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Neusachliche Erotik. 1991 schuf die schwedische Fotografin Tuija Lindström ihre Serie „Girls at Bull’s Pond“. Ihre männlichen Kollegen lehnten damals die Bilder, die in der Berliner Galerie for Swedish Photography gezeigt werden, vehement ab. Foto: Tuija Lindström

© Tuija Lindström / Swedish Photo

Kultur: Die andere Seite

Neuer Feminismus: ein Magazin und mehrere Ausstellungen machen Mut.

Dass ihre Aufnahmen einst in Schweden bösen Streit auslösten, lässt sich heute, nur eine Generation später, kaum fassen. Tuija Lindström zeigte damals schlafende Künstler im Gras, einen runden Po in engem Rock, nackte Frauen, die mit geschlossenen Augen auf einem Waldteich treiben, und die Unterseiten riesiger Bügeleisen. Neun ihrer Arbeiten aus den Achtzigern sind nun in der Berliner Galerie Swedish Photography (Karl- Marx-Allee 62, bis 17.3., Mi–Sa 12–18 Uhr) zu sehen, eine Elegie in Schwarz-Weiß, bei der die Motive mal wie aus Marmor aussehen, mal wie Traumfiguren. Elegante, höchst subjektive Fotografie.

Von Künstlerinnen geschaffene Frauenakte galten einmal als feministische Strategie, sich einer eigenen Identität zu versichern und die Macht des männlichen Blicks zu brechen. Lindströms Aufnahmen waren zudem das Gegenteil von Reportagefotografie, die in Schweden bis dato dominierte. 1992 wurde die gebürtige Finnin auch noch die erste Professorin an der Fotoschule der Gothenburg-Universität. Das war wohl zu viel. Der Pressefotograf Jacob Forsell schrieb 1993 in der Zeitung Espressen: „Lass uns in Ruhe und behalte deine schwimmenden Körper für dich, du Bügeleisen-Professorin“, und weiter: „Sonst rammen wir dir unsere Teleobjektive in den Rachen“.

Inzwischen fotografieren, malen, filmen westliche Künstlerinnen so viele Frauenakte, wie sie wollen, Cecily Brown aus Großbritannien zum Beispiel oder Dasha Shishkin. Der New Yorker Shooting-Star zeigt in der Schöneberger Galerie ph-projects (Potsdamer Str. 81b, bis 25.2., Do–Sa 11–18 Uhr) kleine Blätter, die sich delikat nennen lassen. Auf Zellstoffservietten, schmuddeligem Papier und Karton hat Shishkin in zarten, manchmal colorierten Umrisszeichnungen Badende, Liegende, Kranke, Kopulierende skizziert, so leicht, als dächten sogar Elfen an Sex. Mädchenkunst vom Feinsten. Wer Böses dabei denkt, der assoziiert allenfalls Natasha Walters Buch „Living Dolls“, eine scharfe Kritik an der „Wiederkehr des Sexismus“ in Gestalt von rosa Puppenspielzeug und Casting-Shows. In Shishkins Arbeiten jedenfalls spiegelt sich die feministische Attraktion derart dezent, dass Experten die Künstlerin, die 2006 ihr Studium abschloss, schon mit Egon Schiele verglichen oder auch mit Bruegel und Goya, wie es MoMA-Kurator Klaus Biesenbach tat. Nach Lindströms Anfängen muss der Feminismus zerbröselt sein, irgendwo zwischen Gendermainstreaming, Alphafrauen und Heidi Klum.

Doch Stopp. „Feminismus!“, so heißt das aktuelle Heft der Berliner Zeitschrift Texte zur Kunst (Heft 84, 15 Euro). Ohne Relativierung und Präfix taucht das F-Wort hier wieder auf. „feminism is ongoing”, schreibt die Künstlerin Zoe Leonard, „feminism is your right now reading this/ feminism is what you do right after your read this“. Und Eva von Redecker von der philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität bespricht Walters „Living Dolls“ in einem Rutsch mit Nina Powers Buch „Die eindimensionale Frau“, einer Kritik an Alphaweibchen, die Emanzipation mit tollem Job und teuren Handtaschen verwechseln. Der Zukunft des Feminismus sieht die heitere Rezension dennoch optimistisch entgegen.

Dahinter steckt mehr als Wunschdenken. Je deutlicher die Aussicht auf stetes Wachstum und der Glaube an den Ertrag ungezügelten Wettbewerbs verblassen, desto ferner rückt jene Hälfte des Himmels, die den Alphafrauen so nah schien. Für Frust sorgt in Deutschland das Gezerre um Quote und Kinderbetreuung. Skandinavierinnen empören sich über Frauenhandel und Gewalt. In Großbritannien erhielt Cordelia Fein viel Lob für ihre Abrechnung mit den Neurowissenschaften, die Geschlecht biologisch determinieren würden. Ein neuer Ernst bricht sich Bahn. „Der Feminismus exponiert die Frage der Geschlechterungleichheit als soziale Frage“, proklamiert das Vorwort von Texte zur Kunst. „Angesichts einer (...) verstellenden Ideologie, die den Einzelnen Freiheit in genau dem Maße großzügig verspricht, wie die Frage nach den sozialen Bedingungen von Freiheit verdrängt wird, ist an den politischen Einsatz des Feminismus zu erinnern.“

Der „politische Einsatz“ dürfte Künstlerinnen interessieren. Der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler hat Ende 2011 eine Studie über das Einkommen seiner Mitglieder nach dem Finanzcrash veröffentlicht. Dabei kam heraus: Künstler nahmen bis 2010 neun Prozent weniger ein, Künstlerinnen 18 Prozent – obwohl sie bereits zuvor nur halb so viel verdienten wie ihre Kollegen. In Texte zur Kunst schildert die Journalistin Julia Voss zudem, dass Ausstellungen von Frauen nur schwer private Unterstützer finden. Als die Kunstsammlung NRW kürzlich mit der Schau „Die andere Seite des Mondes“ acht Künstlerinnen der Klassischen Moderne präsentierte, habe das Düsseldorfer Museum keinen Sponsor gefunden. Noch also zählt offensichtlich jeder kleine Schritt, der verhindert, dass die Hälfte des Himmel in noch weitere Ferne rückt. Im selben Haus, in dem Dasha Shishkin ausstellt, würdigt Heide Nord wissenschaftliche und kulturelle Leistungen der Moderne. Ihre surreale Großinstallation in der Galerie Florent Tosin (Potsdamer Str. 81c, bis 10.4., Di–Sa 12–18 Uhr) erinnert auch an die fast vergessene Moskauer Futuristin Nadeschda Udalzowa. Shishkin nimmt übrigens an einer Gruppenausstellung teil. Ihre Zeichnungen hängen bei ph-project jedoch nicht neben Schiele, sondern neben Paula Modersohn-Becker. Und schon steht die junge Künstlerin in einer anderen Tradition.

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