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Deutschlandpremiere: Georgia O'Keeffe: Die Reise nach Abiquiú

Knochen und Gebirge, Häuser und Himmel: München zeigt das Werk der großen amerikanischen Malerin Georgia O’Keeffe.

Neben Frida Kahlo ist Georgia O’Keeffe die Lichtgestalt einer feministischen Kunstgeschichte. Sie selbst hat dazu nur insofern beigetragen, als sie eben ihr Leben lebte, mit all ihrem Freiheitsdrang, ihrer Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit. Als der Ruhm sie einholte und schließlich die feministische Vereinnahmung, war ihr das eher lästig. Georgia O’Keeffe (1887-1986) war eine große Künstlerpersönlichkeit, und als solche wollte sie gesehen werden.

Das ist jetzt in der Münchner Hypo- Kunsthalle möglich, erstaunlicherweise zum ersten Mal in Deutschland. Bisherige Ausstellungen in Europa fanden in London, Kopenhagen, Zürich, Dublin statt, machten jedoch einen Bogen um deutsche Museen. So ist die Freude der Hypo-Kunsthallenchefin Christiane Lange verständlich, an der erstmaligen Europatournee von Werken O’Keeffes als einziger deutscher Station vertreten zu sein.

Dieser Erstlingsstolz äußert sich zum Glück nur im Katalogvorwort, nicht in der Ausstellung selbst. Die ist kühl, sachlich und präzise aufgebaut. Das ist ja bei O’Keeffe die Gefahr: sich vom eigenen Bild der feministischen Künstlerin in die Irre führen zu lassen und nach – im heutigen Jargon – genderspezifischen Merkmalen zu suchen. O’Keeffe bietet sie zuhauf: die großen Pflanzen und Blüten, all die organischen Formen. Ein Leichtes, da an sexuelle Metaphern zu denken. Das war übrigens bereits in den dreißiger Jahren so, als New York den ersten Psychoanalyseboom erlebte.

Das ist ebenso naheliegend wie weit hergeholt, aber dieser Unfug hat Generationen von Interpretinnen beflügelt wie benebelt. Georgia O’Keeffe indessen ging es um Kunst, das heißt: um eine Beziehung zu der sie umgebenden Welt im Medium der Malerei (und, in ganz wenigen Exemplaren, der Skulptur). Wie diese Beziehung aussah, hing bei ihr vom jeweiligen Ort ab, an dem sie sich befand. Für sie gilt, wie für nur wenige Künstler der New Yorker Avantgarde der zwanziger und dreißiger Jahre, das Wort, das der Dichter William Carlos Williams – ein großer Anreger nicht nur der Poesie, sondern auch der bildenden Künste – geprägt hat: „The local ist the universal.“

Williams formulierte bereits 1915 als dichterisches Programm: „Ich möchte meine Empfindungen in den Erscheinungen, den Oberflächen, Geräuschen, Gerüchen, dem Sich-Anfühlen des Ortes ausdrücken, an dem ich mich gerade befinde.“ Über Alfred Stieglitz, ihren Mentor und alsbald Lebensgefährten und zugleich Matador eines eigenen Künstlerkreises, übernahm O’Keeffe dieses Programm. Die Münchner Ausstellung vermittelt genau dieses Gefühl für den Ort, der der New Yorker Avantgarde wichtig war, wichtig gerade in Absetzung von den europäischen Vorbildern, wichtig auf der Suche nach einem eigenen Platz in Amerika, das von Kunst in der Ära nach dem Ersten Weltkrieg herzlich wenig Notiz nahm.

Kuratorin Lange kombiniert Gemälde O’Keeffes – ein Gutteil kommt aus dem ihrem Werk gewidmeten Museum in Santa Fe – mit zeitgleichen Fotografien von Stieglitz. Nicht, um eine Vorbildfunktion des Ehemannes und bedeutenden Fotografen zu behaupten. Die gab es selbstverständlich, auch wenn dies in der Vergangenheit gern heruntergespielt wurde. Sondern allein, um die Parallelität zweier Seelenverwandter zu zeigen, die sie bei allen schroffen Gegensätzen waren. Fotos und Gemälde ergänzen einander nicht nur, sie erhellen und steigern sich gegenseitig. Sehr schade, dass der schöne Katalog in dieser Hinsicht eher zurückhaltend ausgestattet ist.

