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Zäh, herzlich, ehrlich. Monika Schindler lebt in Köpenick. Der nächste Job führt sie nach Marokko.

© Sven Darmer

Deutscher Filmpreis für Monika Schindler: Der Atem der Bilder

Monika Schindler ist mit Leib und Seele Schnittmeisterin. Jetzt erhält sie den Deutschen Filmpreis für ihr Lebenswerk. Ein Hausbesuch.

Das soll eine Frau sein, die die Öffentlichkeit scheut? Mit geöffneten Armen steht Monika Schindler oben auf dem Treppenabsatz des Köpenicker Altbaus, in dem sie seit 40 Jahren lebt. Ihre Umarmung ist so warm wie ihr Lachen. Sie erzählt frei von der Leber weg. Und beim Abschied Stunden später lässt sie einen nicht ohne einen Muffin als Wegzehrung ziehen. Unglaublich, dass die quicklebendige Frau 79 und seit 1955 beim Film tätig ist.

Und doch, seit der Bohei mit dem Deutschen Filmpreis, mit der Lola läuft, die sie am kommenden Freitag als erste deutsche Filmeditorin überhaupt für ihr Lebenswerk erhält, hat sie vor lauter Aufregung schon drei Kilo abgenommen. Weil sie sich vor dem Bühnenauftritt grault. Davor, den Berufsstand repräsentieren zu müssen, der zu den unsichtbarsten Gewerken der Branche gehört. „Ich liebe meine Arbeit über alles, aber ich mag keinen Glorienschein.“ Als die Filmakademie wegen der Ehren-Lola anrief, bat sie als Erstes: Könnt ihr nicht wen anderes nehmen? Akademiepräsidentin Iris Berben persönlich musste sie überreden.

Ins gedämpfte Licht des Schneideraums dringt ja sonst auch kein Glamour. Und doch sind die Cutter diejenigen, die Bild, Ton, Musik, Effekte, Grafiken, Animationen zusammenfügen und den Film in Form bringen. Der Sog einer Bildsprache entsteht unter ihren in analogen Zeiten schneidenden und klebenden, heute mit der Computermaus In- und Out- Punkte markierenden Händen.

Dieser Bedeutung ihres künstlerischen Handwerks ist sich die gebürtige Berlinerin nach weit mehr als 100 von ihr geschnittenen Spiel- und Dokumentarfilmen durchaus bewusst. Schon zu Defa- Zeiten war sie eine renommierte Schnittmeisterin, die anders als viele Kolleginnen den Übergang ins gesamtdeutsche Filmgeschäft erst mit Arbeiten für Ula Stöckl und Helma Sanders-Brahms und dann für viele junge Regisseure geschafft hat. Ihre erste Lola hat sie 2000 bekommen, für den Schnitt von „Hans Warns – Mein 20. Jahrhundert“, Regie: Gordian Maugg. „Det Ding ist schwer“, sagt sie und drückt einem die in einem Nebenzimmer zusammen mit anderen Preisen im Regal geparkte goldene Statuette in die Hand.

Sie müsste längst beim nächsten Dreh in Marokko sein

Die jetzige Verleihung kommt ihr terminlich eigentlich gar nicht zupass. Schindler müsste längst in Marokko sein. Im Schlafzimmer steht der Koffer parat. Stephan Lacant, für den sie nach seinem Debüt mit dem Homo-Liebesdrama „Freier Fall“ 2013 allein 2016 zwei weitere Filme geschnitten hat, dreht dort „Flucht ins Ungewisse“. Dass eine Cutterin bei einem Auslandsdreh am Set arbeitet, ist nicht gerade Standard. Er aber will sie dabeihaben. Das spart Schnittzeit, sagt Schindler, die bekannt für ihr entscheidungsfreudiges und dadurch schnelles Arbeiten ist. Und da das Drehbuch des Flüchtlingsdramas komplex ist und ein Nachdreh nicht realisierbar, muss sich im parallel zu den Dreharbeiten laufenden Rohschnitt zeigen, ob die Sequenzen funktionieren und komplett sind.

Als Strapaze empfindet Monika Schindler das nicht, im Gegenteil. „Es ist super, vor Ort zu sein. Neuer Film, neues Glück. Und wenn es dann noch im Ausland ist, umso besser. Zu Hause sitzen liegt mir nicht.“ Die dreifache Großmutter reist auch privat gern. Gerade kommt sie aus Israel zurück. Koffer packen stresst sie offensichtlich weit weniger als Einkaufen. Das kann sie gar nicht leiden. Doch weil es zur Filmpreis-Gala nicht ohne Abendkleid geht, hat sie zum lästigen Aussuchen der bereitwillig hergezeigten Robe in glitzerndem Grau die Enkelin als moralische Unterstützung mitgenommen.

Die Ehren-Lola ist ihr sicher. Monika Schindler, fotografiert beim Empfang für die Nominierten des Deutschen Filmpreises in Berlin.
Die Ehren-Lola ist ihr sicher. Monika Schindler, fotografiert beim Empfang für die Nominierten des Deutschen Filmpreises in Berlin.

