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Kultur: Die Architektur findet im Saale statt

Frank Gehrys Neubau der DG-Bank am Pariser Platz macht die Bürowelt zur offenen BühneFalk Jaeger Wie konnte das nur geschehen? Im Nachhinein weiß niemand mehr so recht, wie Frank O.

Frank Gehrys Neubau der DG-Bank am Pariser Platz macht die Bürowelt zur offenen BühneFalk Jaeger

Wie konnte das nur geschehen? Im Nachhinein weiß niemand mehr so recht, wie Frank O. Gehry, der dekonstruktivistische Furor architectonicus, zum nüchternen Rationalisten wurde. Es lag wohl vor allem daran, dass für den Neubau der DG-Bank am Pariser Platz zunächst ein Wettbewerb zu gewinnen war, ein Verfahren unter den gestrengen Augen der Berliner Bauverwaltung(en), und so durfte und konnte eigentlich nur eine steinerne Fassade mit hochrechteckigen Fensteröffnungen gekürt werden, das hatten gute Freunde Frank offenbar rechtzeitig nach Kalifornien gefaxt. "Ich habe versucht, ein neutrales Gebäude zu planen, auch, weil etwas anderes hier nicht erlaubt war", hatte Gehry freimütig eingeräumt. Noch entbehrt das Haus seiner zukünftigen Nachbarn - Behnischs gläserne Akademie zur Linken und Rubble/Yudells US-Botschaft zur Rechten, wenn sie denn kommt.

"Der Entwurf zeigt eine fünfgeschossige, streng symmetrische Lochfassade, die sich harmonisch in das Ensemble einfügt", heißt es in schlichten Worten im Objektprospekt. Sich "harmonisch einfügen" - das tut der Neubau nun wahrlich nicht, und es ist zu vermuten, dass die DG-Bank nach Komplettierung des Platzes in den Augen der Eiferer von der "Gesellschaft Historisches Berlin" sogar die Akademie als Feindbild ablösen wird. Diesem Neubau von Gehry fliegen die Herzen nicht so zu wie seinem Guggenheim-Museum in Bilbao, und der berühmte Berliner Taxifahrer, seit jeher als Sprachrohr von Volkes Stimme mit der Lizenz zum Mäkeln ausgestattet, schwärmt ohnehin für die Marzipanschlossfassade des neohistoristischen Adlon. Ortsfremde Architekturfreunde hingegen gehen jede Wette ein, dass der Bau von Axel Schultes stammen müsse. Aber Gehry? Nie und nimmer!

Von mesopotamischer Größe ist die Fassade, mit breiten Mauerpfeilern aus italienischem Sandstein, die oben wie Pylone enden, für die Ewigkeit oder zumindest für die Archäologen des vierten Jahrtausends gebaut. Rahmenlose Öffnungen, die schon durch ihr fast quadratisches Format nicht an Fenster denken lassen, sind das andere konstituierende Element dieser Fassade. Nur Fläche und Öffnung, und nur zwei Materialien, Stein und Glas - grandios. Konsequenterweise war für die Inschrift nur der Steinmetz zuständig. Tagsüber höhlenartig verschattet, gewährt die raumhohe Verglasung bei Dunkelheit und Innenbeleuchtung überraschend den totalen Einblick. Der Vorstand und seine Mitarbeiter wie im Schaufenster für Büroausstatter - zumindest am Abend kann hier nichts Unschickliches geschehen.

Ist es dem Besucher gelungen, das aufmerksame Wachpersonal von seiner Harmlosigkeit zu überzeugen und in das vornehm-schlichte Vestibül zu gelangen, wo es gilt, mit der freundlichen Dame an der Empfangstheke in Verhandlungen einzutreten, erhascht er bereits einen Blick in den gläsernen Lichthof. Fassaden wie am Außenbau umstellen das Atrium und schauen mit ernster Miene auf das Geschehen - denn diesmal findet Gehrys expressionistische Architektur im Saale statt. Ein gläserner Rücken erhebt sich vom Boden, Rampen und Treppenläufe führen auf eine erhöhte Ebene, zum Sockel eines merkwürdigen skulpturalen Objekts, das aussieht, als habe die Putzfrau im Entwurfsmodell ihr Putzlappenknäuel liegen lassen, und das werde nun, fünfzigfach vergrößert, in Stahl und Glas gebaut. Doch das "prähistorische Etwas" (Gehry) ist natürlich geplant, wenn auch "ganz intuitiv", wie der Meister berichtete, und er fügte hinzu, es sei "die beste Form, die ich in meinem ganzen bisherigen Leben entworfen habe".

