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Kultur: Die doppelte Alice

Eine fremde Welt, in der alles vertraut und doch ganz anders scheint, ist das Wunderland, in das der englische Schriftsteller Lewis Carroll seine Titelheldin Alice schickte.Auch Hanno Siepmann, Gewinner des diesjährigen Neuköllner Opernwettbewerbs, entführt den Zuhörer in seiner Kammeroper "Alice" in ein Zauberreich, in dem vieles anders und manches vertraut erscheint: ins Wunderland der Zwölftonmusik.

Eine fremde Welt, in der alles vertraut und doch ganz anders scheint, ist das Wunderland, in das der englische Schriftsteller Lewis Carroll seine Titelheldin Alice schickte.Auch Hanno Siepmann, Gewinner des diesjährigen Neuköllner Opernwettbewerbs, entführt den Zuhörer in seiner Kammeroper "Alice" in ein Zauberreich, in dem vieles anders und manches vertraut erscheint: ins Wunderland der Zwölftonmusik.Denn kaum hat das Akkordeon zu Beginn in klagendem a-moll Alices Einsamkeit intoniert, taucht mit schnellen Metren und bunten Akkorden das Kaninchen auf, das Alices Gefährte im Wunderland wird.Ab jetzt herrscht freie Tonwahl.

Peter Lund, kreativer Kopf der Neuköllner Oper, hat dem ironischen Kammerstück, das leichthändig mit Zitaten und Parodien spielt, gemeinsam mit Claudia Doderer als Bühnenbildnerin einen surrealistischen Rahmen gegeben.Eine schiefe Ebene füllt den Raum und läßt unregelmäßige viereckige Fenster, Türen und sargartige Vertiefungen offen, die zum Auf- und Abtauchen dienen.Hans-Peter Kirchberg dirigiert auf einem Backofen, in dem am Ende Babies zu Ferkeln gebraten werden, ein dürrer Baum dient als Klettergerüst, und für die verrückte Teegesellschaft gibt es Ministühle zu Minitassen.Der eigentliche Reiz der Inszenierung aber liegt in der schnellen, unaufwendigen Verwandlung der Schauspieler: Die gestrenge Mutter (Linda Naumann) stolziert als Königin überlebensgroß durch den Raum, um dann als Maus zu Zwergenformat zu schrumpfen.Der Vater (Tobias Müller-Kopp) versetzt als langschwänziger Kater das Orchester in erschrecktes Wispern und windet sich als blaue Raupe über die Bühne.

Eindeutig im Zentrum des Stückes aber steht Alice.Lilia Milek gibt dem kleinen Mädchen mit Matrosenkleid und Schleife im Haar jene Mischung aus aufmüpfiger Frechheit und kindlichem Staunen, die sie sicher durch die Stationen ihrer Wunderreise trägt.Der an Bachsche Kantaten angelehnte Klage "Meine Seele ist wund" gibt sie so viel Innigkeit wie dem ausgelassenen Duett "Die Uhr macht tick" mit dem Kaninchen.Und wenn sie mit einem Bühnentrick gleichzeitig ab- und wieder auftaucht, wenn sie im Fotoshooting mit ihrem Gegenüber die Rollen tauscht, verkörpert die nun doppelte Alice einleuchtend den Anfang der Verwechslungen im Wunderland.

Die Balance zwischen Nonsense und philosophischem Traktat, die Carrolls Vorlage zum erfolgreichen Kinderbuch wie zum dankbaren Seminarthema machte, hält Siepmanns Musik durch die anspruchsvolle Zwölftongrundlage, die immer wieder leicht zu entschlüsselnde Lied-Parodien einschließt.Kinderlieder wie "Hänsel und Gretel" oder "Zwischen Berg und tiefem, tiefem Tal" schaffen Märchenatmosphäre und werden gleichzeitig frech als romantisches Kunstlied verfremdet.Ein Segen nur, daß Siepmann und Lund sich von Anspielungen auf die Entstehungsgeschichte und die Vorliebe Lewis Carrolls für junge Mädchen zurückgehalten haben: Mehr als einen Kuß zwischen Alice und der Carroll-Personifikation des Kaninchens gibt es nicht.Glückliche Märchenwelt.

Weitere Vorstellungen: 28.2., im März jeweils Donnerstag bis Sonnabend, 20 Uhr.

CHRISTINA TILMANN

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