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Kultur: Die Existenzgründler

Das Kollektiv „Pony Pedro“ erobert das alte Parkhaus am Kottbusser Tor für Überlebenskünstler

Am Anfang war da diese Frau mit den Zigaretten. Wortlos setzte sie sich an den Kneipentisch, an dem Marc Thomann und seine Kollegen vom Künstlerkollektiv „Pony Pedro“ ihr Feierabendbier tranken. Schweigend packte sie eine Packung Tabak aus, dazu Zigarettenhülsen und Stopfmaschine, zwanzig Mal machte es ratsch-ratsch, dann lag eine Schachtel Kippen Marke Eigenbau auf dem Tisch. „Macht zwei Euro“, sagte die Frau stolz.

Irgendwie hat es damals gefunkt bei Thomann. „Solche Leute sind am Kottbusser Tor ja kein Einzelfall. Hier entstehen Geschäftsideen, die in unserer Arbeitswelt zwar nicht vorgesehen sind, die aber trotzdem existieren.“ So wurde aus der Kneipenbegegnung eine Kunstidee: Thomann und seine Kollegen begannen, Geschäftsideen am unteren Ende der Rentabilitätsskala zu sammeln. Rund um das Pony-Pedro-Büro im „Zentrum Kreuzberg“, dem stadtbekannten Plattenbauriegel über dem Kottbusser Tor, machten sie Menschen ausfindig, deren Erwerbsstrategie in keine behördliche Kategorie passt, die weder angestellt noch im klassischen Sinne selbstständig sind, die sich aber auch nicht guten Gewissens als arbeitslos bezeichnen lassen. „Diese Leute arbeiten ja“, sagt Thomann. „Sie können das nur oft nicht so sagen, weil ihre Art von Arbeit nicht in unsere Wahrnehmung passt.“

Ihre „Sammlung“ stellen Marc Thomann, Franziska Werner und Sebastian Wagner im Laufe der kommenden Woche in einem alten Parkhaus am Kottbusser Tor aus. Wobei „ausstellen“ als Projektbeschreibung reichlich daneben zielt: Kern des Kunst-Happenings ist ein Basar auf dem obersten Parkdeck, der jedem Teilnehmer eine Kfz-Parzelle zuteilt, auf der Geschäftsideen entwickelt werden. „Business am Rande des Existenzminimums“ nennen Thomann und seine Kollegen ihren Ersatzmarkt. Die Zigarettenfrau wird hier ihre Arbeit präsentieren, ebenso eine Schmuck-Recyclerin, die verwaiste Einzelohrringe zu Kettenanhängern umfunktioniert, zum Pauschalpreis von einem Euro. Gleich nebenan bietet ein Autobastler gegen geringes Entgelt Beratung beim Kauf von Gebrauchtwagen. Auch eine verhinderte Blumenhändlerin wird ihre Geschäftsidee präsentieren: Die Hartz-IV-Empfängerin wollte sich mit dem Straßenverkauf selbstgepflückter Sträuße aus dem Maßnahmendickicht der Arbeitsagentur befreien, scheiterte mit ihrer Idee aber beim Gang durch die Ämter – die Einholung aller Genehmigungen hätte sie letztlich das gleiche gekostet wie die Miete für ein Ladenlokal. „Viele dieser Ideen werden nur deshalb nicht umgesetzt, weil die Leute es irgendwann als demütigend empfinden, von Beamten schief angesehen zu werden, die ihre Konzepte nicht einordnen können“, sagt Thomann. „Man muss wegkommen von dieser Idee der Geschäftsgründung, wie sie vielleicht in Prenzlauer Berg funktioniert. Die Leute hier haben keinerlei Startkapital, sie haben auch keinen Anzug, in dem sie zur Bank gehen könnten. Und Business-Pläne können sie schon gar nicht schreiben.“

Auf der Suche nach einem Präsentationsraum für ihr ökonomisches Schattenreich wurden Thomann und seine Kollegen schnell fündig: In einem Hinterhof der Skalitzer Straße, wenige Schritte vom Pony-Pedro-Büro entfernt, dämmert seit ein paar Jahren ein aufgelassenes Parkhaus vor sich hin. Fünf gähnend leere Etagen führen hier ein zwielichtiges Eigenleben: Die Treppenaufgänge gehören den Fixern vom Kottbusser Tor, erst im April wurden hier zwei Drogentote gefunden. Tagsüber wird gedealt, nachts heizen Crash Kids aufgemotzte Wagen über die verwaisten Parkdecks. Was mit dem Haus geschehen soll, sei noch unklar, sagt die Hausverwaltung. Verschiedene Nutzungskonzepte würden derzeit geprüft.

Dabei schreie der Ort geradezu nach Gestaltung, sagt Thomann, der das Parkhaus im Gesamtkontext des „Zentrum Kreuzberg“ sieht – jener heute so ungeliebten Betonburg, die bei ihrer Erbauung in den siebziger Jahren noch als „hängende Gärten von Kreuzberg“ angepriesen wurde. Weit in alle Welt werde ihre Ausstrahlung reichen, schrieb damals die „BZ“. „Irgendwie hat seitdem niemand umgedacht“, meint Thomann. Heute gelte das Areal rund ums Kottbusser Tor als verkommene No-Go-Area, für die niemand ein rechtes Konzept habe. „Uns ging es darum, Ideen aufzuzeigen, die in diesem Kontext funktionieren können.“

Das gilt auch für die „hängenden Gärten von Kreuzberg“, die im Rahmen des Projekts in einer unendlich bescheideneren Version verwirklicht wurden: Auf dem Dach des Parkhauses haben die Pony-Pedro-Macher rund ein Dutzend Kfz-Parzellen in Gemüsegärten umgewandelt, die seit ein paar Wochen von Bewohnern des angrenzenden Plattenbaus bewirtschaftet werden. Per Handzettel suchten Thomann und seine Kollegen im Haus nach Freizeitgärtnern – und erhielten deutlich mehr Anfragen, als Parzellen zu vergeben waren. Vor allem der türkischstämmige Teil der Anwohner interessierte sich brennend für das Pony-Pedro-Modell der Subsistenzwirtschaft.

Familie Demir zum Beispiel baut Tomaten, Gurken, Bohnen und Kartoffeln an, sogar Auberginenpflanzen ließen sie sich von Verwandten aus der Türkei schicken. Familienvater Mustafa hat in seiner Heimat an der Schwarzmeerküste schon als Kind gegärtnert, bevor ihn eine verschlungene Erwerbskarriere vom Fischer zum Bäcker, vom Bäcker zum Eisendreher, von der Türkei nach Deutschland und schließlich in die Arbeitslosigkeit führte, der er jetzt mit dem Erwerb des Taxischeins entfliehen will. Bis dahin leben er und seine Familie von Hartz IV und selbstgezogenen Parkplatzbohnen.

„Hier am Kottbusser Tor geht die ökonomische Tendenz nun mal eher in Richtung Überlebensstrategie“, sagt Thomann.

14. bis 22. Juli, Skalitzer Straße 133. Basar am 14., 15. und 21. Juli von 17 bis 21 Uhr, Band-Wettbewerb mit Cora Frost und Boris Lisowski am 14. Juli um 20 Uhr, weitere Veranstaltungen unter www.pony-pedro.de.

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