© Maurizio Gambarini/dpa

Und, ist die Dankesrede schon fertig? Sie schüttelt den Kopf. Doch Aelrun Goette, Stephan Lacant, Klaus Krämer und Carsten Fiebeler wird sie danken. Das sind die Vier, die sie bei jedem neuen Film zuerst anrufen. In der DDR waren es Roland Gräf, Herrmann Zschoche, Egon Günther, Günter Reisch. Von Aelrun Goette stammt auch die Rose, die im Esszimmer steht. Sie leuchtet viel zu rot, um echt zu sein. „Am liebsten arbeite ich mit den Klugen, von denen ich etwas lernen kann.“

Im Jahr 2000, da hat ihre Lola-Dankesrede so eingeschlagen, dass etliche Talkshows sie einluden – als „Powerfrau aus dem Osten“. Das war ihr zu blöd, sie ist in keine gegangen. Grund war ihr Gruß an das Arbeitsamt Berlin-Süd inklusive einer Episode, die ihr dort als arbeitssuchende Cutterin nach dem Ende der Defa-Anstellung widerfuhr. Eine Sachbearbeiterin beschied ihr kurz, bündig und wenig vermittlungsorientiert: „Über 50 und behindert? Sie finden nie einen Job!“

Da hat die Dame aber nicht mit einer erst als Filmfotografin und dann per Studium an der Babelsberger Hochschule für Filmkunst bestens ausgebildeten Schnittmeisterin gerechnet, die sich noch dazu als fleißig, beharrlich und vor allem besessen von der Liebe zum Film und zum Filmschnitt bezeichnet. Klar hat Schindler auch als freie Editorin wieder Arbeit gefunden. Und sich darüber hinaus den Digitalschnitt mit dem Avid-Programm selber angeeignet. Andreas Dresen, für den sie „Nachtgestalten“ montiert hat, ruft sie 1999 an und fragt „Beherrschst du das System?“ Sie lacht verlegen, nimmt den Job aber an und beißt sich durch.

Sie sei nun mal ein zähes Luder, sagt Schindler. Eine Eigenschaft, ohne die man es nicht durchs Leben schafft, wenn man 1945 auf der Flucht aus dem Sudetenland von einem Güterzug auf die Gleise fällt, wie es ihr als Siebenjähriger passiert. Seitdem hat sie nur noch drei Finger an jeder Hand, was für sie weder in alten Zelluloid-Zeiten noch in der neuen digitalen Welt ein Hindernis darstellt. Prompt wird „Die Polizistin“ mit dem deutschen Schnitt-Preis ausgezeichnet.

Der Schnitt muss stimmig und nicht sichtbar sein

Die Kunst der Monika Schindler zu sehen, ist gar nicht so leicht. Das zeigt sich beim Anschauen einiger jüngerer Werke. Darunter ist auch das beeindruckende Rechtsterrorismus-Drama „Toter Winkel“ von Stephan Lacant, das Anfang Mai in der ARD läuft. Auch der gemeinsame Kinofilm „Fremde Tochter“ kommt bald heraus. „Toter Winkel“ ist ein stiller, packender Film. Obwohl man sich vornimmt, nur auf die Schnitte zu achten, wird man zuverlässig von der erzählerischen Kraft abgelenkt. Die Editorin nickt zufrieden. „Ein Schnitt muss stimmig und nicht sichtbar sein.“

In „Toter Winkel“ geht sie, das fällt auf, häufig mit Einstellungen in die Szene, in der die Kamera den Schauspieler von hinten einfängt. „Man nähert sich behutsam, nimmt erst mal die Atmosphäre wahr und schwenkt erst im richtigen und wichtigen Moment auf sein Gesicht.“ Immer nur am Text, also per Schnitt und Gegenschnitt an den sprechenden Schauspielern zu kleben, ist ihre Sache nicht. Allzu klar ersichtliche Geschichten findet sie unkünstlerisch. Die Fernsehsender pochten viel zu oft darauf, dass der Schnitt flott sein soll, seufzt Schindler. Dabei fehle vielen Filmen, die zu knapp, also mit Blick auf ständige Abwechslung getaktet seien, oft der große erzählerische Atem. „Da gehört mehr Ruhe, mehr Vertrauen in die Kraft einzelner Bilder rein.“

Ein Zutrauen, das sie selber hat. Sie arbeitet mit Herz und Bauch. Ihre Regisseure preisen Schindlers Empathie, Musikalität, Hingabe und Direktheit. Sie sei brutal ehrlich, sagt der 44 Jahre alte Stephan Lacant: „Selbst unter Zeitdruck ringt sie um jede Szene.“ Obwohl sie Filmanalyse genauso wie Filmtheorie studiert hat, ist sie kein kühl analysierender Kopfmensch. „Ich bekomme keine Anweisungen und entwickele vor dem Rohschnitt kein Konzept“, beschreibt sie ihre Arbeitsweise. „Das Material spricht zu mir und gibt Ablauf und Rhythmus vor.“ Beim Betrachten der Muster spürt sie, wie lang eine Einstellung sein muss und wann sie mit Naheinstellungen, Halbtotalen oder Totalen arbeitet. „Wichtig ist, zu erkennen, welcher Schauspieler die Szene führen muss und wo seine besten Momente liegen, so hast du die Chance, das wirklich Gelungene einzufügen.“

Wenn es nach Monika Schindler geht, wird ihr das weiterhin gelingen. An Ruhestand denkt sie nicht. „So lange jemand mit mir arbeiten möchte, schneide ich.“

Im Fernsehen: die Lola-Verleihung: Fr 28.4., ZDF, 22.50 Uhr und das Drama „Toter Winkel“: ARD, Mi 3.5., 20.15 Uhr

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