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Kultur: Dichtung und Klarheit

Wahlverwandt: Die Galerie Brusberg widmet Gerhard Altenbourg und Gottfried Benn eine Jubiläums-Ausstellung

Einen „Zitronenfalter im Hauptbahnhof“ hat Eberhard Roters, Gründungsdirektor der Berlinischen Galerie, den 1989 tödlich verunglückten Zeichner und Grafiker Gerhard Altenbourg einmal genannt. Und damit scheinbar alles gesagt über einen Künstler, der sein teils erzwungenes, teils selbst gewähltes Außenseitertum konsequent zum Gesamtkunstwerk stilisiert hat. Der ein gewaltiges zeichnerisches und grafisches Œuvre hinterließ, das in keine kunsthistorische Schublade passen will, weder Ost- noch Westkunst ist. Der lebenskluge Roters sah in Leben und Werk von Gerhard Ströch, der sich nach Altenburg, seiner thüringischen Heimatstadt, Gerhard Altenbourg nannte, das Kostbare, Schillernde und dabei stets existenziell Gefährdete. Die Stasi, die Altenbourg jahrzehntelang observiert hat, brandmarkte ihn unfreiwillig lyrisch als „langfristig gezüchtete Sumpfdotterblume“.

Im Westen ist Altenbourgs Kunst seit Jahrzehnten ein Begriff. Bereits in den fünfziger Jahren stellte Rudolf Springer den Thüringer in Charlottenburg aus. Dort entdeckte ihn Dieter Brusberg, der wenige Jahre später, damals noch in seiner Galerie in Hannover, seine erste Altenbourg-Ausstellung zeigen konnte. Brusberg wurde dem menschenscheuen Künstler, der in der DDR vom offiziellen Kunstbetrieb ausgeschlossen blieb und dennoch nicht ausreisen wollte, zum Vertrauten und wichtigsten Händler. Er war es auch, der vor drei Jahren mit Armin Zweite den Anstoß für die große Altenbourg-Retrospektive in Düsseldorf, Dresden und München gegeben hat.

Am 22. November 2006 wäre Altenbourg 80 geworden. Dazu hat Brusberg mit einer glänzend bestückten Kabinettausstellung dem altvertrauten Altenbourg-Bild eine weitere Facette hinzufügt: Altenburgs Wahlverwandtschaft mit Gottfried Benn, dem Dichter, dessen Geburtstag sich im vergangenen Mai zum 120. Mal gejährt hat.

Benn, der ebenso bildmächtige wie scharfzüngige Großstadtliterat, und Altenbourg, der zeichnende Poet aus der mitteldeutschen Provinz? Beide entstammten protestantischen Predigerfamilien, beide lebten später – auf ihre Art – asketisch-zurückgezogen und waren von Frauen abhängig, die ihnen den Alltag organisierten. Florian Illies hat dem ungleichen Paar, das sich weder jemals persönlich begegnet ist noch miteinander korrespondiert hat, bereits im Katalog der Retrospektive von 2003 / 2004 einen wunderbaren Aufsatz gewidmet. Nun prüft Brusberg Illies’ Thesen in seiner Ausstellung nach. Zwischen Altenbourgs kostbar leuchtenden Blättern hängen Benns Gedichte, nobel auf weiße Banner gedruckt. In Vitrinen liegen Erstausgaben der frühen Lyrik und die Bände der Benn-Edition aus dem Wiesbadener Limes Verlag, Leihgaben aus Altenbourgs Bibliothek, alle sichtlich benutzt. Wenn Altenbourg Benn’sche Formulierungen wie „Nihilismus ist ein Glücksgefühl“ oder „Das Gehirn ist ein Irrweg“ dick unterstreicht, wird eine Fremdheit im Leben deutlich, die beide geteilt, doch künstlerisch verschieden beantwortet haben.

Altenbourg galt lange allein als Großmeister des Sublimen, poetisch Versponnenen, kurz: als später Nachfahre der Romantik. Dass dieser Ausnahmekünstler kein zeichnender Märchenonkel aus dem Thüringer Wald gewesen ist, hat seine Retrospektive eindrucksvoll vor Augen geführt. Ohne das Kriegserlebnis, das den 1926 Geborenen als Siebzehnjährigen ereilt, ist Altenbourgs Werk undenkbar – hierin durchaus mit Joseph Beuys und Bernhard Heisig vergleichbar. Mit zeichnerischen „Grabungen in den Wildnissen der Psyche“, so hat er es selbst genannt, leistet Altenbourg auf seine Weise Trauer- und Erkenntnisarbeit. Erlittene Gewalt bricht sich produktiv Bahn, seit den späten vierziger Jahren besonders deutlich in den bis zu drei Meter hohen „Ecce homo“-Zeichnungen, in denen Altenbourg vom geschundenen menschlichen Körper nur noch ein Gerüst aus freigelegtem Fleisch und skelettierten Knochen übrig lässt.

Existenziell, so muss man Altenbourgs – unabhängig vom Blattformat – wahrhaft monumentale frühe Zeichenkunst nennen. Der nach zwei Jahren Kunststudium 1950 in Weimar Exmatrikulierte ringt um geistige Unabhängigkeit, beschäftigt sich mit Surrealisten und Dadaisten (was in der stalinistischen Kunstlandschaft der frühen DDR per se als Angriff auf die Staatsgewalt bewertet werden musste) – und stößt, sicher nicht zufällig, auf die frühe, expressionistische Lyrik Gottfried Benns. Im Tagebuch vom Juni 1954 notiert der Vielleser lapidar: „Das entscheidende Erlebnis Gottfried Benns. Vor ihm schrumpft sehr vieles zur Bagatelle zusammen.“ Noch in der autobiografischen Skizze „Narbenrisse beim Durchstreifen jener Hügellandschaft“ von 1969 schwärmt Altenbourg von „Benns Nervenkalkül“.

Es ist der drastisch-expressive Lyriker und der Prosaschriftsteller gewesen, der den Zeichner am stärksten fasziniert hat – auch wenn Altenbourgs glühend klare Seelenlandschaften oft wie direkte bildliche Umsetzungen von Benns später Naturlyrik wirken. Fährten hin zu Benn hat Altenbourg mit seinen meist lyrischen Bildtiteln leider nur sehr selten gelegt.

Altenbourg mag an Benn die Schärfe des Ausdrucks bewundert haben, ein formal vergleichbar radikaler Zeichner war er nicht. Oft werden raue, unschöne Dinge in feinsten Strichlagen und zartesten Tönungen ausgedrückt. Seine doppelbödigen Arbeiten seit Mitte der sechziger Jahre, meist komplizierte Mischtechniken auf Büttenpapier, die Titel wie „Nirgends ein Ausbruch möglich / Im Labyrinth / Im Rad“ oder „in sich, außer sich: schwebende Rast“ tragen, kosten in der Ausstellung zwischen 10 000 und 50 000 Euro, kleine Handzeichnungen und Druckgrafiken ab 650 Euro.

Im Nachlass fand sich ein Zettel, eingelegt in einen Prosaband Benns, auf dem Altenbourg notiert hat: „Er hat (mit) Selbsttäuschungen, Scheinlösungen, vorletzten Antworten radikal aufgeräumt.“

Galerie Brusberg Berlin, Kurfürstendamm 213, bis 20. Januar, Dienstag bis Freitag 10–18.30 Uhr, Sonnabend 10–14 Uhr,

Katalog Edition Brusberg: 5 Euro.

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