Georgia O’Keeffe – übrigens studierte Kunsterzieherin – begann künstlerisch mit abstrakten Zeichnungen und Aquarellen. Ab 1918 mit dem 23 Jahre älteren Stieglitz liiert, wendet sie sich dem Dingrealismus seines Künstlerkreises zu. Ab Mitte der zwanziger Jahre spielt New York eine Hauptrolle: Ansichten der Stadt, von oben oder von unten in die Höhe, die Vertikalität des nunmehr von Hochhäusern dominierten Manhattan betonend. Stieglitz’ Fotografien dieser Jahre hingegen sind eher dokumentarisch, betonen das Faktische, den rechten Winkel, die Geometrie des Bauens.

Eine Reise nach New Mexiko wird zum Wendepunkt. „Ich habe mich für das Weggehen entschieden, weil es zumindest mir hier gut geht – ich fühle mich selbstbewusst und aufrecht – und ganz ruhig“, schreibt sie im Sommer 1929 an Stieglitz, als sie sich für einen längeren Aufenthalt in dem von Künstlern frequentierten Indianerdorf Taos entscheidet. Stieglitz verbrachte den Sommer stets im familieneigenen Landhaus am Lake George nördlich von New York, mitten im Grünen; O’Keeffe hingegen suchte die karge, doch überraschend farbenprächtige Karstlandschaft des Südwestens. Interessanterweise fand sie wiederum in Fotografen ihre engsten Freunde, in Paul Strand und dem jungen Ansel Adams, die beide in neusachlicher Weise arbeiteten.

Mit Arbeiten aus New Mexiko hatte O’Keeffe in New York alsbald großen Erfolg. Den besorgte Stieglitz, der zeitlebens eine Galerie unterhielt und seiner Frau mehr und mehr Ausstellungen organisierte, bis zu seinem Tod 1946. Die vergrößerten, monumentalisierten Objekte, die O’Keeffe im Südwesten malte, vor allem die ausgedörrten Tierknochen aus der Wüste, machten sie berühmt.

Seit 1949 – nachdem sie den umfangreichen künstlerischen Nachlass ihres Mannes auf mehrere Museen verteilt hatte – lebte O’Keeffe ganz in New Mexiko, nunmehr im abgelegenen Abiquiú in grandioser Einsamkeit. Ihre Bilder sind geprägt von der Fähigkeit, das Kleine groß und das Große klein zu machen, das Nahe fern und das Ferne nah. Die Unterschiede zwischen einem einzelnen Knochen und einem ganzen Gebirge, zwischen Haus und Himmel verschwinden. Sie verschwinden, weil jedes Bild auf ein bestimmtes Motiv fokussiert wird und alles Nebensächliche wegfällt.

So wird eine banale Tür im Hof ihres Lehmhauses zu einem aufregenden, vielfach abgewandelten Motiv, bis hin zur Abstraktion. Desgleichen die Landschaften, die zu Farbfeldern verknappt werden, bis die plane Fläche des Bildträgers mit dem Motiv eins wird. Das gilt noch stärker für die Arbeiten des hohen Alters, wie „Himmel über Wolke“ von 1977. Da ist sie längst eine nationale Ikone und wird als „Pionierin“ verehrt, als „Musterbeispiel für den amerikanischen Traum der Selbstverwirklichung“. Doch solches Lob galt mehr der Person als ihrer Kunst.

Als Künstlerin nämlich hat Georgia O’Keeffe etwas Bleibendes geschaffen: eine genuin amerikanische Ausdrucksweise. Eine Kunst, die sich um europäische Vorbilder nicht kümmert, aber ebenso wenig um die eigene Geschichtlichkeit. Eine Kunst, die aus sich selbst erzeugt ist oder zumindest so erscheint. Mit der Münchner Ausstellung nun wird ihr ein starker Auftritt zuteil.

München, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstraße 8. Bis 13. Mai, täglich 10-20 Uhr. Katalog 25 €.

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