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Kultur: Die Beschleunigung der Zeit

Künstler und Kaiser: Die Ausstellung „Experiment Aufklärung“ bildet den Höhepunkt des Wiener Mozartjahrs

Winzig klein ist der Luftballon, wie ein Spielzeug mit seiner fähnchengeschmückten Gondel. Und doch bildet der Ballon die magische Mitte des Bildes. Francesco Guardi hat den Aufstieg des Grafen Zambeccari aus dem Jahr 1784 festgehalten, und in der gespannten Neugier der in Rückenansicht dargestellten Figuren, die dem Ballonaufstieg in der Lagune von Venedig folgen, spiegelt sich der Betrachter des – übrigens aus der Berliner Gemäldegalerie entliehenen – Bildes. Magisch wird er hineingezogen, in eine Zeit, in der der Fortschritt nicht nur, aber auch als Spielerei daherkam. Als divertimento einer an Geld und Zeit verschwenderisch reichen Oberschicht.

Die Montgolfière ist das Emblem einer doppelgesichtigen Ära. Die Galanterie des Rokoko, die übersteigerte Eleganz, die Gesten und Allüren sind dem Untergang geweiht. Gleich werden Nüchternheit und Härte einer neuen Epoche hereinbrechen, buchstäblich hereinbrechen in Gestalt der Französischen Revolution. Doch nicht so im weiten Reich der Habsburger. Hier findet die Aufklärung weniger subversiv von unten statt als vielmehr klar reglementiert von oben. Joseph II., der Reformkaiser, erscheint auf Porträts als hagerer, mit scharfem Profil geadelter Willensmensch, der das zwei Dutzend Sprachen sprechende Vielnationenreich nach den Maßstäben der Vernunft neu zu ordnen sucht – und oft genug am Beharrungswillen seiner Untertanen scheitert, selbst derjenigen, denen seine Reformen doch neue Möglichkeiten eröffnen sollen.

Josephs Alleinregierungszeit (1780 – 1790), das ist beinahe vollständig das Jahrzehnt, das Wolfgang Amadeus Mozart bis zu seinem Tod Ende 1791 in Wien verbrachte. Zum Mozartjahr, in dem des 250. Wunderkind-Geburtstags gedacht wird, wartet Wien seit dem Wochenende mit der Großausstellung „Mozart. Experiment Aufklärung“ auf. Ihr Titel verrät den ehrgeizigen Versuch einer Verknüpfung von Biografie und Realgeschichte. Nicht eine biedermeierliche Illustration der einzelnen Lebensstationen ist also in der Albertina – dem eigentlich den grafischen Künsten gewidmeten, in der damaligen Zeit begründeten Museum – zu besichtigen. Die Ausstellung spiegelt vielmehr ein Zeitalter, genauer gesagt: dessen kurze Kulminationszeit, in der Mozart sich in ebenso staunenswerter Lebenslust wie Produktivität verzehrte.

Unendlich viel ist über ihn bekannt und zugleich viel zu wenig. Zwei Porträts markieren fast beiläufig das Entree in der unteren Halle der Albertina, die den Großteil der mit 1106 Objekten überbordenden Ausstellung birgt. Da ist das berühmte, halbfertige Bildnis „Mozart am Klavier“ von Joseph Lange aus dem Jahr 1789, das als die wohl authentischste Darstellung des Komponisten gelten darf. Und daneben das seltsam fremde, strenge Bildnis eines so gar nicht jugendlichen Mozart als „Ritter vom Goldenen Sporn“, jenes ihm 1770 verliehenen höchsten weltlichen Ordens des Papstes. Der Musikus war mächtig stolz auf die Auszeichnung wie auf alle seine Erfolge – um dann rätselhafterweise vom Titel eines Ritters doch nie Gebrauch zu machen. Und das, obwohl er sich an den Konventionen der Ständegesellschaft abarbeitete. Natürlich ist in der Ausstellung die berühmte Briefstelle nachzulesen, wo Mozart für sich „vielleicht mehr Ehre im Leib als mancher Graf“ reklamiert. Er machte einen Gleichheitsanspruch geltend, den er im Alltagskampf um Aufträge und Anerkennung nicht erringen konnte.

Es sei denn, in den freimaurerischen Logen. Diesem Kapitel, aufs Engste verwoben mit der scheinbar so eingängigen und doch rätselhaften „Zauberflöte“, ist die materialreichste Abteilung der Ausstellung gewidmet. In den Logen – mehr noch als in den freizügigen Salons bisweilen höchst aufmüpfiger Adeliger – bildeten sich Rituale einer egalitären Gesellschaft heraus. Man könnte sie die bürgerliche nennen, wären da nicht die hohen Ideale, wie sie nur eine Elite zu ihrem Maßstab erheben konnte. Zeugnisse der Logenbrüderschaft Mozarts haben Ausstellungskurator Herbert Lachmayer und sein Team in reicher Fülle zusammengetragen: Die „Zauberflöte“ erweist sich als der heimliche Fluchtpunkt der Ausstellung.

