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Gut umbaut. Impression aus der Neuen Nationalgalerie.

© Burg + Schuh / Palladium Photode

Die Brückenbauer: Frank Stella und Santiago Calatrava in der Neuen Nationalgalerie

Der „Michael Kohlhaas Curtain“, ein monumentales Werk von Frank Stella und Santiago Calatrava, hängt zurzeit in der Neuen Nationalgalerie.

Wer hätte das erwartet? Ausgerechnet ein amerikanischer Maler und ein spanischer Architekt und Ingenieur haben sich für ihr Gemeinschaftsprojekt eine Novelle von Heinrich von Kleist vorgenommen, passend zu dessen 200. Todestag. Der „Michael Kohlhaas Curtain“, ein monumentales Werk von Frank Stella und Santiago Calatrava, hängt zurzeit in der Neuen Nationalgalerie.

Eine vierzig Meter lange Leinwand hängt als Rund gespannt von der Decke inmitten der weiten Eingangshalle. Das Gemälde ist eine Collage aus sich überlappenden Lagen und abstrakten Formen. Ein Relief aus feinen, geschwungenen Gitterstrukturen, die technischen Konstruktionszeichnungen ähneln. Sie wechseln sich mit Zackengebilden, Comic-Blasen und bunten Klecksen ab. Stella griff zu reinen Farben aus der Tube und der Spraydose, zu Froschgrün und Neonpink. Hübsch poppig ist das anzusehen.

Um den Vorhang herum, der ja gar kein Vorhang mehr ist, weil er an den Ösen stramm gezogen wurde und sich nicht mehr zur Seite schieben lässt, hat Santiago Calatrava eine luftige Architektur erdacht. Einen Bilderrahmen sozusagen. Denn das leichte Gerüst aus sich kreuzenden Metallstreben umhüllt die Leinwand wie ein Kranz. Gleichzeitig verbindet es das Kunstwerk zum Raum, zum Bau Mies van der Rohes, ebenfalls eine klare, strenge und dennoch luftige Architektur. Der Schlauch Calatravas ist ein Stoßdämpfer, damit Stellas wildes Kunstwerk nicht allzu sehr mit der Umgebung zusammenprallt. Schon lange wollten Frank Stella, der Farbfeldmaler, und Santiago Calatrava, der Brückenbaumeister, zusammenarbeiten. Sie kennen sich seit Anfang der neunziger Jahre. Calatrava, 60, ist für seine dynamischen, kühnen Brückenkonstruktionen bekannt geworden, unter anderem für die Alamillo-Brücke in Sevilla anlässlich der Expo 1992. In Berlin hat er die Kronprinzenbrücke über der Spree in Mitte geplant.

Stella, demnächst 75, hat schon in den 60er Jahren das klassische Bildformat aufgegeben. Leinwände sind bei ihm nicht einfach nur Bildträger, er will sie als dreidimensionale Objekte verstanden wissen. Seit den 80er Jahren werden seine Arbeiten immer mehr zu Skulpturen. Schon öfter hat er sich mit literarischen Vorlagen wie Herman Melvilles „Moby Dick“ beschäftigt.

Die Novelle „Michael Kohlhaas“ erzählt von Selbstjustiz. Kohlhaas verliert seine zwei Pferde, weil er auf einer Reise keinen Passierschein vorzuweisen hat. Gegen die Ungerechtigkeit möchte er klagen, findet jedoch bei Gericht kein Gehör. Die Willkür macht ihn rasend. Brandschatzend und mordend zieht er durch Sachsen. Selbst am Ende erlöst ihn Kleist nicht. Seine Hauptfigur wird zum Tode verurteilt. Kleists Dialoge sind schnell, die Sprache drastisch, verkürzt, bildhaft. Und architektonisch gebaut: Immer wieder werden lange Zeilen durch Einschübe unterbrochen, staffeln sich Nebensätze hintereinander.

So scheint es, dass Stella vor allem Kleists Schreibstil in seinem Gemälde von 2008 wiedergeben wollte. Manche Formen wirken wie Modelle von Figurenkonstellationen – in der Novelle eine komplexe Angelegenheit. Aber eine Geschichte mit Anfang und Ende ist in diesem Bilderteppich nicht auszumachen. Man würde so etwas erwarten, schließlich muss man als Besucher einmal außen herumlaufen, um alles zu erfassen. Schöner ist es deshalb, sich einfach in den riesigen Kranz zu stellen. Auch die Innenseite ist gestaltet. Kleist und Stella und Calatrava verschmelzen nun zum umhüllenden 360-Grad-Panorama.

Neue Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50, bis 14. August, Di/Mi/Fr 10-18 Uhr, Do 10 -22 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr, Katalog 6 €

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