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Kultur: Die australische Star-Fotografin inszeniert das Melodrama von Knechtschaft und Herrschaft

Wir sehen das prächtige Entree eines viktorianischen Hauses: Am Boden kniet ein farbiges Dienstmädchen und putzt. Ihre gebückte Haltung ist gleichzeitig eine Geste der Unterwerfung: Denn am Fuße des Treppenhauses steht die Herrin, streng, in Schwarz gekleidet, wachend.

Wir sehen das prächtige Entree eines viktorianischen Hauses: Am Boden kniet ein farbiges Dienstmädchen und putzt. Ihre gebückte Haltung ist gleichzeitig eine Geste der Unterwerfung: Denn am Fuße des Treppenhauses steht die Herrin, streng, in Schwarz gekleidet, wachend. Später wird die Unnahbare ihr Kleid öffnen, das Haar lösen, wird mit sinnlich geöffneten Lippen an einer Wand lehnen oder träumend die Augen schließen. Sie wird aber auch die Dienerin brutal auf den Küchentisch drücken, ihr das Haar schneiden und einen Strick wie eine Peitsche nutzen.

Die Beziehung zwischen Herrin und Dienerin, die delikate Balance zwischen Abhängigkeit, Macht, Gewalt und Ergebenheit hat die australische Foto-Künstlerin Tracey Moffat in immer neuen Bildern variiert. Mal ist es der Rahmen, der die Stimmung schafft: Das Schlüsselloch, durch das die Dienerin die entkleidete Herrin beobachtet, das Fensterkreuz, das das Mädchenzimmer wie ein Gefängnis, eine Folterkammer einschließt, der prunkvolle Türrahmen, der die Welten trennt. Mal sind es die Bildformate, die das Geschehen interpretieren: Die schlafende Dienerin einmal in der intimen Einfassung eines Ovals, ein anderes Mal in der distanzierenden Draufsicht eines Vollbildes. Und schließlich setzen sich die Beschädigungen in der Qualität des Abzugs fort: die Kratzer auf der Oberfläche sind letzte Spuren eines vergangenen Kampfes, flimmernde Blitze über dem häuslichen Schlachtfeld.

Angeregt zu ihrer jüngsten Serie "laudanum" wurde Moffatt von einer sadomasochistischen Erzählung, Pauline Reages "Story of O." von 1954. Schauplatz der Inszenierungen sind Gebäude in Sidney, deren morbiden Fin-de-siecle-Charme die Fotografin mit Stilmitteln des frühen Films kombiniert: Wie Murnaus "Nosferatu" wischen auch hier verzerrte Schatten über die Wände, werden Hände zu Krallen, Gesichter zu leeren Höhlen. Wie in Robert Siodmaks Grusel-Klassiker "Die Wendeltreppe" von 1946 ist das zentrale Treppenhaus Ausgangspunkt und Ort des Geschehens: Es symbolisiert die festgefügte Hierarchie, die am Ende, wenn die aufgelöste, entkleidete Herrin mühsam die Stufen hinaufkriecht, nicht mehr gilt. Unschärfen, Kratzer und Überblendungen wie auch die matten Töne der Reproduktionen unterstützten den Eindruck des Historischen, der jedoch der Intensität des Erzählten widerspricht. "Nur wenn du mich leiden läßt, fühle ich mich sicher", heißt es in dem Essay "Glück in der Sklaverei", der Reages Erzählung einleitet.

Beides, die Verbindung zwischen Macht, Gewalt und Erotik und die Verwendung filmischer Stilmittel, prägen das Werk Tracey Moffatts von Anbeginn - gleichgültig, ob sie den hoffnungsvollen Aufbruch einer jungen Frau in die Stadt ("Something More") oder den kraftvollen Wettkampf der Roller-Derby-Queens ("Guapa") zeigt. Pasolini, Scorsese und Cocteau nennt sie als Vorbilder für jene eigenartig traumverlorenen, stets unterdrückt gewalttätigen Bilder, die wirken, als seien sie losgelöst von Zeit und Raum. Die heute 39jährige Australierin, Shooting Star der internationalen Kunstszene, begann als Experimental- und Dokumentarfilmerin, bevor sie 1989 mit der Serie "Something More" ihre ersten Fotoarbeiten vorlegte. Sieben weitere Serien folgten bislang. Seit der Präsentation ihrer Werke auf der Biennale in Venedig und der großen Ausstellung im Dia Center for the Arts in New York 1997 ist die Fotokünstlerin mit Hang zur lustvollen Verwendung von Klischees und triefenden Gefühlen auch in Europa bekannt. Der Neue Berliner Kunstverein zeigt nun in Zusammenarbeit mit dem Ulmer Museum und dem Kunstverein Freiburg "laudanum" gemeinsam mit Teilen früherer Serien und den drei wichtigsten Filmen Moffatts.Bis 24.10., Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestr. 128/129, dienstag bis freitags 12 bis 18 Uhr, am Wochenende 12 bis 16 Uhr. Katalog 28 Mark.

Christina Tilmann

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