Lachmayer ist Vorstand des „Da Ponte Instituts für Librettologie, Don Juan Forschung und Sammlungsgeschichte“, das als Träger der Ausstellung firmiert. Der Name allein macht neugierig auf Wege und Abwege. Diese Neugier befriedigt das immerhin 5,5 Millionen Euro teure Unternehmen vollauf – 15 Jahre nach der letzten Wiener Mozart-Ausstellung, „Zaubertöne“. Ausgehend von Thesen wie der einer rasanten Beschleunigung des josephinischen Zeitalters, kommt die Ausstellung als ein Geflecht einander überlagernder und wechselseitig anregender Ereignisstränge daher. Ist es da noch notwendig, Aktualität durch den Vergleich eines damaligen Lebens in „Parallelwelten“ mit der Jugendkultur von heute zu behaupten? Und ob der schauerlich bonbonfarbene Teppichboden, den der österreichische Künstler Franz West entworfen hat, zur optischen Zusammenbindung der disparaten Objekte und der drei Ausstellungs-Bereiche tatsächlich taugt, möchte man nach einigen Wochen intensiver Benutzung lieber nicht mehr prüfen.

Dabei zwingt die Fülle kleinteiliger Materialien zur Konzentration. Welche Sprengkraft den beiden „Toleranzpatenten“ innewohnte, die Joseph II. 1781 erst den evangelischen und griechisch-orthodoxen Christen und drei Monate später den Juden erteilte, lässt sich aus der Gleichförmigkeit der per Handzettel bekannt gemachten kaiserlichen Erlasse nicht ermessen. Aber welche Sätze! So verfügt der Kaiser, „daß alle unsere Untertanen, ohne Unterschied der Nation und Religion, an dem öffentlichen Wohlstande, den Wir durch Unsere Sorgfalt zu vergrößern wünschen, gemeinschaftlichen Anteil nehmen, eine gesetzmäßige Freiheit genießen“ sollen. Freiheit – aber gesetzmäßig. Als Joseph II. starb, wurde ihm eine Grafik gewidmet, die sein Lebenswerk in der allegorischen Form einer Pyramide zeigt, gefügt aus Steinen mit Aufschriften wie „Aufhebung der Leibeigenschaft“ oder „Einführung der Toleranz“, aber auch „Taubstummeninstitut“ und „Medicinisch-chyrurgische Academie“. Und am Fuß dieser Huldigungsgrafik heißt es: „Dir bleibt die Ehre! wenn gleich die hämische Natter Dir zischt.“

Die „hämische Natter“ erhob ihr Haupt in den vielfältigen Formen des Traditionalismus. Noch die geringste mag gewesen sein, dass der Wiener Hochadel den Kaiser wegen dessen sparsamer Lebensführung bespöttelte. An einem solchen Punkt aber berühren sich die Gedankenstränge der Ausstellung. Denn eben dieser Adel ist es, der in seinen Salons Meinungsfreiheit übt und, wie eine Vitrine mit schamhaft kleinen Taschenbüchlein dezidiert pornografischen Inhalts vorführt, jedwede Libertinage in Anspruch nimmt. In der Person des Reformkaisers hingegen kommt die kühl-rationale Seite der Aufklärung zum Ausdruck, wie sie stilgeschichtlich den Klassizismus hervorbringt, den die Ausstellung entschieden zu gering veranschlagt.

Und Mozart? Der musste in all diesen enorm beschleunigten Parallelwelten, diesem Lebensstrudel sein Auskommen finden. Auch das zeigt die Ausstellung, wenn man sich in die Handschriften und Briefe vertieft, aber auch die Musikautographen (viele aus der Berliner Staatsbibliothek). Denn Mozart war kein romantisches Leidensgenie, sondern ein hellwacher Auftragskünstler. Allein der Konkurrenzkampf, den er sich mit dem beneideten Hofkomponisten Antonio Salieri lieferte, mit dem er wiederum um die Libretti des bühnenerprobten Vollprofis Lorenzo da Ponte stritt – allein deshalb lohnt sich die Lektüre des in der gleichfalls allzu kunstgewerblichen Vitrinenlandschaft ausgebreiteten Materials. Da ist Kurator Lachmayer ganz in seinem Element, der seinem da Ponte noch eine eigene Ausstellung ausrichtet, in wenigen Tagen im Jüdischen Museum Wien.

In der Freimaurerei, im Gespräch „auf Augenhöhe“ zwischen Adel, Beamtenschaft, Bürgertum und solch ersten „freien“ Existenzen wie ihm selbst, fand Mozart – so die Ausstellung – seine Erfüllung. Die „Zauberflöte“ ist das Vermächtnis dieser höheren Aspirationen. Ob allerdings die Empfehlung an „Geduld und Seelenruhe“, die er einem Logenbruder 1787 ins Stammbuch schrieb, für die eigene Person volle Gültigkeit besaß, darf angesichts seines hektischen Lebens bezweifelt werden. Mozart unterzeichnete als Mitglied der Loge „Zur neugekrönten Hoffnung“. Fürwahr, die Wiener Variante der Aufklärung war eine hoffnungsvolle Zeit, die wie ein Blitz ins träge Habsburgerreich fuhr.

Von Wolfgang Amadeus Mozart sind wenige Bildzeugnisse überliefert. Hier (oben) ist er in einem anonymen Bildnis von 1777 als „Ritter vom Goldenen Sporn“ zu sehen. Der unten

abgebildete Kaiser

Joseph II. war ein entschiedener Reformer des Habsburgerreiches und ein Verfechter der Aufklärung von oben.

Zum Wiener Mozartjahr 2006 zeigt das

Albertina Museum bis 20. September die

Ausstellung Mozart.

Experiment Aufklärung . Der Katalog soll Anfang April vorliegen (29 €, im Buchhandel 35 €). Bereits erschienen ist ein 888 Seiten starker Essayband mit über 90 Beiträgen (39 €). Das Jüdische Museum Wien zeigt vom 22. März bis 17. September eine Ausstellung zu Lorenzo da Ponte (Katalog 35 €).

Alle Bücher im Hatje Cantz Verlag, Stuttgart.

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