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Wanderer, kommst du zum Großen Feldberg. Frühmorgendliche Waldszene im Taunus.

© Frank Rumpenhorst/p-a/dpa

Über den deutschen Wald: Das Holz unserer Seele

Wo die vaterländische Einkehr zu Hause ist: Johannes Zechner schlägt Schneisen durch die Ideengeschichte des deutschen Waldes.

„O wenn die Wälder ausgehauen sind, können wir sicherlich so lange Bücher brennen, bis neuer Vorrat angewachsen ist“, schrieb Karl Kraus 1912, zwei Jahrzehnte bevor in Deutschland 1933 die Bücher tatsächlich brannten. Ein erschreckend treffendes Beispiel von Nachhaltigkeit, die ja bekanntlich im Wald erfunden wurde. Denselben Gedanken hatte 1779 auch schon Georg Christoph Lichtenberg festgehalten: „Oh, zu der Zeit, wenn die Wälder aufhören, können wir sicherlich solange Bücher brennen, bis wieder neue aufgewachsen sind.“

Bei ihm gibt es noch den unmittelbaren Bezug zur ersten deutschen Waldsterbensangst, der „Holznot“-Diskussion im 18. Jahrhundert, zu der Johann Heinrich Zedlers Universal-Lexikon 1747 immerhin 26 Möglichkeiten auflistete, wie man dem Wald schaden kann. Es war die Zeit, als die Forstwirtschaft ihren ersten Aufschwung nahm, das sorgende Bürgertum Holzsparöfen einführte und die Mär von den früher dichteren Wäldern ihren dichterischen Lauf nahm – ganz von Tacitus her geschrieben.

Heute könnten sich Lichtenberg und Kraus auf jene Schriften beschränken, die dem deutschen Wald gewidmet sind. Die knapp hundert Seiten eng gedruckter Bibliografie in Johannes Zechners gerade erschienenem Buch „Der deutsche Wald. Eine Ideengeschichte“ könnten dazu die Basis liefern. Dabei sind nicht einmal alle literarischen Werke erfasst, die seit dem 18. Jahrhundert den deutschen Wald bedichtet haben.

Waldverdeutschung und Deutschverwaldung

Zechners aus einer Dissertation an der Freien Universität hervorgegangenes Buch schlägt, um im Bild zu bleiben, eine Schneise durch dieses fast undurchdringlich scheinende Dickicht und legt dabei, ausgehend vom lateinischen Wort für den Wald, silva, den Weg frei. Der Autor spricht von einer kontinuierlichen „Verschiebung von der Silvapoesie zur Silvapolitik“. Leider muss man bei der Lektüre einen Stil in Kauf nehmen, der an die Materie des Waldes gemahnt. Da ist von „arborealer Ebene“ die Rede, von „silvanischen Aspekten“, der „Silvasphäre“ oder auch der „textlichen Sphäre“. An anderer Stelle wird den Humanisten des 15. Jahrhunderts vorgehalten, sie hätten es bei der Auslegung des Tacitus an „intensiver Quellenkritik“ mangeln lassen. Indes wird man mit einer Spurensuche durch die Ideen- und Ideologiegeschichte der Waldverdeutschung und Deutschverwaldung belohnt, die in nächster Zeit kaum zu überbieten sein wird.

Tacitus ist jedenfalls an allem schuld. Seine Charakterisierung Germaniens als „entweder durch Wälder grauenerregend oder durch seine Sümpfe grässlich“ gab seit der Wiederentdeckung seiner „Germania“ im 15./16. Jahrhundert die Richtung vor: die Deutschen als Erben der Germanen, wie diese ein Waldvolk mit der Eiche im Zentrum: „O Vaterland O Vaterland – du gleichst der dicksten, schattigen Eiche, im innersten Hain, der höchsten, ältesten, heiligsten Eiche, o Vaterland!“, dichtete Klopstock 1769 in seiner „Hermanns Schlacht“.

Die Waldvaterländerei, so Zechner, setzte sich über Tieck und Eichendorff fort. Bei Eichendorff gewiss, bei Tieck nur sehr bedingt, wird tatsächlich der Wald gegen die Franzosen mobilisiert, aber bei ihnen war der Wald vor allem ein Hallraum der Seele und speziell bei Tieck durchaus ambivalent: Man konnte gut und gerne darin verrückt werden. Selbst seine „Waldeinsamkeit“, die Schlagwortfurore machte, hat er später ironisierend zurückgenommen. Doch dazwischen ging es waldpolitisch forsch voran, die Brüder Grimm sind dafür ebenso Gewährsmänner wie Ernst Moritz Arndt.

Während die Grimms in den Märchen von Auflage zu Auflage den Wald systematisch nachdunkelten, größer und tiefer machten, floss bei Arndt Klimatheoretisches ein. Er brachte den teutschen Waldmenschen in Stellung gegen die Steppen des Ostens und die Wüsten. In seinen Gedichten ging es denn auch rund um die Eiche. Er versuchte, in Zechners Worten, „die Bereiche von arborealer Botanik und nationaler Identität miteinander zu verbinden“.

