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Halil Altindere gibt in seinem Video „Wonderland“ gibt den wütenden Roma-Rappern von Istanbul ein Forum.

© S. Dilber

Kunst und Politik bei der 13. Istanbul-Biennale: Erdkrumen zu Goldbarren

Die Kuratorin der 13. Istanbul-Biennale wollte sich offensiv den Veränderungen in Istanbul nähern. Der Zusammenprall von Kunst und Politik fiel heftiger aus, als gedacht.

Wer dieser Tage den Gezi-Park besucht oder den benachbarten Taksim-Platz überquert, merkt nichts von den Protesten der vergangenen Monate, den dramatischen Zuständen im Sommer. Bauarbeiter haben Platten zum Absperren gestapelt, mit einem gespannten Zwirn versuchen sie ganz klassisch die Waagerechte zu finden. Die kreuzenden Fußgänger müssen einen großen Schritt machen, um nicht zu stolpern. Von Widerstand keine Spur. Nur wenn von irgendwoher Sirenen heulen und sich Polizeiautos nähern, meint der Passant eine gewisse Unruhe zu spüren. Doch dann fahren die Einsatzwagen auch schon wieder an diesem größten innerstädtischen Verkehrsknotenpunkt Istanbuls vorüber.

Der letzte Polizei-Aufmarsch unter Einsatz von Tränengas ist keine vierzehn Tage her. Nach Wochen der Ruhe war es erstmals wieder zu Konfrontationen am Gezi-Park gekommen. Am Abend davor hatte die Runde gemacht, dass ein junger Student an den Folgen seiner Verletzungen während der vorangegangenen Demonstrationen gestorben war, der nunmehr siebte Tote der Proteste am Gezi-Park. Dabei geriet auch der Aufbau der 13. Istanbul-Biennale aus dem Tritt. Lähmung befiel das Team um Kuratorin Fulya Erdemci. Eine Pause wurde eingelegt. Wer wollte auch mit Kunst weitermachen, wenn das Leben ins Stocken gerät?

Der 13. Istanbul-Biennale sind permanent solche Kollisionen mit der Wirklichkeit widerfahren. Sie gehörten zu ihrem Konzept, das seit Anfang 2012 stand. Nur dass der Zusammenprall von Kunst und Politik so heftig ausfallen würde, damit hatte niemand gerechnet. Lange vor den Protesten gegen die Zerstörung der einzigen Grünfläche in Istanbuls Zentrum zugunsten eines weiteren Einkaufszentrums hatte Erdemci die Transformation des öffentlichen Raums durch Investoren zum Thema gemacht. Offensiv wollte sie mit ihrer Biennale auf die Straße gehen, auf den Taksim-Platz, in den Gezi-Park, auf die berühmte Einkaufsmeile Istiklal.

Doch eine solche Kampagne kam nach den alles überrollenden Ereignissen vom Sommer für die Kuratorin nicht mehr infrage. Von jener Staatsmacht, die kurz zuvor mit brutaler Gewalt die Protestierenden vertrieben und die Zelte friedlicher Demonstranten mitten in der Nacht angezündet hatte, wollte sich Erdemci keine Genehmigung einholen müssen. Ihr ist das als Feigheit ausgelegt worden. Doch Erdemci blieb bei ihrer umstrittenen Entscheidung und verlegte drei Monate vor Eröffnung ihre Outdoor-Ausstellung in ein Lagerhaus am Bosporus, eine ehemalige Schule, einen Einkaufsblock. Ohne die Nähe zu den Tatorten der Politik aber verliert die Schau ihre Reibung. Die Kunst ist zurückgekehrt in ihren Schutzraum und hat damit zwar das Visionäre wiedergewonnen. Man könnte aber auch negativ sagen: das Unverbindliche. Der nun erstmals freie Eintritt soll versuchen, die Straße ins Haus zu holen. Gelingen kann das kaum.

