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Familientreffen mit Queen Victoria anlässlich der Fürstenhochzeit in Coburg im Jahr 1894.

© Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

Die Ernestiner in zwei Ausstellungen in Weimar und Gotha: Die Auferstandenen

Die sächsische Herrscherdynastie der Ernestiner beschützte Martin Luther und rebellierte gegen den Kaiser. Sie verloren die Kurwürde und ihr halbes Land, machten aus ihrer Niederlage einen Sieg und bestiegen den englischen Thron.

Das Schwarzweißfoto, 1894 anlässlich einer Fürstenhochzeit in Coburg aufgenommen, zeigt zwei Dutzend blaublütige Prominente in Sonntagsanzügen und Pelzmänteln. Im Mittelpunkt sitzt, ganz in Schwarz, Königin Victoria von Großbritannien. Neben ihr: Kaiser Wilhelm II. Dahinter: der spätere Zar Nikolaus II. von Russland. Außerdem im Bild: Eduard VII., der spätere König von Großbritannien, der spätere König von Rumänien, der spätere Zar von Bulgarien sowie diverse Großfürsten und Prinzessinnen.

Bismarck nannte die sächsische Fürstenfamilie von Coburg und Gotha spöttisch „das Gestüt Europas“. Wer noch einen Beweis für die These der Thüringer Landesausstellung in Weimar und Gotha „Die Ernestiner. Eine Dynastie prägt Europa“ gebraucht hätte: Dieses Foto liefert ihn. In der oberfränkischen Provinz hat sich zur Hochzeit der Prinzessin Victoria Melita von Sachsen-Coburg und Gotha mit Großherzog Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt ein Who is Who europäischer Königshäuser versammelt. In England kursierte bereits die Angst vor einer „Coburg conspiracy“.

Das englische Königshaus hieß bis 1917 "Saxe-Coburg and Gotha"

Die Ernestiner waren Meister darin, den eigenen Bedeutungsverlust durch eine kluge Heiratspolitik auszugleichen. Mit ihrer territorialen Mittelmäßigkeit waren sie keine Bedrohung für die Großmächte, das machte sie zu idealen Ehepartnern.

So heiratete Albert von Sachsen-Coburg und Gotha 1840 die englische Königin Victoria. Es war, wie später gesagt wurde, eine „arrangierte Liebesheirat“. Nach ihrer ersten Begenung notierte Victoria in ihrem Tagebuch: „Ich erblickte Albert mit einiger Bewegung, er ist schön.“

Politisch war Albert ohne Macht, aber er holte die erste Weltausstellung nach London und entwarf Pläne für den Crystal Palace. Das englische Königshaus hieß bis 1917 „Saxe-Coburg and Gotha“. Dann wurde es in „Windsor“ umbenannt. Mitten im Krieg wollte man nicht länger den Namen des Feindes tragen.

Zu den Prunkstücken der Ausstellung im Neuen Museum Weimar gehört ein Porträt von Tizian, ausgeliehen aus dem Prado in Madrid. Es zeigt Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen, genannt der Großmütige, auf dem Tiefpunkt seines Lebens. Sein Blick ist melancholisch, neben der Nase zieht sich eine tiefe Wunde durchs Gesicht.

Das Bildnis von Kurfürst Johann Friedrich I., gemalt von Tizian um 1548.
Das Bildnis von Kurfürst Johann Friedrich I., gemalt von Tizian um 1548.

© Martin Schutt/dpa

Er hatte die evangelischen Reichsstände in den Schmalkaldischen Krieg gegen Kaiser Karl V. geführt und war in der Schlacht von Mühlberg 1547 vernichtend geschlagen worden. Johann Friedrich wurde gefangen genommen, zum Tode verurteilt und nur begnadigt, weil andere Fürsten für ihn intervenierten. Er verlor die Hälfte seines Territoriums und die Kurwürde, die an die albertinische Linie der Wettiner fiel.

Johann Friedrich begründete den Opfermythos

Erst 1552 durfte er aus der kaiserlichen Gefangenschaft nach Weimar zurückkehren, das ihm als einzige seiner Residenzen geblieben war. Aber seinen Anhängern galt Johann Friedrich als Märtyrer. Die Gesichtsnarbe wurde von protestantischen Bildmedien zum Signum des „wahren Glaubens“ umgedeutet. Druckgrafiken aus der Cranach-Werkstatt zeigen Johann Friedrich als geläuterten, gütig blickenden Landesvater.

Die Ausstellung in Weimar beginnt mit einem sächsischen Kurhut aus dem 17. Jahrhundert, einer Kopfbedeckung aus Samt und Pelz, aus deren Spitze ein Hermelinschwanz ragt. Die Herzöge von Sachsen trugen seit dem 14. Jahrhundert diesen Hut, mit den anderen sechs Kurfürsten gehörten sie zu den mächtigsten Adligen des Reiches.

Der Verlust der Kurwürde war für die Ernestiner eine Katastrophe. Doch sie machten aus dem Abstieg einen Triumph, indem sie ihren eigenen Opfermythos schufen und ihre Rolle als Beschützer des Protestantismus betonten.

Ein Teppich als luxuriöse Propaganda

Im kleinen Reich der Ernestiner blühte die Wissenschaft: Familienbildnis Andreas Reyher, XII. Rektor des Gymnasiums zu Gotha, mit seiner Familie, 1643.
Im kleinen Reich der Ernestiner blühte die Wissenschaft: Familienbildnis Andreas Reyher, XII. Rektor des Gymnasiums zu Gotha, mit seiner Familie, 1643.

