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Kultur: Die Angst vor den Instrumenten Ein Akademiedirektor der DDR erinnert sich

Als Ulrich Dietzel 1993 aus dem Dienst der Akademie der Künste (Ost) schied, war er wohl ihr dienstältester leitender Mitarbeiter: Als Archivar eingestellt und zum Leiter des Literaturarchivs aufgerückt, leistete er fünf Präsidenten und drei Direktoren loyale Dienste, bevor er 1990 selbst als Direktor an der Seite des Präsidenten Heiner Müller ins Licht trat. Der Titel seiner 1997 mit Inge Jens und Gudrun Geißler zusammengetragenen Dokumentation zur Geschichte der Ost-Akademie charakterisiert auch ihn selbst: „Zwischen Diskussion und Disziplin.

Als Ulrich Dietzel 1993 aus dem Dienst der Akademie der Künste (Ost) schied, war er wohl ihr dienstältester leitender Mitarbeiter: Als Archivar eingestellt und zum Leiter des Literaturarchivs aufgerückt, leistete er fünf Präsidenten und drei Direktoren loyale Dienste, bevor er 1990 selbst als Direktor an der Seite des Präsidenten Heiner Müller ins Licht trat. Der Titel seiner 1997 mit Inge Jens und Gudrun Geißler zusammengetragenen Dokumentation zur Geschichte der Ost-Akademie charakterisiert auch ihn selbst: „Zwischen Diskussion und Disziplin.“

So haben ihn seine Partner in Ost und West in fast drei Jahrzehnten kennengelernt: offen für Diskussionen, aber eingebunden in die Disziplin der Kulturpolitik von Staat und Partei, der er seit 1949 angehörte. Sein Mentor Alfred Kantorowicz, der ihn zur Akademie geholt hatte, hielt ihm später vom Westen aus vor, er habe bei der Publikation des Briefwechsels der Brüder Mann Texte unterdrückt und „stets nach Vorschrift gehandelt“. Mit Marion Dönhoff hielt er freundschaftliche Verbindung, bis es ihm untersagt wurde. Im Kreis um Robert Havemann hat Dietzel mitdiskutiert, bis ihm das zu riskant schien; Peter Bender gestand er später, das sei aus Angst geschehen, „wir riskierten ja Lohn und Brot, wenn nicht Schlimmeres.“

Was das sein mochte, deutet er auch in seinem jüngsten Buch „Träume und Albträume“ nur an: Man habe ihm nach dem Einmarsch in Prag, den in der Akademie nur der Vizepräsident Eduard Claudius offen ablehnte, „die Instrumente gezeigt, und ich parierte.“ Claudius verlor sein Amt und verstummte, Dietzel blieb und schrieb sein kritisches Tagebuch, das er erst nach 1989 unter dem Titel „Männer und Masken“ (Faber & Faber) veröffentlichte. Das wird ihm niemand vorwerfen, der die Instrumente der SED noch kennengelernt hat; eher ist ihm zu danken, dass er deren Anwendung für den Dienstgebrauch auch für diejenigen nachvollziehbar macht, die nicht dabei waren. Es sind nicht viele solcher Tagebücher in der DDR entstanden, geschweige denn gedruckt worden. Kantorowicz hat sein „Deutsches Tagebuch“ 1959 im Westen veröffentlicht, die Tagebücher von Victor Klemperer sind erst postum nach der Wende erschienen, ebenso wie die Tagebücher Brigitte Reimanns.

Dietzels Aufzeichnungen sind am besten mit Hartmut Zwahrs Tagebuch aus den Jahren des Prager Frühlings in der DDR „Die erfrorenen Flügel der Schwalbe“ (2007) vergleichbar, das allerdings sehr viel unbefangener aus einem ähnlichen Blickwinkel, dem akademischen Leben an der Universität Leipzig, berichtet. Es ist bezeichnenderweise im Bonner J.H.W. Dietz Verlag der SPD erschienen. Faber bevorzugt eher apologetische DDR-Erinnerungen wie die von Willi Sitte oder Kurt Hager.

Von ihnen unterscheidet sich Dietzels Rückblick wohltuend. Er, der sich selbst nicht schont, schont auch Kurt Hager nicht, den ideologischen Zuchtmeister der DDR-Kulturpolitik und der Berliner Akademie. Und doch findet er selbst für ihn noch versöhnliche Töne, wie für Hermann Kant, den Strafrichter der Autorenkollegen, die gegen Wolf Biermanns Ausbürgerung protestiert hatten. Für Alfred Kurella, den Aufseher der Akademie im Politbüro und Kafka-Verhinderer in der DDR, wirbt er sogar um Verständnis; er selbst habe sein Vertrauen genossen. Mit Helmut Baierl, dem Leiter seiner Akademie-Sektion, dabei IM der Staatssicherheit und Verfasser unsäglicher Gedichte („Gereimte Reden“, Militärverlag der DDR 1976) und gereimter „Worte an Tschekisten“, habe ihn „eine Partnerschaft neuer Qualität“ verbunden. Dem Freund und Akademiesekretär Stephan Hermlin hat er sein Tagebuch „Männer und Masken“ sogar gewidmet, allerdings ohne hinter dessen Maske als angeblicher Spanienkämpfer und KZ-Insasse zu blicken. Karl Corinos leider erfolgreiche Aktenstudien zu Hermann Kant und Stephan Hermlin nennt er „Hetzjagden“, ohne sie widerlegen zu können. „Die Dinge beim Namen zu nennen“, schreibt er , sei „nur der erste Schritt“. Hier tut er nur einen halben. So bleiben seine „Träume und Albträume“, was ihr Untertitel redlicherweise verspricht: widersprüchliche Erinnerungen. Hannes Schwenger

Ulrich Dietzel: Träume und

Albträume.

Widersprüchliche

Erinnerungen. Edition Schwarzdruck, Berlin 2011. 248 Seiten, 20 €.

Hannes Schwenger

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