle auf, mit roten Faltenröcken, neckischen Hütchen und goldglänzenden Blasinstrumenten, die sie traktieren, dass es eine Lust ist. Eine Fleischeslust, die der Komponist in höchst explizite Klänge geformt hat.

Runnicles reizt Schostakowitschs Marschparodien mit hämmerndem Schlagwerk aus

Die Ehebrecherin Katerina Ismailowa (Evelyn Herlitzius) vergnügt sich mit ihrem Liebhaber Sergej (Maxim Aksenov).
Die Ehebrecherin Katerina Ismailowa (Evelyn Herlitzius) vergnügt sich mit ihrem Liebhaber Sergej (Maxim Aksenov).

© Eventpress Hoensch

Donald Runnicles, Generalmusikdirektor der Deutschen Oper, ist klanglich ganz nah dran an Tandbergs Interpretationsansatz. In expressionistischer Fratzenhaftigkeit reizt er Schostakowitschs Marschparodien aus, mit hämmerndem Schlagwerk und krachendem Gong. Scharf und grell, aber mit absoluter Präzision fordert er die Fortissimo-Ausbrüche vom Orchester. Und die Musiker spielen mit Hingabe, bei den Krachpassagen ebenso wie in den verhaltenen Momenten.

Denn die gibt es beim genialen Musiktheaterpraktiker Schostakowitsch natürlich auch, in dieser Musik, die – wie der junge Benjamin Britten 1936 beobachtete – über die drei Stunden Aufführungsdauer stets „auf eine wunderbare Weise entspannt und flüssig“ bleibt. Sehr frech kann sie zudem sein, wenn der Pope im Angesicht des toten Boris selig im Walzerrhythmus schwelgt. Oder wenn der Polizeichef salbungsvoll eine Arie auf Gesetz und Moral vorträgt. Dazu lässt der Regisseur dann im Hintergrund die Wachtmeister aufmarschieren, bewaffnet mit Bügelbrettern zwecks Beinkleidglättung. Grotesk und lächerlich geriert sich die Staatsmacht, so wie zuvor die Fabrikarbeiter, wenn die mit Gummifischen im Arm als fröhliche Malocher an der Rampe entlangparadieren. Später werden sie bei der Hochzeit von Katerina und Sergej dem Selbstgebrannten aus Fünf-Liter-Kanistern zusprechen.

Prachtvoll klingt der von William Spaulding vorbereitete Chor, wenn er seine Proletenparolen herausschmettert. So wie es überhaupt die reine Freude ist, dieser bis in die kleinste Nebenrolle hinein absolut überzeugend besetzten Produktion zuzuhören. Bassistenlegende John Tomlinson ist als böser Schwiegervater noch so bühnenpräsent wie einst als Göttervater Wotan. Was für ein gewiefter Charaktergestalter, was für eine Persönlichkeit! Maxim Aksenov hat die angemessene Statur für den Frauenbefriediger Sergej. Und den dazu passenden Tenor: durchschlagskräftig, aber mit wenig individuellem Timbre. Und dann ist da natürlich Evelyn Herlitzius. Mutiger, rückhaltloser gibt sich wohl derzeit keine Sängerin des hochdramatischen Fachs auf der Bühne ihren Rollen hin. Und behält dabei auf atemberaubende Weise zugleich ihre Stimme unter Kontrolle, vermag sich nach den gewalttätigsten Ausbrüchen sofort wieder zu fokussieren, einen Ton der Innerlichkeit, der Verletzlichkeit anzuschlagen, der tief berührt.

Für gewöhnlich wird „Lady Macbeth von Mzensk“ als düsteres Seelendrama inszeniert, in dem die Figuren vom reißenden Schicksalsstrom fortgetragen werden, bis zum bitteren Ende, wenn die verurteilte Mörderin Katerina auf dem Weg nach Sibirien von ihrem Sergej verstoßen wird, aber wenigstens noch ihre Nebenbuhlerin mit in den Tod reißt. Mit der zusätzlichen satirischen Ebene, die Ole Anders Tandberg hier einzieht, macht die Oper allerdings definitiv mehr Spaß. Bis zum Finalakt zumindest. Da stößt das Konzept an seine Grenzen. Denn der lässt sich beim besten Willen nicht doppeldeuten, musikalisch regiert nur noch das grenzenlose Elend. Dem auf ironische Brechung geeichten Betrachterauge allerdings muss nun der Leiberberg, zu dem der Regisseur seine spärlich bekleideten Choristen arrangiert, als purer Sozialkitsch erscheinen. Insofern riecht diese „Lady Macbeth von Mzensk“ dann doch ein klein wenig fischig. Aber nur vom Schwanz her.

Weitere Aufführungen am 29. und 31. Januar sowie am 5. und 14. Februar.

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