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Deutsche Stars: Unsere Besten

Nina Hoss, Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Martina Gedeck – Das deutsche Kino hat inzwischen viele große Stars. Das liegt auch am Theatersystem.

Dieter Kosslick sitzt auf dem Podium der Berlinale-Pressekonferenz, wie jedes Jahr. Er verliest die Gästeliste der zu erwartenden Prominenten, wie immer. Und so selbstverständlich, wie der Mann Shah Rukh Khan und Robert Pattinson erhöhtes Teenie-Hysterisierungs-Potenzial bescheinigt, spricht er im gleichen Atemzug von „unseren deutschen Stars“. Das Verrückte daran: Im voll besetzten Saal lacht keiner mehr. Nicht mal gehüstelt wird. Es klingt einfach, als ob ein Sportreporter von „unseren Jungs“ spricht. Oder „unseren Mädels“.

Sandra Hüller für „Requiem“. Nina Hoss für „Yella“. Birgit Minichmayr (die gemeinden wir als österreichische Nachbarin mal ein) für „Alle anderen“ – drei Schauspielerinnen, die allein in den vergangenen fünf Jahren den Silbernen Bären der Berlinale gewonnen haben, geehrt von internationalen Jurys. Und bei den Männern hält Moritz Bleibtreu mit seinem „Elementarteilchen“-Sieg die Fahne hoch. Das Facebook des deutschen Films kann sich sehen lassen, das zeigt sich auch in diesem Wettbewerbsjahr wieder. Nina Hoss spielt eine weitere starke Titelfrau in Christian Petzolds „Barbara“. Lars Eidinger glänzt in Hans-Christian Schmids „Was bleibt“. Birgit Minichmayr und Jürgen Vogel gehen in Matthias Glasners „Gnade“ an die Grenze. Alles Schauspieler, die das Potenzial haben, im Zweifel auch eine mittelmäßige Geschichte leuchten zu lassen. Die das deutsche Kino aufregend machen.

Heike-Melba Fendel, Geschäftsführerin der Agentur Barbarella, stellt erstens fest, dass „ein Starsystem hierzulande wieder funktioniert“. Und beobachtet zweitens eine gewachsene Vielseitigkeit ihrer Branche. Wo mehr produziert werde und mehr Schauspieler gefragt seien, da existierten eben auch viel unterschiedlichere Karrieren und Typen nebeneinander als noch in der Vergangenheit. Die ganze Spannbreite zwischen glamourösen Ex-Girlies wie Heike Makatsch und grundernsten Theaterarbeiterinnen wie Sandra Hüller. Wo sich eine Martina Gedeck (im diesjährigen Panorama mit dem Drama „Die Wand“ vertreten) dem Mainstream verweigert, wandert eine Nina Hoss selbstverständlich zwischen den Welten: hier die symbiotische Arbeitsbeziehung mit ihrem Wahlverwandten Petzold, dort der Auftritt im Eichinger-Eventfilm.

Jürgen Vogel in "Gnade".
Jürgen Vogel in "Gnade".

© Alamode Film/Jakub Bejnarowicz

Überhaupt sieht Fendel eine erhöhte Durchlässigkeit zwischen den Genres. „Der eine macht Kino, der andere nur Fernsehschrott“ – diese snobismusbefeuerte Trennschärfe sei passé, der Weg von der Soap zur Kinohauptrolle nicht mehr ungewöhnlich. „Das haben wir von den Amerikanern gelernt“. Das Schubladendenken sei weg, selbst Werbung nicht mehr verpönt, „das hat unserer Branche enorm geholfen“. Kleine Einschränkung: Wenn ein Theaterstar wie Samuel Finzi, statt sich in Heiner Müller zu vertiefen, für eine Versicherung wirbt, die nebenbei Sexpartys schmeißt, gibt’s Geschmunzel. Aber wenn es Espresso gewesen wäre?

Klar, Hollywood-Verhältnisse haben wir zwischen Rhein und Spree noch lange nicht. Und in mancher Hinsicht ist das ja auch begrüßenswert. Fragt man Anja Dihrberg vom Bundesverband Casting, welche Frauen- und Männertypen im deutschen Kino zur Zeit eigentlich gefragt seien, betont sie das Stichwort „Charakterfach“ und formuliert einen „dezenten Horror“ vor der Gleichschaltungsmaschinerie Hollywoods inklusive Hungerwahn und Schönheitsoperation. Dihrberg hofft, dass „eine Nina Hoss nicht irgendwann aussehen muss wie Nicole Kidman“. Und beobachtet mit Freude, dass es gegenwärtig bei deutschen Schauspielern noch mehr um Qualität als um korrigierte Nasen gehe.

Film und Bühne profitieren voneinander

Martina Gedeck in "Die Wand".
Martina Gedeck in "Die Wand".

© Studiocanal

Für einen Filmemacher wie Matthias Glasner gilt das sowieso. Der sucht mit dem eigenwilligen Jürgen Vogel nach „Der freie Wille“ wieder das Extrem und schwärmt von dessen „Angstfreiheit“. Und eine Minichmayr besetzt er, weil er für seine psychisch strapaziöse Geschichte eine Schauspielerin braucht, die „Substanz mitbringt“.