Die Skulptur beinhaltet ein Plenum mit Kongresstechnik für bis zu 100 Personen, die in dem wild bewegten Raum mit der Holzplankendecke ein Gefühl der Geborgenheit wie in einer Arche erleben. Ein Geschoss tiefer, auf dem Grund des Lichthofs, dessen blutroter Teppichboden durch den gläsernen Rücken heraufleuchtet, geht es weniger gemütlich zu. Es ist das Niveau minus 1. Die Kelleratmosphäre lässt sich nicht verhehlen. Hier hinab begibt sich der gemeine Mitarbeiter zur Pause in die Cafeteria. Hier unten gibt es weitere Konferenzsäle, schmucklose Verliese ohne Tageslicht. Der Architekt hat sie ringsum mit bleichen, einen Zentimeter dicken Filzbahnen ausgekleidet. Gehry hat unter der Sonne Kaliforniens gern mit alltäglichen, billigen Materialien experimentiert. Hier, in diesem ansonsten von Wänden mit noblem Oregon-Pine-Furnier und Böden aus amerikanischer Roteiche bestimmten Ambiente, wirkt der fahle Filz jedoch deplaziert und ärmlich. Er wird von den Herren über Devisen und Effekten wohl nicht lange geduldet werden. Es wird ohnehin nicht einfach sein, das Tiefgeschoss, "Forum" genannt, für Sitzungen und externe Veranstaltungen angemessen zu nutzen und jeweils die wünschenswerte Aufenthaltsqualität zu schaffen - gewiss eine Herausforderung für die eigens gegründete Betreibergesellschaft.

Die Fahrt in einem der mit blauem Marmor "Bahia Blue" ausgekleideten Aufzüge oder der Aufstieg in einem der mit "Nero Impala"-Fliesen geadelten Fluchttreppenhäuser führt in lichtere Gefilde. Die bei Gehry gewohnte Leichtigkeit und Nonchalance ist nirgends anzutreffen, dafür schwerleibige, solide Türen, sterile Reinstraumbüros mit gehobenem Investorenausbaustandard. Die Normbüros an den Längsseiten des Grundstücks sind von labyrinthischen Fluren entlang der Brandwände erschlossen und vom Atrium aus belichtet. Erst im vierten Obergeschoss gibt es die Möglichkeit von Außenfenstern. Der südliche Bauteil steigt bis zum sechsten Obergeschoss an. Eine Sky Lobby bietet Rundblick bis zur Reichstagskuppel und angenehmen Aufenthalt für konferierende Führungskräfte. Ob jemand auf die Idee gekommen ist, besser hier die Cafeteria einzurichten?

Die Sky Lobby erlaubt auch das Studium der filigranen Konstruktion des oberen Glasdaches über dem Lichthof, für das Jörg Schlaich als Ingenieur verantwortlich zeichnet. Die Fischform seines Leibs ist ein in Gehrys Werk häufiger anzutreffendes Motiv. Vom Pariser Platz aus ist der gläserne Wal nicht zu sehen. Er musste unter die penibel in den Plänen eingezeichnete Sichtlinie abtauchen, da die ansonsten in der Friedrichstadt mögliche 60-Grad-Rückstaffelung bis auf 32 Meter an der Platzfront untersagt war.

Auf 32 Meter ging der Architekt dann beim südlichen Bauteil an der Behrenstraße, das Rücken an Rücken mit der Bank steht. Dieser Rücken ist nochmals ein verstecktes Stück echter Gehry, keine gerade Brandwand, sondern eine sieben Stockwerke hohe gewölbte Schale. Auf der Bankseite ist sie in den Fluren nur als leicht gebogene Wand erlebbar. Nach Süden bildet sie einen konkaven, vom Oberlicht erhellten Lichthof mit Wasserbecken am Grund, in dem die gläsernen Lifts auf und ab schweben. Eine großzügige Geste, die freilich durch die beengten Raumverhältnisse nicht so recht zur Wirkung kommen will.

Sieben Geschosse mit 30 Apartments öffnen sich nach Süden mit Blick auf das zukünftige Holocaust-Mahnmal. Hier konnte Gehry doch etwas freier gestalten, und so gerät die Fassade in Schwingungen, fast wie bei seinem Prager Bürohausprojekt "Ginger and Fred". Für durchschnittlich 10 000 Mark je Quadratmeter sind die 1- bis 2-Zimmer- und Maisonettewohnungen zu haben (Tiefgaragenstellplatz extra); kein Wunder, dass die Fenstererker, eine Kreuzung aus Wintergarten und Doppelfenster, kaum Platz für mehr als ein Frühstückstischchen mit Bistrostuhl haben. Familien werden in diesen exklusiven Räumen nicht residieren, eher schon die sprichwörtlichen Executives mit Hauptwohnsitz im Taunus.

Für Berlin ist Gehrys Bau ein Gewinn, zeigt er doch am Pariser Platz eine im Sinne von Aldo Rossi, besser noch O.M. Ungers konsequent gedachte rationalistische Fassade höchster Stringenz und Qualität. Nach Süden hingegen, an der Behrenstraße, dehnt er die Zwangsjacke der Berliner Bauvorschriften denkbar weit und zeigt neue Möglichkeiten zu mehr Varianz.

Die DG-Bank war wohl nicht gut beraten, das Grundstück derart hoch auszunutzen. Das ging eindeutig zu Lasten der Aufenthaltsqualität, vor allem im öffentlichen Kellergeschoss, was selbst der Zaubermeister aus Santa Monica nicht zu ändern vermochte, und so wird das Projekt in seinem Werkverzeichnis sicher keinen herausragenden Platz einnehmen. In ihrer Selbstdarstellung hat sich die DG-Bank inzwischen weit von ihren genossenschaftlichen Wurzeln entfernt. Sie präsentiert sich nicht anders als die großen Geschäftsbanken.

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