„Mom, am I Barbarian?“ hat Erdemci die Ausstellung überschrieben, in Anlehnung an ein Zitat der türkischen Schriftstellerin Lale Müldür, die damit auf die im antiken Griechenland als „Barbaren“ bezeichneten Volksgruppen anspielt, deren Sprache nicht verstanden wurde. Ja, antwortet diese Biennale mit jedem Beitrag. Ja, die Kunst ist ein Barbar. Sie ist das Andere, der Prüfstein für die Polis, die Machthaber. Und sie ist es mit selbstbewusstem Stolz. Kunst, insbesondere die politische, öffnet das Fenster zu einer Gegenwelt. In der Lesart der 13. Istanbul-Biennale bedeutet dies eine Alternative zur Profitgier der Multis rund um den Globus, die in Brasilien, Mexiko, Peru, Argentinien, Thailand und auch in der Hamburger Hafenstraße historische Friedhöfe, ganze Parks, gewachsene Wohnstrukturen zugunsten einer gleichförmigen Investorenarchitektur zerstören. Dieser Aufschrei mag manchmal reichlich naiv rüberkommen wie bei Claire Pentecosts in Form von wie Goldbarren zusammengepressten Erdkrumen, die an jene Weissagung der Cree-Indianer erinnern, dass wir Gold nicht essen können. Gewiss, Erde auch nicht, aber die US-Künstlerin versucht eine neue Währung, mehr noch ein neues Wertesystem ins Spiel zu bringen. Umdenken erwünscht.

Erdemci hat Künstler aus allen Kontinenten eingeladen, mit starkem Akzent in Südamerika, um das Unrecht der Welt anzuprangern. L’art pour l’art sucht man hier vergebens. Die Beiträge sind mal witzig, mal clever, mal knochentrocken recherchiert, mal poetisch, in der Summe dann doch ermüdend. Am stärksten aber wirken jene Werke, deren Relevanz sich dem Besucher schon auf dem Weg durch die Stadt offenbart. Halil Altindere ist zu jungen Rappern aus Sulukule gegangen, deren unweit gelegenes Viertel seit sechs Jahrhunderten das traditionelle Quartier der Roma bildet und in den vergangenen Jahren systematisch abgerissen wurde. Gemeinsam mit ihnen drehte der armenische Künstler Anfang des Jahres das Video „Wonderland“, in dem die Rapper von ihrer Wut und Ohnmacht erzählen, durch die Stadt flüchten, trotz Schusswunden weitertanzen und am Ende einen Polizisten attackieren und schließlich anzünden. Als Finale geht das Firmenschild des öffentlichen Bauunternehmens „TOKI“ in Flammen auf. Wer heute Istanbul besucht, sieht die Fortsetzung von Sulukule an allen Ecken. Riesige Metallwände mit Bildern einer schönen neuen Wohnwelt kaschieren notdürftig die dahinter geräumten Häuser, die nur noch auf ihren Abriss warten.

Der von Premierminister Erdogan forcierte Umbau verwandelt die Stadt in ein gesäubertes Terrain für wohlsituierte Konsumenten, finanziert durch „grünes“ Geld, wie es hier heißt, durch arabische Kapitalanleger. Die in Berlin lebende Künstlerin Ayse Erkmen hat dafür ein drastisches Bild gefunden. Sie platziert vor dem Lagergebäude im Hafen, wo die Biennale Unterschlupf gefundeh hat, einen Riesenkran mit einer grünen Abrissbirne, die gegen die Betonfassade donnert. Tatsächlich wird der dem Museum für Moderne Kunst benachbarte Bau mit Ende der Ausstellung abgerissen – vermutlich zugunsten einer weiteren Shoppingmall.

Die Biennale macht in ihrem kritischen Geist auch vor sich selbst nicht Halt. Hito Steyerl weist in ihrem gefilmten Vortrag nach, dass der Hauptsponsor, die Koc-Stiftung, sein Geld unter anderem in der Rüstungsindustrie verdient. Die Scheidung in Gut und Böse gerät ins Wanken. Im letzten Moment gelingt es der Ausstellung, ein sich verfestigendes, wohlfeiles Weltbild wieder zu sprengen. Damit hat zumindest die Kunst gewonnen. Was aus dem Gezi-Park wird, sollen nun die Gerichte entscheiden. Seit dieser Woche, mit Semesterbeginn, sind die Studenten wieder in der Stadt. Die Spannung steigt. Auch die Biennale liefert Munition.

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