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Kultur: Die Börse der Bilder

Der Countdown läuft. Denn kaum springt der Zeiger der riesigen Uhr, die Hans Hofmanns Rundhofhalle ziert und als Wahrzeichen der Baseler Mustermesse gilt, auf elf Uhr um, ist kein Halten mehr.

Der Countdown läuft. Denn kaum springt der Zeiger der riesigen Uhr, die Hans Hofmanns Rundhofhalle ziert und als Wahrzeichen der Baseler Mustermesse gilt, auf elf Uhr um, ist kein Halten mehr. Die happy few, eine Hundertschaft ausgewiesener Sammler, darf schon vor der Vernissage am frühen Abend aufs Gelände und eine erste Auswahl treffen. Die Auserkorenen lassen sich nicht zweimal bitten und stürmen geradezu die vorderen Stände oder steuern zielbewußt ihre Stammgalerien an. Schließlich sind sie gekommen, ihr Geld hier zu lassen. Und schon nach wenigen Stunden blinken in den Kojen nur so die blauen und roten Punkte an reservierten oder gar verkauften Werken. Was sich vor wenigen Wochen bereits in Chicago abzeichnete, wird hier Gewißheit: Der Markt boomt wieder.

Die 30. "Art Basel" wird damit erneut ihrem Ruf gerecht: Sie ist die gefragteste (rund 800 Bewerbungen), die internationalste (271 Galerien aus 25 Ländern) und vor allem die umsatzstärkste Kunstmesse weltweit. An ihrem Jubiläum scheint die Kundschaft noch schneller, noch tiefer in die Taschen greifen zu wollen. Erste Warnungen vor Überhitzung und Hektik werden bereits laut - denn wenn den Galeristen schon während des Aufbaus die Bilder aus den Händen gerissen werden, dann steckt neben dem Kunstinteresse auch der Instinkt für Schnäppchen dahinter. Diesen Typus art-hunter gibt es auch im gediegenen Basel, wo in den Tagen der Kunstmesse die gesellschaftlichen Soiréen beim Apéro und die gut gedeckten Tische mindestens so viel zählen wie der gedeckte Scheck.

Daneben ist die "Art" vor allem eins: die schönste weit und breit. Nirgendwo sonst werden auf engstem Raum solche Kostbarkeiten angeboten, Picasso, Klee, Magritte in Hülle und Fülle, Nirgendwo sonst müssen sich die Galeristen zeitgenössischer Kunst so sehr anstrengen, um im nächsten Jahre wieder dabeizusein. Die hohe Qualität und Auswahlstrenge ist auch das Erfolgsrezept der Messe, die zur Verblüffung aller schon kurz nach ihrer Gründung der wenige Jahre zuvor uns Leben gerufenen "Art Cologne" den Rang abgelaufen hatte. Die großen Schweizer Sammler, Basels Mischung aus Intimität und Weltläufigkeit sowie die Traditionen einer Kaufmannsstadt taten ein übriges.

Zumal die Anfänge des von den Galeristen Ernst Beyeler, Trudl Bruckner und Balz Hilt gegründeten Unternehmens standen unter einem glücklichen Stern: Mit dem wachsenden Wohlstand zu Beginn der siebziger Jahre gründete sich auch eine neue Sammlergeneration, zu deren Lebensgefühl die bunte Welt der Pop Art paßte. Hinzu kamen als neue Formen Happening, Performance, Action Art als kunstgerechtes Entertainment. Von hier aus war kein großer Schritt, Kunst als Marktevent, als Messeware anzubieten. Daß sich diese Art des Angebots gehalten, ja Neugründungen wie in Frankfurt und Berlin trotz großer Kosten für die Galerien hinzugekommen sind, liegt an der einmaligen Präsentationsform. In Zeiten zunehmenden Termindrucks und mangelnder Gelegenheiten, selber in den Galerien auf Suche zu gehen, wird hier auf dichtgedrängtem Raum nachgeholt, was Sammler und Kunstfreunde übers Jahr versäumt haben.

Dabei wird wohl niemand das Pensum erfüllen, sämtliche Werke - über 5000 sollen es sein - in Augenschein zu nehmen. Wem die Bilder zu flirren beginnen, der erholt sich am besten bei Bratwurst und einem Kübli Champagner im gläsernen Innenhof des Hofmannsbaus, oder er tritt die Flucht nach vorne an in eine der Sonderausstellungen. Anläßlich der Messe haben sich auch die Museen ins Zeug gelegt. Die Sammlung Beyeler in Riehen widmet sich mit atemberaubenden Werken dem wandelnden Selbstverständnis des Porträts von Cézanne bis zur Cyberkunst. Das Museum für Gegenwartskunst Basel hat aus eigenem Bestand einen eindrucksvollen Parcours durch die amerikanische Kunst der vergangenen vierzig Jahre zusammengestellt. Und das wenige Schritte entfernt liegende Kunstmuseum wartet mit einer in ihrer Spannbreite zwar eigentümlichen, aber nicht weniger interessanten Schau sogenannter Jugendwerke von Dürer bis Baselitz auf.

