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Kultur: Die Architektur des Augenblicks

2000 Gipsstäbe im Fischgrätmuster: Der Hamburger Bahnhof hat Walter de Marias Bodenskulptur ausgelegtNicola Kuhn "Ich glaube nicht, dass die Kunst es mit der Natur aufnehmen kann," schrieb vor genau vierzig Jahre Walter de Maria. "Stelle die besten Arbeiten, die du kennst, neben den Grand Canyon, die Niagara-Wasserfälle, die Red Woods.

2000 Gipsstäbe im Fischgrätmuster: Der Hamburger Bahnhof hat Walter de Marias Bodenskulptur ausgelegtNicola Kuhn

"Ich glaube nicht, dass die Kunst es mit der Natur aufnehmen kann," schrieb vor genau vierzig Jahre Walter de Maria. "Stelle die besten Arbeiten, die du kennst, neben den Grand Canyon, die Niagara-Wasserfälle, die Red Woods. Die großen Dinge gewinnen immer." Der Berkeley-Absolvent war damals gerade am Beginn seiner Karriere; erst in den darauffolgenden Jahren sollten seine großartigen Land art-Projekte entstehen: der "Vertikale Erdkilometer" von Kassel, ein in den Boden versenkter Messingstab, oder das "Lightning Field" in der Wüste Neu-Mexikos, wo er über einen Quadratkilometer verteilt 400 Edelstahlstäbe zu einem Feld aufstellen ließ, das bei Gewitter die Blitze anzieht. In diesen Werken hat de Maria durchaus den Vergleich mit dem Mächtigen, dem Erhabenen der Natur gesucht. Natürlich konnte er ihn nicht gewinnen, aber beide Arbeiten umgibt ein Ahnen, ein Raunen, das sie ähnlich wie ein überwältigender Natureindruck unvergesslich macht.

In einer vergleichbaren Dimension bewegt sich auch sein Werk "The 2000 sculpture", das seit gestern im Hamburger Bahnhof zu sehen ist. Wer das aus 2000 Barren ausgelegte Feld in der ehemaligen Bahnhofshalle gesehen hat, wird es wohl ebenfalls nicht mehr vergessen können. Durch die vollkommene Abstraktion des Legemusters haucht den Betrachter ein Gefühl von Ewigkeit an, durch die schiere Größe des 50 mal 10 Meter großen Feldes und die dadurch bedingten rasanten Verkürzungen meint er, Unendlichkeit zu verspüren.

Staunend steht er vor den 50 Zentimeter großen, gipsernen Klötzen, die eigentlich nach einem ganz einfachen Prinzip, dem Fischgrätmuster, nebeneinander gelegt sind. Und doch bilden sie in ihrer Gesamterscheinung ein so komplexes Ganzes, dass selbst Mathematiker, Musiktheoretiker, Philosophen bei Erklärungsversuchen ins Straucheln geraten dürften. Schließlich hat Walter de Maria hier keine Rechenaufgabe, keine Komposition, kein Gedankengebäude auf dem Museumsboden ausgebreitet, sondern ein faszinierendes Kunstwerk, das mit jedem Betrachter, jeder Bewegung entlang der Bodenskulptur sein Aussehen ändert.

Zehn Jahre lang tüftelte der amerikanische Künstler gemeinsam mit dem Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann an der Ausführung der wohl weltweit größten Bodenskulptur, die sich heute im Eigentum des Kunsthauses Zürich befindet. Von dort hat sie ihre Reise nach Berlin in den Hamburger Bahnhof angetreten, dem in Deutschland einzigen Museum, das einen entsprechend großen Saal bieten kann. Für ein halbes Jahr hat de Marias Brunnenskulptur in der Wandelhalle der Gemäldegalerie damit ein Pendant bekommen. Auch diese Arbeit beruht auf dem besonderen Verhältnis von fünf-, sieben- und neunkantigen Stäben zueinander, die allerdings nicht am Boden liegen, sondern aufrecht im Wasser stehen. Was in der Gemäldegalerie von Dauer ist, bleibt im Hamburger Bahnhof eine Architektur des Augenblicks: "The 2000 sculpture" füllt - passend zum Jahrtausendbeginn - die kurze Spanne bis zur Rückkehr der Sammlung Marx an ihren angestammten Platz.Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50-51, bis 27. 8.; Dienstag bis Freitag 10-18 Uhr, Sonnabend / Sonntag 11-18 Uhr. Katalog 39 Mark.

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