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Kultur: Die Achillesferse

Es gibt keinen Konflikt zwischen Türken und Kurden in Deutschland. Den gibt es nicht einmal in der Türkei.

Es gibt keinen Konflikt zwischen Türken und Kurden in Deutschland. Den gibt es nicht einmal in der Türkei. Seit fast tausend Jahren leben Türken und Kurden in verschiedenen Staaten zusammen. Zwölf Millionen Menschen kurdischer Herkunft leben heute in der Türkei. Gäbe es einen kurdischen Aufstand, der auch nur annähernd eine Mehrheit unter der kurdischen Bevölkerung hätte, wäre dieser nicht zu kontrollieren. In der Türkei würde genau das geschehen, was in Jugoslawien passiert ist. Der türkische Staat unterdrückt die kurdische Identität mit Hilfe der Kurden. Viele einflußreiche kurdische Clans kämpfen an der Seite der türkischen Armee gegen die PKK. Wer seine kurdische Identität ablegt und sich als Bürger der Türkei assimiliert, kann ohne weiteres Staatspräsident oder Armeekommandant werden. Für die PKK sind solche Menschen Verräter. So ist der sogenannte türkisch-kurdische Konflikt eigentlich ein innerkurdischer Konflikt, inszeniert unter der Regie des türkischen Staates und der PKK. Ein perfides Spiel, das zu nichts anderem als zu dreißigtausend Toten geführt hat.

Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung Deutschlands, die aus der Türkei stammt, lebt hier friedlich. Doch dieser Friede ist zur Zeit bedroht. Seit Jahren ist den deutschen Verfassungsschutzorganen bekannt, daß es unter den Einwanderern kleine, gewaltbereite Gruppen gibt, die durchaus in der Lage sind, das sensible Gleichgewicht friedlichen Zusammenlebens in Gefahr zu bringen. Aus diesem Grund hat man vor fünf Jahren die kurdische PKK in Deutschland verboten. Wer die Aktionen der PKK in den letzten Tagen beobachtet hat, mußte sich schon die Frage stellen, was für ein Verbot das eigentlich war. Kaum war der PKK-Vorsitzende Öcalan von den türkischen Sicherheitskräften festgesetzt, begannen schon die Protestaktionen der PKK in Deutschland. Diese Aktionen hätten hierzulande sogar auf Sympathie stoßen können, wären sie friedlich geblieben. Daß sie nicht friedlich geblieben sind, beweist nur, daß die PKK mehr eine Art politische Sekte als eine politische Partei ist. Von demokratischen Strukturen innerhalb einer solchen Organisation kann sowieso nicht die Rede sein. Das Schicksal des kurdischen Volkes ist tragisch. In keinem Land lebt dieses uralte Volk in Frieden. Aber auch das Schicksal der PKK-Opfer und ihrer Hinterbliebenen ist tragisch. Solange die Kurden nicht begreifen, daß Gewalt ihrer Sache nicht dient, wird es auch keine Lösung des kurdischen Problems geben.

Ein Rechtsstaat aber muß gegen Gewalttäter handeln. Ohne Wenn und Aber. Es darf gegenüber Gewalttätern keine Toleranz geben, egal welcher Hautfarbe oder Nationalität sie sind. Daß man in Deutschland im Jahr 1999 einen solchen selbstverständlichen Satz als Forderung formulieren muß, deutet auf einen Mißstand hin. Die deutsche Politik wird von geschickten Rednern und Taktierern bestimmt, deren Schwäche eindeutig das Handeln ist. Wer die Territorien fremder Botschaften dem gewaltbereiten Mob öffnet, darf sich nicht darüber wundern, wenn der Rechtsstaat in Deutschland nicht mehr ernst genommen wird. Wer Verbote erläßt, ohne in der Lage zu sein, solche Verbote auch durchzusetzen und auf Dauer zu kontrollieren, verliert jegliche Glaubwürdigkeit. Die deutsche Politik täte gut daran, sich um Recht und Sicherheit im eigenen Land zu kümmern, statt anderen Staaten Ratschläge zu erteilen. Solche Ratschläge, wie sie in den letzten Tagen vor allem in Richtung Türkei erteilt werden, sind freilich eine billige Methode, um das eigene Gewissen reinzuwaschen.

Von Deutschland aus lassen sich die Konflikte des Nahen Ostens nicht lösen. Von Europa aus leider auch nicht. Europäische Politik versagt schon auf dem Balkan. Vor zwei Jahren haben die Europäer die letzte Chance vergeben, einen konstruktiven Beitrag für die Demokratisierung der Türkei zu leisten. Nach jahrelanger Hinhaltetaktik wurde das Land von der Liste der Beitrittskandidaten gestrichen. Nach dem Schmierenstück um Öcalan, an dem Deutschland, Italien und Griechenland aktiv mitgewirkt haben, ist Europa in der Türkei derzeit nur noch eine Lachnummer.

Die Welt ist komplizierter geworden. Länder lassen sich nicht mehr so einfach regieren wie Fußballclubs. Konflikte internationalisieren sich rasch. Der Nahe Osten ist, ob man es wahrhaben will oder nicht, die Achillesferse Europas. Die Einbindung und die Demokratisierung der Türkei müßte auf der europäischen Agenda ganz oben stehen. Doch sie steht nicht einmal ganz unten. Sie ist von der Agenda ganz gestrichen worden.

Deutschland wird zur Zeit nicht gut regiert. Während der Landesfriede in Gefahr ist, weilt Kanzler Schröder in Moskau. Wichtige Reformvorhaben wie die Paßreform geraten in Gefahr. Will man den modernen Rechtsstaat in Deutschland erhalten und stärken, so muß jetzt allen gewaltbereiten Gruppen in Deutschland das Handwerk gelegt werden. Das gilt vor allem für die ausländischen Gruppierungen. Wenn man nicht in der Lage ist, die Spreu vom Weizen zu trennen, wird man nur jenen Demagogen Argumente liefern, die in der Paßreform eine Gefahr für Deutschland sehen. Die PKK hat mit ihren fanatischen Aktionen nicht nur der kurdischen Sache einen Bärendienst erwiesen, sondern auch alle friedlich in Deutschland lebenden Ausländer in Mißkredit gebracht. Die Deutschen, die schon durch den Anblick von Dönerbuden Angst bekommen und glauben, ihr Land an Fremde verloren zu haben, müssen durch die Ereignisse der letzten Tage nun gänzlich verunsichert worden sein. Viel Porzellan ist zerschlagen worden. Damit nicht auch noch das Tafelsilber wegkommt, muß sich die Bundesrepublik als wehrhafter Rechtsstaat bewähren.

Der Autor, geboren 1961 in Ankara, lebt seit 1970 in Deutschland, ist seit 1992 deutscher Staatsbürger, arbeitet als Schriftsteller in Berlin. Zuletzt veröffentlichte er den Roman "Gefährliche Verwandtschaft", Babel Verlag, München 1998.

ZAFER SENOCAK

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