Jugendwerke bestimmen auch das Bild der nun zum vierten Mal stattfindenden Gegenveranstaltung "Liste 99 - The Young Art Fair", bei der 36 Galerien aus 13 Ländern auf Nachwuchs setzen. Nur schade, daß sie dies vor allem trashig machen, denn von zu Hause weiß man, wie sehr sie sich um Stil bemühen. Ihr Basler Erscheinungsbild wird zudem durch den Veranstaltungsort, eine ehemalige Brauerei, getrübt.

Der müde gewordene Messebesucher findet Ausgleich aber auch schon gegenüber dem Hofmann-Bau, wo in der Halle 301 die "Art Sculpture" museale Präsentation mit Verkaufsabsichten glücklich vereinen will. Das zeitliche wie preisliche Spektrum reicht von Mirós "Personnage" (1,6 Millionen Franken) bis Fabrice Gygis "Second Generation Airbag", einem mit Spanngurten an der Wand befestigten Gummiballon (8000 Franken). Hier kann in Ruhe betrachtet werden, was schon auf der Messe aufgefallen ist, wie etwa die neuartigen Lithographien auf Holzgrund von Stephan Balkenhol, die so gar nicht zu seinen grobgeschnitzten Standardfiguren zu passen scheinen. Doch dann hinein und wieder zurück ins Getümmel der Messehallen, wo nach dem Ansturm des ersten Tages die Galeristen ihre Ware wieder sortiert und teilweise umgehängt haben.

Der erste Eindruck ist die unglaubliche Dichte von Millionen-Werken, für sechs Tage befestigt an provisorischen Preßspanwänden, bevor sie sich wieder in alle Welt in ausgewählteres Ambiente verteilen. Abwegige Vorstellungen durchzucken da manchen Besucher: Was für ein Versicherungsschaden, wenn hier ein Feuer ausbräche? Oder auch: Kann denn wirklich alles echt sein? Schließlich wissen Fachleute von einem horrend hohen Anteil von Fälschungen auf dem Kunstmarkt.

Wer mangels Geld hier nicht mitbieten kann, nimmt dennoch Bilder im Geiste mit. Einen bleibenden Eindruck bescheren sogleich die Doyens des Schweizerischen Kunsthandels: Beyeler mit seiner museumsreifen Arp- und Miró-Schau (ebenso sehenswert wie die Fortsetzung in seiner Baseler Galerie), daneben Krugier, dessen Privatsammlung derzeit am Berliner Kulturforum zu sehen ist, mit einer glanzvollen Kollektion von Picasso-Frauen sowie Klees, die er klug mit primitiver Kunst mischt.

Voller Macht und vom hohen Dollarkurs beflügelt sind in diesem Jahr vornehmlich amerikanische Galerien auf den Schweizer Messeplatz gedrängt. Insgesamt bewarben sich 98 Prozent der Aussteller aus dem Vorjahr wieder, was für die Begehrtheit der "Art Basel" spricht. So konnte die Jury sieben und hat fast ein Viertel ausgetauscht. Die US-Spitzengalerien sind nun praktisch vollständig vertreten, freut sich die "Art"-Direktion und wird darum beneidet von den Konkurrenzmessen in Köln und Berlin. Zum ersten Mal tritt in Basel auch Tony Shafrazi auf, seit einigen Monaten Nachlaßverwalter von Francis Bacon, seit längerem Vertreter des Werks von Jean-Michel Basquiat. Über den Preis eines exklusiven Bacon-Triptychons wurde nur so viel verraten, daß es die gleiche Klasse hat wie das kürzlich für 3,3 Millionen Dollar versteigerte Werk des britischen Malers. Diskretion auch bei Basquiat, der sei einfach "sky-rocketing", ein Dollar-Himmelstürmer. Überhaupt ist so manches Werk von Basquiat zu sehen, was durchaus mit seiner jetzt auf der Biennale in Venedig laufenden Schau zusammenhängen könnte. Schließlich wird jeweils nur eine Woche zuvor in der Lagunenstadt (zu documenta-Zeiten auch in Kassel) mit großen internationalen Ausstellungen die Spur gelegt. Erst in Basel können vom angereisten Sammler-Troß die Werke dann auch käuflich erworben werden.

Wie aber auffallen unter all den Top-Galerien und Spitzenangeboten? Die Münchner Galerie Thomas versucht es mit Wohnzimmer-Atmosphäre: Sessel hier, Vorhang dort, dazu gepflegte Hintergrundsmusik und ein Espresso mit Gebäck. Und doch wäre darüber beinahe die eigentliche Rarität, eine Landschaft von Edvard Munch aus dem Jahre 1911 für 2,35 Millionen Mark, zu kurz gekommen. Die jüngeren Galerien im ersten Geschoß haben es da leichter und schwerer zugleich. Mehr noch als die klassischen Gemälde-Händler verkaufen sie immer auch Ambiente, ja Lebensgefühl (Beispiel Jorge Pardo bei der Galerie "neugerriemschneider" mit seinen gelben, grünen, orangenen Fliesen als Bodenbelag des Messestandes). Und doch beginnt sich gerade ihre Ware am schnellsten zu verflüchtigen, denn gerade jüngere Künstler verweigern zunehmend die Herstellung greifbarer Objekte. Die Kunstmesse der Zukunft könnte da an ihre Grenzen stoßen. Bis jetzt jedoch sitzt die "Art Basel" triumphierend im Sattel - und wird hier noch eine ganze Weile die Gangart vorgeben.

30. "Art Basel", bis 21. Juni; Katalog 40 Mark

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