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Kultur: Die Eisbrecherin

Diva als Rock-Röhre: Céline Dion in der Berliner Waldbühne

Warum hat Céline Dion eigentlich das Image einer eher soften Sängerin? An ihrer Stimme kann es nicht liegen. Die ist nicht nur metallen, sondern stählern, wie ein unsinkbares Schlachtschiff, auf das sich die Franco-Kanadierin zu jeder Sekunde und in jeder Lage verlassen kann. Das heißt, eigentlich kennt sie keine Lagen, mühelos eilt sie durch die Oktaven und lässt die Klänge gefühlte fünf Minuten lang volle Kraft voraus strömen, wie eine Titanic, die keinen Eisberg fürchten muss. In Stahlgewittern steht auch ihr Konzert in der Waldbühne, das einzige in Berlin auf ihrer 100-Städte-Tour, die sie durch 25 Länder führt.

Es ist ein perfekt geplanter und inszenierter Entertainment-Großangriff, gewidmet ihrem neuen und 35. Album „Taking Chances“, das im letzten Herbst herauskam. Schon der Titelsong hat Signalwirkung: Er entwickelt sich von der sanften Ballade zur Rockernummer und spiegelt Dions Versuche, sich von ihrem herkömmlichen Image zu lösen.

In diese Kalkulation gehört auch, dass sie das flötenumflorte „My Heart Will Go On“ bewusst ausspart – obwohl alle hier darauf warten. Auf schwarzer Bühne, vor schwarz gekleideten Backgroundsängern und Musikern, zoomt die Aufmerksamkeit automatisch auf Dion und ihr pinkfarbenes Kleid. Sie spricht in wenigen deutschen Brocken zu ihrem Publikum auf den Rängen, wo nur wenige Plätze freigeblieben sind. Diskursivität aber steht ihrer Show schlecht, über private Banalitäten kommt sie kaum hinaus. Doch das ist alles sofort vergessen, als sie anfängt zu singen, mit dieser tiefen Stimme, deren Kraftquell nie zu versiegen scheint. Es wirkt, als versuche die Diva immer ein dunkles Geheimnis, ein Echo von tiefem Ernst in ihren Gesang zu legen.

Vieles ist trotzdem durchhörbar und glatt, erstaunlich wenige Stücke aus dem aktuellen Album sind darunter, dafür ältere Sachen und Coverversionen von Rock-Schmachtfetzen wie „Alone (I Hear The Ticking Of The Clock)“ von Heart und „It’s All Coming Back To Me Now“, bei dem Céline Dion aber trotz oder gerade wegen ihrer Power nicht die Sprödigkeit und Widerständigkeit von Meat Loafs Original erreicht. Bei „We Will Rock You“ wirft sie sich in Freddy-Mercury-Pose, reckt die Faust in den Himmel – und erinnert dabei ein wenig an Gayle Tufts mit ihrer Rock-Show im Tipi: Das ist zwar handwerklich gut gemacht, aber nicht ganz glaubwürdig.

Glaubwürdig ist Dion allerdings bei den vielen anderen Emotionen, die man bis in die kleinste Regung auf den drei großen Leinwänden hinter ihrem Rücken verfolgen kann. Sie hat eine ungeheure Bühnenpräsenz, steht bis in die Fingerspitzen unter Spannung, blickt mit ihren riesigen Sternenaugen mal entschlossen, mal traurig, verwegen oder verschmitzt. Trotz der gigantischen Tournee-Maschinerie um sie herum, trotz des unglaublichen Erfolgs, den sie allein mit ihrer Show in Las Vegas gehabt hat, die fünf Jahre lang an fünf Tagen die Woche ausverkauft war, vermittelt Dion dem Zuschauer, dass sie hart arbeitet für das Eintrittsgeld. Alle sollen sehen, dass sie bodenständig und menschlich geblieben ist.

Die Fans danken es ihr mit einer schier religiösen Verehrung, stehen auf und jubeln bei jedem Oktavsprung – und bekommen dafür ganz zum Schluss doch noch das „Titanic“-Lied, das bis heute der meistverkaufte Soundtrack der Welt ist. Die Vergangenheit klebt manchmal zäh. Das wird auch deutlich, wenn Céline Dion sich über all die Liebe und Begeisterung freut. Sie wirkt dann nicht wie ein 40-jähriger Megastar, sondern mehr wie ein kleines Mädchen. In diesen Momenten versteht man plötzlich, woher sie ihr Image hat. Und irgendwie steht es ihr ja auch immer noch.

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