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Kultur: Die Berliner Autorin Julia Franck liest aus ihrem zweiten Roman "Liebediener"

Julia Franck liebt das Geheimnisvolle. Schon in "Der neue Koch" (1997), ihrem vielgelobten Debütroman verstand sie es, eine teilweise unheimliche Atmosphäre zu kreieren.

Julia Franck liebt das Geheimnisvolle. Schon in "Der neue Koch" (1997), ihrem vielgelobten Debütroman verstand sie es, eine teilweise unheimliche Atmosphäre zu kreieren. Eine Geheimniskrämerei, aus der der Roman seine Spannung bezieht, die mit der Fantasie des Lesers spielt und auf seine Mutmaßungen angewiesen ist - auch in ihrem zweiten Roman. Schon sein Titel "Liebediener" (DuMont Verlag, 36 Mark) ist zweideutig. Ein Liebediener ist laut Wörterbuch ein Schmeichler, liebedienerisch ist einer, der sich bei seinen Vorgesetzten aus nicht uneigennützigen Gründen einschmeichelt, ein Opportunist. Das aber ist Albert, die männliche Hauptperson, mitnichten. Beruflich ist er eher gestrandet. Er gibt zwar vor, Pianist zu sein, und seine Interpretation von Saties "Gnossiennes" erfüllt oft den Hinterhof. Sein Geld aber verdient er als "Mann für gewisse Stunden". Ein Diener der Liebe in des Wortes wahrster Bedeutung. Wovon Beyla, die weibliche Protagonistin und Ich-Erzählerin, die sich ihr Brot als Clownin im Zirkus verdient und im selben Haus wie Albert wohnt, lange Zeit nichts ahnt.

Eher zufällig lernt sie eines Tages Albert kennen, nachdem sie aus ihrer Kellerwohnung in eine hellere im zweiten Stock gezogen ist. Dort hat zuvor Charlotte gewohnt, die bei einem Straßenbahnunfall ums Leben gekommen ist. Nachdem Beyla, die den Unfall vom Wohnungsfenster beobachtet hat, auf der Beerdigung eine Tante Charlottes kennenlernt, gerät sie immer stärker in den Bann der Verstorbenen. Sie beherbergt auch Charlottes Besuch, bewirtet die immer mal wieder auftauchende Tante und verliebt sich in Albert, der auch zu Charlotte in einer nicht näher umschriebenen Liaison gestanden zu haben scheint.

Bei aller Liebeseuphorie kommen bald Zweifel an der Treue und Ehrlichkeit ihres vermeintlichen Geliebten auf. Wachsendes Misstrauen nagt an ihr. Sie beginnt zu nörgeln und Fragen zu stellen. Die wachsende Eifersucht wird, je mehr sich das von der Autorin geschickt gewebte Netz aus Verdächtigungen, Vermutungen und Anschuldigungen verdichtet, immer psychotischer, die Stimmung unheimlicher.

Die andere Säule, auf der der Roman ruht, ist ein alltäglicher Realismus. Julia Franck, die das Berliner Kiezmilieu kennt und gut beobachtet hat, gestaltet Szenen, die sich in jedem x-beliebigen Hinterhaus in Kreuzberg oder Prenzlauer Berg zutragen könnten. Sie verfällt dabei gelegentlich in eine detailverliebte Plauderhaftigkeit, die dem Tempo und der Stringenz des Romans eher abträglich ist, oder in eine larmoyante Innerlichkeit, wenn es um Ängste der Protagonistin geht. Während sich ihr Sprachgestus insgesamt durch sinnliche Prägnanz auszeichnet.

Nach der Mitte ziehen Tempo und Spannung merklich an. Geschickt setzt die Autorin die Akzente: Je mehr das Rätsel um Alberts zwiespältige Existenz aufgeklärt wird, umso klarer findet die Ich-Erzählerin zu sich und ihrem Leben zurück.

Nicht alle Geheimnisse werden bis ins Letzte aufgeklärt. Trotz der Suada, mit der Julia Franck am Schluss noch ein Mal einen Beweis ihres Formulierungsvermögens vorlegt: ein großer Nachgesang auf die Liebe.Julia Franck liest heute um 21 Uhr im Berliner Buchhändlerkeller in der Carmerstraße. Weitere Termine: 6.11., Berlin (Hugendubel Friedrichstr.); 11.11., München; 20.11., Leipzig.

Cornelia Staudacher

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