Krieg gegen den Wald

Oder nehmen wir W. Häring, besser bekannt als Willibald Alexis, der Mitte des 19. Jahrhunderts die Deutschen, insbesondere die Preußen mahnte, den Wald zu hegen und zu mehren, damit es nicht so komme wie bei den mediterranen Völkern, die sich vom Wald entfernten, indem sie ihn entfernten. Vorzüglich die Türken und die Russen sind es für ihn, die regelrecht „Krieg“ gegen den Wald führen. Während der enttäuschte 48er Alexis den Wald demokratisierte, wurde er für Wilhelm Heinrich Riehl, heute eher schamvoll verschwiegener Stammvater der Volkskunde, in Programmschriften wie Novellen Zeuge nicht nur gegen Frankreich und Verstädterung, sondern gegen eben jene 48er Revoluzzer, die angeblich einen Vernichtungskrieg gegen den Wald führten.

Solche Argumentationsfiguren, stets klimatheoretisch untermauert, werden nicht mehr verschwinden, sondern zunehmen. Franzosen, Amerikaner, Russen und – na klar – Juden sind steppen-, wüsten-, überhaupt entwurzelungsbedingte Waldfeinde – und damit Feinde der deutschen Nation. Im 19. Jahrhundert konkurrierten in den Programmschriften des Natur- und Heimatschutzes zwei Auslegungsmuster: das äquilibristische Modell der Biocönose, des ewigen Stirb und Werde und der organischen Waldgemeinschaft. Und, sehr viel populärer, dasjenige des Kampfs ums Dasein, der Arterhaltung und Rassereinheit.

Es ist schier unglaublich, was da zusammengeschwurbelt wurde von Waldvolk, Waldgemeinschaft, Waldglauben, Waldheil, Waldgesetz und Waldrasse. Afterdichter und Weltanschauungsbastler bemächtigten sich des Waldes, um die Gesellschaft nach seinem Modell zu biologisieren, zu heiligen und zuoberst zu nationalisieren. Das nahm im Antirepublikanismus während der Weimarer Republik durch popularisierende Büchlein wie Zeitungsbeilagen fast inflationäre Züge an – die organische Hierarchie des Waldes gegen die wüste Gleichmacherei. Die Übergänge von naziaffinen Waldverklärern und waldvolkschützenden Nazis waren da fließend. Hermann Göring, der Reichsjäger- wie Forstmeister und oberster Naturschützer, feierte die „waldverbundene Wirtschaft, Sitte und Religion“, forderte aber gleichzeitig die Forstwirtschaft zur Leistungssteigerung auf.

Wiederbewaldung des Ostens

„Der deutsche Wald“, rapportierte denn Generalforstmeister Friedrich Alpers 1939 unter Hinweis auf die erhöhte „Holzernte“ in „Verstärkung der Eigenerzeugung“, habe „seit dem Jahre 1933 seine Pflicht getan.“ Im Generalplan Ost wurde die „Wiederbewaldung des Ostens“ projektiert, schon, weil die dort zu bauenden Autobahnen durch Wald führen sollten, da sie anders keine deutschen Straßen wären. Den ideologischen Vogel aber schoss wohl Alfred Rosenberg ab, mit dem Film „Ewiger Wald“, in dem die deutsche Geschichte von den Germanen bis zum Naziaufmarsch im Lustgarten durch den Wald geprägt wird, vom Hausbalken bis zum Fahnenmast: „Volk steht wie Wald / in Ewigkeit.“

Nach 1945, als der deutsche Wald materiell und ideologisch ziemlich ruiniert war, gründete sich die Schutzgemeinschaft deutscher Wald, die ihn vor den alliierten „Schlägertrupps aus Fremdarbeitern“ bewahren wollte. Ernst Jünger propagierte den widerständigen „Waldgang“ nun auch in der Stadt, und Franz Josef Strauß, VW-König Heinrich Nordhoff und die DDR-Nomenklatura frönten der Jagd wie zuvor Wilhelm Zwo.

Der Wald als Deutscher machte noch weiterhin Schule. Dann übten die 68er – siehe Erich Fried – Ideologiekritik an ihm. Und dann kam das Waldsterben, das dann doch nicht kam. Carl Amerys Ruf nach dem „Aufstand der deutschen Seele für den deutschen Wald“ wurde in einer Phalanx von Alexandra, Daliah Lavi, Joseph Beuys, Günter Grass und Helmut Kohl erhört. Und heute? Ach, wie war es doch vordem mit dem Deutschwald so bequem! Der Deutsche Wald hat seine Schuldigkeit getan und ist von uns gegangen. Der Wald in Deutschland indes tut weiterhin nach Kräften das Seine für Mountainbiker und Wildvermüller, Baumhexen und Vollmondheiden, Gotchaspieler und Geocatcher, Birdwatcher und Wandersleute, Holzrücker, Beeren- und Pilzesammler, Waldkindergärtnerinnen und Wipfelpfadfinder.

Dazu gibt es neu-alte Mythen, Zeichen und Wunder: sagenhafte Rumänenbanden, die in den Klaupausen Igel dort braten, allüberall Wegzeichen – und über allem das Wunder der Fernstenliebe. Wie wir doch gut sind zu den Regenwäldern dieser Welt!

Johannes Zechner: Der deutsche Wald. Eine Ideengeschichte zwischen Poesie und Ideologie 1800 – 1945. Philipp von Zabern Verlag, Darmstadt 2016. 447 Seiten, 69 €.

Erhard Schütz

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