Anja Dihrberg arbeitet gerade mit Regisseur Brian De Palma zusammen. Der bevorzuge Schauspieler, die vom Theater kommen und ihr Handwerk entsprechend beherrschten, erzählt sie. Und dass die deutsche Theaterlandschaft mit ihrer Ausbildung, ihrem Repertoiresystem und ihrem Anspruch weltweit ihresgleichen sucht, wird niemand bestreiten mögen. Drei, vier komplexe Hauptrollen parallel in einer Saison – nichts Ungewöhnliches. Nur mal zum Vergleich: Wenn in New York Al Pacino in einer hoch gelobten En-suite-Inszenierung von Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ auf der Bühne steht, denkt man, jede Minute kommen die singenden Katzen herein, und am Eingang werden T-Shirts mit Shylock-Konterfei verkauft.

Die Schauspieler, die den diesjährigen Wettbewerb prägen – auch ein Ernst Stötzner oder eine Corinna Harfouch aus Hans-Christian Schmids „Was bleibt“ zählen dazu – sind fast durchweg am Theater groß geworden, oder sie spielen große Rollen an großen Häusern. Mit ihren Kinoauftritten gewinnen sie Bonus-Appeal für die Bühne. Und im Gegenzug schmückt sich mittlerweile auch der Mainstream gern mit den Charakterkünstlern. Heike-Melba Fendel erinnert das an die schöne Ginger-und-Fred-Wendung: „She gave him sex, he gave her class“.

Umgekehrt zieht es nicht wenige Filmemacher zur Bühne: Petzold, Andreas Dresen, Volker Schlöndorff gönnten sich zuletzt Theaterausflüge. Und im Sommer bringt „Gnade“-Macher Matthias Glasner am Deutschen Theater Berlin Ingmar Bergmans „Treulos“ auf die Bühne. In den Hauptrollen: Harfouch und Stötzner. Die wechselseitige Film-Theater-Affinität, sie wächst. Selbst Sönke Wortmann hat seine jüngste Komödie, die im Sommer anläuft, ausschließlich mit Theaterschauspielern aus dem Kölner und Düsseldorfer Ensemble besetzt.

Unterbreitet man diese Sicht dem Schauspieler Ulrich Matthes, der im Panorama in Schlöndorffs „La mer à l’aube“ zu sehen ist, spricht er lachend von „Vergleicheritis“, einer Krankheit, die ausschließlich Journalisten befällt und sich im zwanghaften Aufspüren von Trends äußert. Im Ernst allerdings glaubt auch er, dass „der Ursprung aller Schauspielkunst im Theater“ liege. Die wirklich starken schauspielerischen Begabungen würden von den staatlichen Schulen rekrutiert. Und seien nach ihrem Abschluss mehrheitlich erst mal mit Dantons Tod und dem Käthchen von Heilbronn konfrontiert, bevor sie beim Film reüssierten. Ausnahmen wie Jürgen Vogel oder Karoline Herfurth bestätigen die Regel.

Der Glamour-Faktor des Kinos, so Matthes, sei dabei heute in den Köpfen junger Menschen um die 20 sehr viel präsenter als früher. Was auch den von Casting-Shows geschürten Glauben an die schnelle Mega-Karriere meint.

Klar, der Hype gehört auch hierzulande längst zum Handwerk. Noch eine Gala, noch ein Preis. Und die Berlinale mit ihren roten Teppichen feuert die Inszenierung kräftig an. Ohne Auslegeware keine Stars.

Antoine Monot Jr. ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Film- und Fernsehschauspieler, des größten Berufsverbandes seiner Art in Deutschland. Der BBFS vergibt in diesem Jahr während der Berlinale erstmals den „Deutschen Schauspielerpreis“ in sieben Kategorien. Die Idee dahinter: „Schauspieler zeichnen Schauspieler aus“. Die wüssten schließlich – Monot übertreibt bewusst – dass es nicht nur feiernswert ist, „wenn einer für seine Rolle 20 Kilo abnimmt, sich eine Glatze rasiert und ein Tattoo stechen lässt“. Sondern auch die vermeintlich unspektakulärere Leistung preiswürdig sein kann. Darauf will sein Verband das Augenmerk lenken. Und natürlich auf den Nachwuchs. Die Stars von morgen.

Mal halblang, mahnt Anja Dihrberg. Und fragt: Was ist ein Star? Einer, der die Leute ins Kino zieht. Das schafften in Deutschland vielleicht Matthias Schweighöfer und Til Schweiger. Aber auch nur dann, wenn den Menschen die Geschichte gefiele. It’s the story, stupid! Mag sein. Andererseits muss man sich nur ansehen, mit welcher traumwandlerischen Souveränität Nina Hoss das neue Petzold-Werk trägt. Der Film hat ein Gesicht. Und es bleibt im Gedächtnis.

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