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Deutscher Theaterpreis in Berlin verliehen: Faust auf Faust

Erstmals wurde der Deutsche Theaterpreis in Berlin verliehen. Der Abend im Schillertheater war dabei aufs Angenehmste enttäuschend - allein die für ihr Lebenswerk ausgezeichnete Inge Keller überzeugte durch Abwesenheit.

Kürzlich hat der Regierende Bürgermeister Berlins die große Schauspielerin Inge Keller getroffen. „Wie geht es Ihnen?“, erkundigte sich Klaus Wowereit. Gewöhnlich schlägt dem Mann wenig Euphorie entgegen, wenn er diese Frage stellt. „Jeht so“, „Könnte besser sein“, was der Berliner eben so raunzt. Aber Inge Keller rief dem Regierenden ein „Fabelhaft!“ entgegen. Diese Anekdote erzählt Wowereit nun auf der Bühne der Staatsoper im Schillertheater, wo festlich der Deutsche Theaterpreis „Der Faust“ verliehen wird. „Probieren Sie’s aus!“, ruft Wowereit in Richtung der Geladenen im Parkett. Einfach mal Fabelhaftigkeit bekunden.

Bereits acht Mal ist „Der Faust“ schon verliehen worden. In Städten wie Stuttgart, Erfurt, Mainz, in Essen sogar zwei Mal. An Berlin ist die Trophäen-Party bislang vorbeigewandert. Was irgendwie mit dem Föderalismus zu tun hat. „Der Faust“ mit seinen acht Kategorien ist, wie es sich für einen so namentlich urdeutschen Preis gehört, ein kompliziertes Gebilde. Ausrichter sind der Deutsche Bühnenverein, die Kulturstiftung der Länder, die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste und das jeweilige Bundesland. Jedenfalls herrscht im Schillertheater das selige Gefühl vor: Faust is coming home.

Bundespräsident Joachim Gauck ist erschienen, die Gästeliste reicht von Julia Bremermann bis zu Uwe Ochsenknecht. „Wir haben uns lange auf den ,Faust‘ gefreut“, versichert Klaus Wowereit. Ob er das auch schon dachte, als 2010 der Bundestagspräsident Norbert Lammert wütend aus der Gala in Essen stürmte und danach in einem offenen Brief an den Bühnenverein über die „unglaubliche Selbstabdankung des Theaters und seiner Ansprüche zugunsten eines beliebigen Fernseh-Unterhaltungsformats“ zürnte?

"Ich war angenehm enttäuscht"

In Berlin soll alles besser werden. Als Moderator hat man den Schauspieler Peter Jordan engagiert, dem der Ruf vorauseilt, ein humorbegabter Zeitgenosse zu sein. Was Jordan mit einer Erzählung über seinen an Parkinson erkrankten Vater untermauert, der nach einem Theaterbesuch sagen wollte: „Ich war angenehm überrascht.“ Stattdessen aber sagte: „Ich war angenehm enttäuscht.“ Des Weiteren hat er Fontane mitgebracht: „Sehen Sie, in der ganzen Welt geht der Mensch ins Theater, um seine Freude daran zu haben. Nur der Berliner geht ins Theater, um diese Freude nicht zu haben.“ Danach beschränkt er sich im Wesentlichen auf den Satz: „Wir kommen nun zur nächsten Kategorie.“ Während schwarzgewandete Eleven der Ernst-BuschSchule Goethe so deklamieren, dass man ihnen noch viele erfolgreiche Ausbildungsjahre wünscht.

Veteranen des „Faust“ berichten von ausgedehnten Laudationes mit stark sedierender Wirkung. Auf die ist in Berlin verzichtet worden. Stattdessen dürfen sich die Nominierten in Einspielfilmen selber vorstellen. Man sieht Künstler, die Berge von Reclamheften schleppen und denen Zeichentrickfiguren auf dem Kopf tanzen.

Berlin geht ziemlich leer aus

Nun die schlechte Nachricht: Berlin geht preismäßig ziemlich leer aus. Großer Gewinner ist Frankfurt am Main. Der „Faust“ geht an den Opernregisseur Claus Guth für seine dortige „Pelléas et Mélisande“-Inszenierung sowie an den Pelléas-Sänger Christian Gerhaher. Außerdem an Constanze Becker für ihre fulminante Frankfurter Medea-Verkörperung in der Regie von Michael Thalheimer. Der ist wiederum für seine „Geschichten aus dem Wiener Wald“ am Deutschen Theater nominiert, hat aber das Nachsehen gegenüber Luk Perceval. Dessen Fallada-Bearbeitung „Jeder stirbt für sich allein“ vom Thalia-Theater räumt auch in der Kategorie Bühne/Kostüm (Annette Kurz) ab. Einzig das Grips-Theater hält die Berliner Fahne hoch. Die junge Regisseurin Mina Salehpour wird für ihre Inszenierung „Über Jungs“ geehrt.

Bemerkenswert der sogenannte „Preis des Präsidenten“. Den verleiht der würdige Bühnenvereinsvorsteher Professor Klaus Zehelein an das Gesamtensemble des Staatstheaters Stuttgart. Das Haus ist als Sanierungsfall ja in den zum Standard gewordenen Wahnsinn bauplanerischer Gestaltungsblindheit geraten. Was diverse Umzüge zur Folge hatte. Nun allerdings werden die Stuttgarter Recken vom Schlosser meister bis zum Ex-Intendanten gefeiert, als seien sie verunglückte Bergarbeiter, die wie durch ein Wunder 93 Tage in einer schwindenden Luftblase überlebt haben. Auch etwas übertrieben.

Lichtblick Inge Keller

Der ersehnte Lichtblick heißt Inge Keller. Die erhält den „Faust“ für ihr Lebenswerk. Wie verdient das ist, beweist ein kurzer Film mit Rollenausschnitten, Belobigungen durch Robert Wilson und Gregor Gysi sowie Interview-Einsprengseln mit Keller höchstselbst. Zum Niederknien, wie sie verkündet: „Ich war kein Star. Hab viele große Rollen gespielt. Basta.“ Leider kann Keller den Preis nicht persönlich entgegen nehmen. Ihre Tochter Barbara Schnitzler richtet den Satz aus, mit dem auch Alice Munro der Nobelpreisverleihung entschuldigend fernbleibt: „Meine Gesundheit reicht leider nicht aus.“

Zum Schluss tanzt der Kinder- und Jugendchor der Staatsoper durch Konfettiregen und singt „There’s no business like showbusiness“, eine Parodie auf weiß der Kuckuck was. „Der Faust“? Fabelhaft. Wir waren aufs Angenehmste enttäuscht.

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