© Thomas Fuchs/Stiftung Schloss Friedenstein

Dabei waren es eher pragmatische Gründe, die den Kurfürsten Friedrich den Weisen zum Fürsprecher des Theologen Martin Luther gemacht hatten, der seit 1512 an seiner Wittenberger Universität lehrte. Ursprünglich ging es dabei um Geld. Luther verdammte den kirchlichen Ablasshandel, den Transfer einer Art Sündensteuer nach Rom, und das gefiel dem Kurfürsten schon deshalb, weil er dieses Geld selber gut gebrauchen konnte. Trotzdem blieb Friedrich der Weise bis zu seinem Tod ein frommer Katholik.

Ein prachtvoller Reformationsteppich, fast drei Meter breit und um 1555 von einem flämischen Meister für den Hof von Weimar gewirkt, ist ein beeindruckendes Beispiel luxuriöser Propaganda. Er zeigt den wiederauferstehenden Jesus, der einen Teufel in der Tiara des Papstes niederdrückt. Neben ihm steht Luther, in seinem Gelehrtentalar als neuer Hieronymus abgebildet, der von papistischen „Pseudoepiscopi“ und „Larvenbischöfen“ attackiert wird, bei denen es sich um verkleidete Wölfe, Bären und Löwen handelt.

Ein protestantischer Musterstaat

Herzog Ernst I. von Sachsen-Gotha-Altenburg machte unter Berufung auf die „reine“ lutherische Lehre sein Land nach dem Dreißigjährigen Krieg zum protestantischen Musterstaat. Die Verheerungen des Krieges deutete er als Strafe für ein sündhaftes, gottloses Verhalten und führte die Schulpflicht für alle Fünf- bis Zwölfjährigen ein. Appelle an Disziplin und Frömmigkeit gingen mit einem Überwachungssystem einher, das totalitäre Muster vorwegnahm. Die Pfarrer mussten „Seelenregister“ über alle Gläubigen führen. Die Hexenverfolgung erreichte einen Höhepunkt.

Das Herzogliche Museum Gotha, Nordseite.
Das Herzogliche Museum Gotha, Nordseite.

© Lutz Ebhardt/ Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

Im von Ernst errichteten Schloss Friedenstein in Gotha, zusammen mit dem Herzoglichen Museum der zweite Standort der Ausstellung, ist sein Schreibtisch zu sehen. An dem schlichten, mit floralen Intarsien verzierten Möbelstück soll Ernst, genannt „der Fromme“, sämtliche theologischen Erlasse verfasst haben.

Über den Status einer Regionalmacht kam das Geschlecht nie hinaus

Während sich der Weimarer Teil der Landesausstellung mit den Themen Reich, Glaube und Wissenschaft beschäftigt, geht es in Gotha um Land, Familie und Künste. Die Ernestiner waren eine prinzipientreue Familie. Ihr Name geht wie der der Albertiner auf die wettinischen Brüder Ernst und Albrecht von Sachsen zurück, die nach Erbstreitigkeiten ihre Besitzungen 1485 geteilt hatten.

Den Grundsatz der Erbteilung haben die Ernestiner auch später beibehalten, auch wenn er dazu führte, dass sie niemals über den Status einer Regionalmacht hinauskamen. Ernst der Fromme hatte sieben Söhne, ein Glaspokal mit ihren von Löwen und Blumen gesäumten Initialen betont ihre Harmonie. Nach seinem Tod 1675 wurde sein Land in sieben Territorien zerschnitten.

Früh sahen sich die Ernestiner als Diener ihres Volkes. Eine 1706 vom Hof-Uhrmacher Johann Assmann konstruierte „Lebensuhr“ präsentiert Herzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar mit Allongeperücke, umringt von seinen Vorfahren. Mehrmals täglich erklingen Bach’sche Glockenspiele, angezeigt wird neben der Tageszeit auch die Lebenszeit des Fürsten.

Am preußischen Hof wurden die ernestinischen Fürstentümer als „Flickenteppich“ verspottet. Kulturell begründeten die Teilungen eine Blüte. In Thüringen, dem Nachfolgestaat der ernestinischen Fürstentümer mit ihren elf Residenzen, gibt es bis heute rund vierhundert Schlösser.

In der Region

Besucher spiegeln sich im Schloss Friedenstein in Gotha in einem der prachtvollen Räume des Schlosses in einer auf dem Boden ausgelegten Folie.
Besucher spiegeln sich im Schloss Friedenstein in Gotha in einem der prachtvollen Räume des Schlosses in einer auf dem Boden ausgelegten Folie.

© Martin Schutt/dpa

UNTERKUNFT/ESSEN

Dorint Hotel am Goethepark, Beethovenplatz 1-2, 99423 Weimar, Telefon:036 43/8720. In dem gelungen umgebauten neoklassizistischen Gebäude dominiert eindrucksvoll schlichte Ästhetik. Vier-Sterne-Komfort, ruhige Lage. Doppelzimmer ab 130 Euro.

Restaurant Orangerie, Lindenauallee 20, 99867 Gotha, Telefon: 03621 / 442461. Das Lokal gehört zum schön gelegenen Hotel am Schlosspark. Neben den üblichen Speisen gibt es hier eine „Traditionskarte“ mit Thüringer Spezialitäten wie Roulade mit Klößen und Rotkraut.

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